Wie können Versicherungen zu einem Gemeingut werden? Die Idee von CommonEasy

Viele zahlen ein, damit der Einzelne abgesichert ist. So funktionieren Versicherungen. Die Plattform CommonEasy macht daraus nun ein Gemeingut. Dabei kann sich eine Gruppe von Menschen gegenseitig gegen Risiken absichern. Wie das funktioniert, erklärt der Journalist Max Dovey.

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CommonEasy ist die Vision von zwei Brüdern, Jip und Florian de Ridder. Diese zwei Twentysomethings haben ein Modell für eine kollektive Sozialversicherung entwickelt, das die Wirtschaft komplett umkrempeln würde. Während er für seine Masterarbeit recherchierte, befasste sich Jip mit den Rechten von Selbständigen in den Niederlanden. Er fand heraus, dass 80 Prozent von ihnen nicht krankenversichert sind und auch keine Absicherung für den Fall einer Berufsunfähigkeit haben. Dieser Umstand macht deutlich, dass selbst in einem reichen Land wie den Niederlanden, der Status von Arbeitenden sehr prekär sein kann. Der Sektor der selbständig Arbeitenden ist sehr groß in den Niederlanden, deshalb überlegte sich Jip ein System, das jenen Menschen helfen sollte, sich zu versichern.

Versicherung: Kollektiv, dezentral, demokratisch

Das war der Anfang von allem. CommonEasy ist eine Peer-to-peer-Versicherungsplattform, die die Kraft der Crowd nutzt, um kollektiv Eigentum, Wohnungen und auch das Leben abzusichern. Hier können Gruppen von Menschen ihre eigenen Versicherungspolicen managen – und zwar für jeden Bereich, der ihnen wichtig und schützenwert erscheint. Dieser Ansatz ebnet den Weg für eine neue Form der kollektiven, dezentralisierten und demokratisierten Versicherung.

Und so funktioniert das Ganze: Nehmen wir an, ich möchte mein Handy versichern für den Fall, dass es aus Versehen kaputt geht. Ich gründe eine Gruppe bei CommonEasy, die Handys für diesen Fall versichert – mit einer Schadenssumme von bis zu 250 Euro pro Monat. Dann lade ich Peers, Freunde und meine Familie dazu ein, dieser Gruppe beizutreten. Jedes Gruppenmitglied zahlt einen festen monatlichen Betrag über ein Online-Bezhalsystem. Diese Zahlungen fließen in einen gemeinsamen Fonds ein, der genutzt werden kann, um ein Gruppenmitglied im Schadensfall auszuzahlen.

Das Geld des Fonds liegt sicher in einem digitalen Bankkonto, das mit MangoPay erstellt wird. Auf das Geld kann nur zugegriffen werden, wenn dem die ganze Gruppe zustimmt. Eine Police zu erstellen, ist also ziemlich einfach. Der schwierige Part besteht eigentlich darin, die Gruppe zu pflegen, einen Konsens herzustellen und Auszahlungen zu veranlassen.

Die „Tollpatsch-Gebühr“

Der Umgang mit unrechtmäßig gestellten Ansprüchen zeigt, dass es Graubereiche gibt, wenn es um das Herstellen von Vertrauen auf Online-Plattformen geht. In einer Versicherungsgruppe kam es vor, dass ein- und derselben Person das Handy zwei Mal im selben Monat kaputtging. Es lang in der Hand der Gruppe zu entscheiden, ob die Person ein zweites Handy zurückerstattet bekommen würde. Oder ob die Person eine so genannte „Tollpatsch-Gebühr“ zahlen müsste. Letztlich entschied sich die Gruppe dafür, den Schaden zu begleichen und eine geringe „Tollpatsch-Gebühr“ von sieben Prozent für den zweiten Schaden zu erheben.

Dieser Fall zeigt, welche sozialen Mechanismen innerhalb von CommonEasy belohnt werden. Eigentlich würde man annehmen, dass die Gruppe beim zweiten Fall die Auszahlung ablehnen würde, um der Person eine Lektion zu erteilen (im Sinne von: „Pass’ besser auf deine Sachen auf.“) Doch das ist nicht passiert. Die spezifischen sozialen Dynamiken, die durch CommonEasy freigesetzt werden, bewirken, dass es innerhalb der Gruppe Mitgefühl gibt – Basis dafür ist unser selbstverständliches Bedürfnis, Freunden und Familie helfen zu wollen. Im Kontext von CommonEasy wird diese besondere Form der sozialen Beziehung zur Basis einer kollektiven Versicherung.

