Ich bin 1970 in der Tuerkei geboren und lebe seit meinem dritten Lebensjahr in Deutschland. Damals habe ich nur ein paar Brocken Deutsch von Nachbarskindern aufschnappen koennen. Ich hatte nicht die Moeglichkeit, in den Kindergarten zu gehen und habe Deutsch somit erst in der Grundschule gelernt.
Deutsch wurde zur Hauptsprache und Tuerkisch zur Umgangssprache – ich habe Tuerkisch von meinen Eltern beigebracht bekommen [allerdings nicht die Hochsprache]. Ueber die Jahre hinweg habe ich Tuerkisch jedoch geradezu verlernt und grosse Schwierigkeiten mit der Aussprache und Schrift bekommen. Ein sechsmonatiges Kunststipendium des Berliner Senats im Jahr 2005 in Istanbul half mir, mein Tuerkisch zu verbessern. Nun kann ich selbstbewusst mit der Sprache meiner Eltern umgehen.
Im eigentlichen Sinne habe ich keine Muttersprache. Bei einer Muttersprache geht man schliesslich davon aus, dass man sie von der Saeuglingsphase an und damit aus einem unbewussten Stadium heraus lernt. Wenn ueberhaupt, dann laesst sich in meinem Fall von einer erkaempften Muttersprache sprechen. Nicht ohne Hintersinn moechte ich anfuegen, eine Muttersprache, fuer die ich mich bewusst entschieden habe. Eine solche Entscheidung kann ein Mensch in den seltensten Faellen treffen.
Im Alltag spreche in mit meinen Geschwistern und mit tuerkischen Freunden eine Mischsprache: Tuerkisch-Deutsch. In die deutsche Sprache fliessen tuerkische Woerter ein. Dieses Phaenomen ist nicht nur bei mir zu beobachten, sondern bei vielen in meinem Umfeld. Ich frage mich, ob ich es aus Gewohnheit tue, immerhin bin ich damit aufgewachsen oder ob aus Sympathie zu meiner zweiten Heimat, der Tuerkei. Wie auch immer: Ich finde diese Mischsprache nicht effektiv, da sie beide Sprachen beeintraechtigt. Deutsch wird verwischt und Tuerkisch kann nie richtig praktiziert werden.
Seit einiger Zeit beschaeftige ich mich auch in meiner kuenstlerischen Arbeit mit dem Thema Sprache. Ich merke dabei immer wieder: Ich beherrsche alle Sprachen nicht perfekt, letztendlich auch nicht die Hochsprache Deutsch. Dennoch besitze ich einen leichten Zugang zu vielen Sprachen. Italienisch etwa habe ich so nebenbei gelernt.
Eine Sprache transportiert Kultur und damit eine spezifische Perspektive, in der ein Mensch auf die Welt blickt. Deshalb ist die Art und Weise, in der ich in meiner kuenstlerischen Performance-Arbeit ein Thema angehe, immer interpretativ. In gewisser Weise lasse ich in meinen Arbeiten die verschiedenen Perspektiven miteinander in einen Dialog treten. Damit nehmen meine Arbeiten teilweise den Charakter einer extranationalen Plattform an. Dies hilft, eine gegenseitige Verstaendigung zu erreichen. Ich erschaffe sozusagen zwischenkulturelle Fenster. Diese kann man nutzen oder nicht, hindurchschauen oder sogar oeffnen.
Waehrend des Istanbulstipendiums ist zum Beispiel die Videoperformance >National Anthems< [2005] entstanden: Ich singe den Text der tuerkischen Nationalhymne nach der Melodie der deutschen Hymne. Auf dem anderen Video genau umgekehrt, den Text der deutschen Hymne nach der Melodie der tuerkischen Nationalhymne. Beide werden auf gegenueberliegenden Waenden projiziert. Die beiden Videos sind im Loop so geschnitten, dass ich wechselnd in einem Video singe und auf dem anderen Video still zuhoere und mich selbst anschaue. Eine weitere Performancearbeit habe ich >Il senso die Amore< [2005] gennant und in der Gallerie Civica d"Arte Contemporanea in Trento aufgefuehrt. Da es in dem Ausstellungskonzept um Liebe ging, habe ich drei Liebeszelte realisiert. Ich habe den Besuchern in einem der Zelte live tuerkische Liebeswoerter beigebracht. Bis zu vier Personen gleichzeitig haben bei mir tuerkische Liebeswoerter [Tuerkisch/Italienisch] gelernt. Obwohl ich der italienischen Sprache nicht wirklich maechtig bin, konnte ich trotzdem den Leuten die tuerkische Sprache beibringen. Hier haben die Italiener gesehen, wie poetisch und lustig die tuerkische Sprache sein kann. Beispielsweise sagt ein Liebender zu seiner Geliebten >Canim, Cigerim<, das woertlich uebersetzt heisst: >Mein Leben, meine Leber<. Im Italienischen heißt es normalerweise >mia vita, mia amata< und nun >mia vita, mio fegato<. In der Performance >A matter of course< [2004] habe ich im Ausstellungsraum vier Stunden lang in islamischer Kleidung an einem Rednerpult ein Protokoll in deutscher Sprache vorgelesen. Jedoch so, dass ich jedes Wort im Sinne des deutschen Alphabetisierungssystems ausbuchstabiert habe. So zum Beispiel das Wort Islam: I wie Ida, S wie Siegfried, L wie Ludwig, A wie Anton, M wie Marta. Diese Arbeit war eine Protestarbeit, da ich die eigentliche Arbeit >No Pork but Pig< [in der ich mit einem Schwein ueber mehrere Stunden eine Beziehung aufbaue], aus politischen Gruenden nicht praesentieren durfte. Da ich das Verbot nicht verstand, habe ich die unaussprechliche politische Situation den Betrachtern in der Performance weitergegeben. In einer Doppelkultur aufzuwachsen hat viele Vorteile, vor allem in der kuenstlerischen Produktion. Die unterschiedlichen Melodien und Denkmuster stellen eine Bereicherung an Perspektiven dar. Ich haette mir gewuenscht, in beiden Sprachen perfekt sprechen und schreiben gelernt zu haben. Leider beginnt man hierzulande erst heute den Zusammenhang zwischen sozialem Werdegang und der Sprach- und Sprechfaehigkeiten bei Menschen mit Integrationshintergrund einzusehen.