Vor dem 16. Lebensjahr interessierte sich Nina Power überhaupt nicht für die Schule. Heute lehrt sie Philosophie an einer englischen Uni. In unserer Reihe zum Thema BILDUNG spricht die in London lebende Filmenthusiastin darüber, wie sie ihren StudentInnen komplexe philosophische Ideen vermittelt und was die wirklich magischen Momente beim Unterrichten sind.
Ich stecke schon mein ganzes Leben auf die ein oder andere Art und Weise knietief im Bildungssystem. Ich bin im ländlichen England groß geworden. Dort bin ich auch auf die örtliche Gesamtschule gegangen.
Erste Lernumgebung: Wiltshire in England
In Wiltshire aufzuwachsen fühlte sich seltsam zeitlos und beständig an. Ich lebte zwar nicht direkt auf einem Bauernhof, aber das Haus meiner Eltern befand sich zwischen vier großen Höfen. Es gab also überall Tiere. Nicht nur Vieh, sondern auch Fasane, Ringeltauben, Eichhörnchen, Spechte und vieles mehr. Die Natur hatte für mich jedoch immer einen unheimlichen Anschein.
Man muss wissen: Wiltshire ist eine ziemlich reaktionäre Gegend. Wir hatten jahrzehntelang denselben konservativen Abgeordneten – der zufälligerweise auch der größte Landbesitzer der Gegend war, eine recht feudale Angelegenheit.
Die Politik auf dem Land drehte sich vor allem um Themen wie die Fuchsjagd oder die Frage, wie das britische Rindfleisch nach dem BSE-Skandal gerettet werden konnte. Nachdem 2001 die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen war, sah man am Straßenrand riesige Haufen von brennenden Tierleibern.
Außerdem hat Wiltshire eine deprimierend hohe Anzahl an BNP-Mitgliedern (British National Party). Als der Presse vor einigen Jahren eine Mitgliedsliste zugespielt wurde, fanden sich dort viele Leute wieder, mit denen ich zusammen zur Schule gegangen war. Ein echter Schock.
Aus Schwarz-Weiß wird Farbe
Ich war keine besonders motivierte Schülerin – bis ich 16 wurde. Auf einmal war alles interessant. Aus Schwarz-Weiß wurde Farbe.
Bis dahin hatte ich wie eine Besessene Romane gelesen. Doch niemals gelang es mir, die Ideen aus den Büchern mit irgendetwas, das wir in der Schule lernten, in Zusammenhang zu bringen.
Ich litt – und leide noch immer – unter Schlaflosigkeit. Einmal habe ich sieben Romane am Stück gelesen. Das war eine schlaflose 24-Stunden-Aktion. Danach ging es mir total schlecht. Als hätte ich eine Überdosis Worte zu mir genommen.
Die Welt der Philosophie: Maskulin und aggressiv
In der Oberstufe belegte ich Soziologie, Geschichte und Literatur. Ich glaube, dass die Lektüre-Kombination Marx und Hamlet mich dazu brachte, Philosophie zu studieren.
Ich fing zwar mit zwei Fächern an: Philosophie und Literatur, aber am Ende konnte ich nicht mehr über Romane schreiben, nur noch über Ideen.
Die Philosophie kann eine recht grimmige Welt sein. Diese Welt wird von Männern dominiert und ist oft aggressiv. Gerade so, als ob ihre Flirts mit den Naturwissenschaften es ihr auferlegen würden, die Geisteswissenschaften zu schikanieren.
Aber ich denke, dass ich mich mit diesem Aspekt schon sehr früh abgefunden habe. Trotzdem wünsche ich mir oft, dass mehr Frauen involviert wären, egal auf welcher Ebene.
Verstehen, dass man verstanden hat
Meine Studenten sind großartig. Manchmal hängen sie sich so sehr in ein Thema rein, dass sie alles lesen, was sie dazu in die Hände bekommen. Als ob ein kleines Lämpchen in ihrem Kopf angeht und sie verstehen, dass die beste Art zu lernen die selbstmotivierte ist.
Und dann kommt der Moment, in dem sie sie verstehen, dass sie etwas verstanden haben. Das ist großartig. Im Grunde ist mir ist alles recht, was die Lehrer-Student-Hierarchie durchbricht.
Ich mag es auch, wenn wir die vorgegebenen Routen verlassen und die philosophischen Themen mit aktuellen Ereignissen verlinken. Viele meiner Studenten wurden durch die Proteste gegen den Irakkrieg im Jahr 2003 politisiert. Sie haben sich eine gesunde skeptische Haltung angeeignet, wenn es um den gegenwärtigen Zustand der Welt geht. Das macht das Unterrichten umso spannender.
Wie kann man Philosophie unterrichten?
Diese Mini-Ereignisse des Lernens sind mein Lieblingsaspekt des Lehrens. Das beste, was man als Lehrender machen kann, ist seinen eigenen Enthusiasmus einfach zu vermitteln, in der Hoffnung, dass davon etwas hängen bleibt.
Wenn es darum geht, komplexe Ideen zu vermitteln, gehe ich davon aus, dass die Vermittlung grundsätzlich möglich ist. Wenn ich Hegels Phänomenologie des Geistes unterrichte, dann lese ich den Text mit meinen Studenten Zeile für Zeile.
Parallel schreibe ich an die Tafel, was gerade im Text passiert. Das hört sich vielleicht ein bisschen verrückt an und es ist verdammt langwierig und intensiv. Doch die Ideen räumlich greifbar werden zu lassen, macht sie wirklich verständlich.
Mehrere Tage am Stück lesen — das ist ein Exzess, den ich nur bewundern kann, denn selber traue ich mir das nicht zu, das ist mir einfach zu extrem.
Und noch ein anderes Kompliment:
Ich liebe diesen Namen! Nina Power, das ist toll!
Dear Nina, I just came across your wonderful article and am thankful to understand German. One question: Who is the phiosopher that is hardest to explain/impart?
immer wieder spannend zu lesen ist, wenn menschen leidenschaftlich theorie und philsophie zu vermitteln versuchen; jemanden begreiflich zu machen, dass marx und seine gedanken etwas mit unserem leben zu tun haben, ist ja heute genauso abenteuerlich und unselbstverständlich wie die brücke zwischen mathematik und alltag…
Nina Power, danke, hochgeachtet. Aber ob es mit zu wenig Schlaf lange gutgehen wird, muss ich bezweifeln! Mir wäre es Recht, wenn meine Zweifel überflüssig bleiben.
Wish my German were better so I could understand the comments…
Charles: Leibniz is absolutely impossible to explain. He’s absolutely fascinating but impossible to convey in any way that makes it stick. I admire anyone who can discuss Leibniz in a useful way, though I’ve never seen it done!