Doch das Mitgefühl, das wir engen Freunden und unserer Familie entgegenbringen, ist nicht für jeden bestimmt. Einer fremden Person gegenüber, werde ich sehr viel zurückhaltender sein, wenn es darum geht, den angeknacksten Touch Screen zu ersetzen. Das Vertrauen, das bedingungslosen Beziehungen zu Grunde liegt, ist einzigartig – dieses Vertrauen ist nicht skalierbar und kann nicht einfach so auf Massen von Menschen übertragen werden. Hinsichtlich eines „social engineering“ ist das ein interessanter Umstand – das Modell von CommonEasy lässt sich nicht so leicht in ein skalierbares Geschäftsmodell umwandeln.

Vertrauen zwischen den Gruppenmitgliedern

Das Team um Gründer Jip hat versucht, das durch ein Scoring-Modell zu lösen. Jedes neue Mitglied wird mit Zahlen (1,2,3) bewertet, um sich ein besseres Bild von der Stärke der sozialen Bindungen innerhalb einer Gruppe machen zu können. Es kann also sein, dass meine Mutter ihren besten Freund in eine Gruppe einlädt. Ich kenne ihn zwar nicht, aber meine Mutter sagt, dass er sehr zuverlässig ist.

In diesem Falle würde ich dem Gruppenmitglied eine Nummer geben auf der Basis der Empfehlung meiner Mutter. So können die Gruppen zwar wachsen, doch das Vertrauen zwischen den Gruppenmitgliedern bleibt bestehen. Das Geschäftsmodell basiert also auf verlässlichen und vertrauenswürdigen Beziehungen unter den Mitgliedern – anders als bei den großen sozialen Netzwerken, die auf Masse setzen und bei denen die Beziehungen zwischen den Mitgliedern eher „dünn“ sind.

Versicherungen errechnen den Preis deiner Police immer im Angesicht anonymer Massen. CommonEasy hingegen berechnet diesen Preis auf der Basis deiner Freunde und Familie die dich kennen und dir vertrauen. Die Möglichkeit, asymmetrische Risiken untereinander zu teilen – ohne eine gewinnorientierte Organisation, die sich dazwischenschiebt – könnte für den Versicherungssektor gravierende Folgen haben. Deshalb werden große Organisationen bereits nervös.

Versicherungssektor auf den Kopf stellen

Der vergemeinschaftlichte Schutz, den CommonEasy gewährt, hat das Potenzial das Geschäftsmodell des Versicherungssektors auf den Kopf zu stellen. Das ausbeuterische Geschäft mit Versicherungen könnte in ein Modell der kollektiven sozialen Versicherung umgewandelt werden. Was passiert, wenn Technologie eine kollektive Form der Selbstverwaltung ermöglicht? Kann die Idee der Commons dazu beitragen, den Schutz der Gesundheit vor dem Einfluss des Marktes zu schützen?

Traditionelle Konzepte beschreiben Commons als eine (endliche) Ressource wie etwa Land, ein See oder ein drahtloses Netzwerk. Der berühmte Essay The Tragedy of the Commons von Garret Hardin (1968) behauptet, dass Individuen innerhalb einer Gruppe Gemeingüter (Commons) immer zu ihrem eigenen Vorteil nutzen würden. Bisher haben die Mitglieder von CommonEasy diese Vorstellung herausgefordert – sie haben im Interesse anderer gehandelt, selbst wenn es um solch banale Dinge wie das Ersetzen eines kaputten Handys geht.

Diese gegenseitige Achtsamkeit kann sogar noch weitergehen, wenn wir damit anfangen, medizinische Kosten oder auch lebensgefährliche Krankheiten zu versichern. Der Grund, warum die Mitglieder von CommonEasy nicht so handeln, wie von Hardin prophezeit, ist, dass sie das Gemeingut nicht nutzen, um es profitabel einzusetzen, sondern um sich gegenseitig zu schützen und abzusichern.

Commons vor den Marktmechanismen schützen

Commons sind hier keine endliche Ressource, die von Trittbrettfahrern einfach so aufgebraucht werden. Mit einem geringen Kostenaufwand kann sich eine Gruppe von Menschen dazu entschließen, ihr Geld in eine kollektive Ressource einzubringen, um sich gegenseitig zu versichern. Soweit so gut. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese positive Nutzung der Commons nicht doch vom Markt ausgebeutet werden kann.

