Frueher, als Kind und Jugendliche, war Zeit fuer mich eine Ewigkeit. Die Tage gingen manchmal gar nicht vorbei. Immer wieder habe ich auf die Uhr geschaut, aber die Zeit blieb scheinbar stehen. Das lag wohl zum grossen Teil daran, das mein Kopf schon frueh weiter war, als sich meine koerperlichen und gesellschaftlichen Moeglichkeiten ausgebildet hatten.
Heute denke ich manchmal gern an die Ruhe von damals zurueck. Insbesondere, da ich seit einigen Jahren mit meiner Kunst recht oft weltweit unterwegs bin. Neben den neuen Arbeiten, die es zu prodizieren gilt, muss ich zeitgleich viele Termine einhalten, Deadlines fuer die Abgabe von Konzepten, der Presse entsprechendes Material schicken, Reisen koordinieren und meine Performances und Ausstellungen vorbereiten. Die Zeit geht so schnell vorbei und ich werde wieder ein Jahr aelter. Das Einzige, was man dagegen tun kann: Ich nutze meine Zeit so gut und intensiv, wie ich kann, fuer meine kuenstlerische Karriere. Ich kann mein kuenstlerisches Leben auch nicht von meinem Freizeitleben trennen wie ein Mensch, der morgens zu seiner Arbeit geht und abends abschaltet. Kunst findet keinen Anfang und kein Ende in mir: Ich denke Kunst und lebe Kunst. Ich geniesse meine Lebensweise dabei sehr, auch wenn eben kaum Zeit bleibt einmal Luft zu holen. Als Kuenstler ist man so etwas wie ein Apnoe Taucher. Der einzige Weg, dem Zeitdruck zu begegnen, ist es meines Erachtens, sich den gestellten Aufgaben ganz zu uebergeben und das zu leben, was man werden koennte, ganz, wie dies in >Der Mythos des Sisyphos< durch Camus beschrieben wurde. Gluecklich wird man, indem man sein Leben akzeptiert und den Stein immer wieder gerne den Berg hinaufrollt. Seit 2003 bin ich Mitglied der IPG [Independent Performance Group], die von Marina Abramovic gegruendet wurde. Da ich zumeist als Performancekuenstlerin auftrete, spielt in meiner kuenstlerischen Arbeit Zeit eine grosse Rolle. Es entstehen neben kurzen auch sehr lange Performances, die mehrere Stunden oder Tage dauern koennen. Diese Long Duration Performances sind sehr wichtig. Der Koerper veraendert sich permanent, je laenger eine Performance dauert, egal ob anstrengend oder nicht, erreicht man koerperliche und psychische Grenzen. Der Betrachter hat die Chance, die Veraendernung des Koerpers und der Haltung der Kuenstlerin zu sehen. Der eigentliche Akt der Performance wird auf diese Weise um ein Entwicklungselement erweitert und damit aus seiner rein temporalen Verankerung befreit. Etwas tautologisch formuliert: Eine Performance findet in dem Moment statt, in dem sie stattfindet und bleibt danach nur individueller Erinnerungswert. Natuerlich werden die Arbeiten auch per Video und Photo dokumentiert. Die Qualitaet eines Liveauftritts wird damit aber nicht wiedererlebbar. Indem nun eine Entwicklung in Long Duration Performances gezeigt wird, kann diese auf neue Weise beschrieben und festgehalten werden. Hier macht eine Dokumentation ueber Video und Photo einen neuen Sinn, wird doch Veraenderung gleichsam im Zeitraffer-Format sichtbar gemacht. Das Wort >Zeitgeist< ist ja eine relativ neumodische Erfindung. Das Wort beschreibt eine Art der kulturellen Wahrnehmung, die erst in den letzen 100-120 Jahren entstand und dem Umstand Rechnung traegt, das eine groessere Gruppe von Menschen medieninduziert gleiche Eindruecke teilt und damit eine kulturell aufgeladene Oeffentlichkeit schaffen, der gleichsam eine zeitliche Taktung innewohnt, wie sie in der Modewelt typisch ist. Meine Performance >Zeitgeist< von 2006 geht auf eine installative Performance zurueck. Die Arbeit hat mehrere Ebenen. Mit einer Kamera auf einem Steadystick, der am Koerper montiert wird, jogge ich ueber zwei Stunden mit Fitnesskleidung und geschminkt ziellos durch Santa Monica/Los Angeles. Ich filme die Stadt, die ich nicht kenne, so, wie mein Auge die Umgebeung wahrnimmt, und achte dabei auf Details. Manchmal renne ich an derselben Stelle, filme rechts und links, oben und unten vor mir. Diese Filmaufnahmen praesentierte ich dann im Ausstellungsraum Gallery 18th Street/Santa Monica als grosse Projektion an der Wand und renne vor der Projektion auf der Stelle. Zeitgleich filmt eine Kamera live mein Gesicht und praesentiert es auf der zweiten Projektion. Die Idee fuer die Arbeit geht auf zweierlei zurueck. Einmal wollte ich die Eindruecke dokumentieren, die man sammelt, wenn man einer Stadt erstmals begegnet. Goethe hat auf seinen Reisen durch Rom einmal formuliert, dass man immer nur sieht, was man weiss. Das ist wohl so. So bin ich duch Santa Monica gelaufen und habe Dinge gesehen, die andere nicht sehen, und bin duch Gegenden gelaufen, in denen es vielleicht keine Sehenswuerdigkeiten gibt. Dennoch ist es die reale Stadt mit allen ihren Facetten. Wir nehmen die Welt meist nur als pars pro toto wahr und halten eine wichtige Sache schon fuer das Ganze. So fahren wir nach Florenz, um dort den David anzuschauen. Was Florenz sonst noch ist, wird hier einfach subsumiert. Diesem pauschalen Wahrnehmen will ich entgegenwirken. Das ist die eine Idee. Zum Anderen will ich mit der Arbeit eine Momentaufnahme praesentieren, die die Stadt in einem lebendigen Zusammenhang zeigt. Hier treffen mehrere Zeitebenen zusammen. Vergangenes, das dokumentierte Rennen durch die Stadt Santa Monica. Das Gegenwaertige, die Praesenz meiner Person waehrend des Rennens durch die Stadt. Dann das Rennen live vor der Projektion, das sich auf die Dokumentation des Rennens aus der Verganheit bezieht und einen temporalen Spiegeleffekt heraufbeschwoert. Zuletzt wird die Gegenwart noch einmal verdoppelt, indem mein Gesicht grossformatig live projiziert wird. Ich habe in allen Zeitebeben auf Be- und Entschleunigungseffekte verzichtet, da jeweils nur die reale Zeit fokusiert werden sollte.