Gemeingüter werden nicht grundsätzlich ausgebeutet, doch die Struktur des unregulierten Marktes und der geringe Schutz von Commons tragen dazu bei, dass dies doch passiert. Das alles passiert in einem größeren Kontext, in dem es darum geht, Commons vor den Marktmechanismen zu schützen. Die Open-Source-Community hat mit diesen Prozessen schon einige Erfahrungen gemacht: Oftmals findet sich Open-Source-Software in proprietären Anwendungen wieder.

CommonEasy kreiert Commons, die nur dann endlich sind, wenn die Beziehungen unter den Mitgliedern der Gruppe schwächer werden oder gar aufhören zu existieren. Da CommonEasy nicht gewinnorientiert ist, kann es sehr schnell passieren, dass ein kommerzieller Anbieter das Konzept kopiert und auf dem Markt anbietet. Solch ein (hypothetischer) Vorgang steht für mich sinnbildlich dafür, wie die Share-Economy den Commons-Gedanken untergräbt.

Kollektive Versicherungsfonds

Nehmen wir als Beispiel Airb’n’b: Grundlage für die Plattform waren Anbieter wie Couchsurfing – hier konnte man kostenlos bei anderen Menschen Unterschlupf finden. Das zeigt, wie Konzepte von sozialen Initiativen, die die Crowd oder auch soziale Netzwerke nutzen, schnell von Silicon-Valley-Start-ups kopiert werden können.

Wie bei jedem Gemeingut und Open-Source-Tool kann man eigentlich nichts dagegen machen, dass jemand daherkommt und anfängt diese Ressource zu nutzen, um Profit zu generieren. CommonEasy wird sehr bald viele Konkurrenten antreffen. Die großen Versicherungskonzerne werden das Modell der Netzwerk-Fonds nutzen, um kostengünstige Versicherungen anzubieten. Doch die Konzerne werden die Idee der kollektiven Versicherung relativ schnell ausbeuten.

Dezentrales System der sozialen Absicherung

Vor uns liegen vermutlich auch viele rechtliche Hürden. Kollektive Versicherungsfonds wachsen beständig – die Nutzerzahlen übersteigen die Zahl der vertrauenswürdigen Beziehungen, die eigentlich benötigt werden, damit das Ganze funktioniert. Deswegen ist es der Fokus der Gründer von CommonEasy, das Vertrauen als Grundlage des Netzwerks zu stärken. Es soll verhindert werden, dass einzelne Gruppenmitglieder Ansprüche vor Gericht geltend machen.

Für das Konzept von CommonEasy ist es wichtig, dass die Gruppen in sich funktionieren und ihre Angelegenheiten untereinander klären. Die Gründer sind nicht daran interessiert, dass CommonEasy schnell wächst. Die sozialen Beziehungen, die die Grundlage von CommonEasy sind, können eben nicht auf die Schnelle skaliert werden.

Die Idee von CommonEasy ist wirklich aufregend: Existierende soziale Beziehungen sind die Grundlage der Plattform. Sie dienen dazu, sich gegenseitig für Risiken abzusichern. Wir sind umgeben von Firmen, die sich solche sozialen Geschäftsmodelle schnappen und im Handumdrehen ein gewinnorientiertes Business daraus machen. Deshalb steht CommonEasy bereits jetzt vor vielen Hürden. Doch das Versprechen ist, dass hier eine Blaupause erstellt wird für ein dezentrales System der sozialen Absicherung.

Anm.d.Red.: Der Beitrag ist im Rahmen des MoneyLab-Symposiums entstanden. Blog posts, Videos und Fotos der Veranstaltung gibt es hier. Die Fotos stammen von Mario Sixtus (cc by 2.0).

4 Kommentare zu “Wie können Versicherungen zu einem Gemeingut werden? Die Idee von CommonEasy

  1. Die Idee wird von der von mir mitbegründeten Samarita Solidargemeinschaft e.V. seit über 20 Jahren verwirklicht.
    Die Widerstände aus der Wirtschaft in die Politik sind erheblich.
    Die Gemeinschaft funktioniert mit ca. 300 Mitgliedern. Die Beiträge für die Krankenversicherung richten sich nach dem Einkommen.

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