Leider sind alle meine Freunde aus der Schulzeit verschwunden. Die einzige Ausnahme ist mein Freund D., der in Innsbruck trotz eines Doktorates in Psychologie nie so richtig die Kurve gekriegt hat. Mit ihm stehe ich regelmaessig via Skype [Chat und Messages] in Verbindung, ich lebe ja seit 18 Jahren in New York City. Die anderen haben die Kurve gekriegt, sind also entweder verheiratet, ver-job-ed, vergeben oder vergangen. Ich komme aus den Vorarlberger Bergen und meine Interessen fuer die Welt, die Literatur, die Kunst, die Politik und das Leben, die wurden von Mitschuelern im besten Falle ignoriert, aber nicht von vielen geteilt.
Es gab einen Maler und einen Musiker, mit dem ich abstrakte Interessen teilte, aber ich muss gestehen, der Maler endete in der Psychiatrie, der Musiker – ein hervorragender Organist – endete, so wie mir scheint, in der Kirche. Einer meiner aeltesten Freunde, Stephan Pascher, ein Kuenstler und Kritiker, mit dem ich immer noch in Kontakt bin, ist ein hier ums Eck geborener New Yorker. Ihm verdanke ich, dass ich ueberhaupt hierher gekommen bin. Wir schaffen es, trotz der unterschiedlichen Beschaeftigungslage, noch einen Kontakt zu pflegen. Er duefte mein aeltester Freund sein, den ich 1984 durch unsere konvergierenden Interessen kennengelernt habe und nicht durch eine geographische Disposition.
Ich stamme sicherlich aus aermlichen Verhaeltnissen, wenn ich meine Herkunft mit dem vergleiche, was hier als >middle class< verstanden wird. Aber als Kinder – ich habe drei Geschwistern – haben wir das nicht gemerkt. Ich bin ohne ein einziges >Label< aufgewachsen, wusste also vor meinem 14. Lebensjahr nicht, dass es so etwas wie Levi’s-Jeans gibt. Obwohl ich mich immer gefragt habe, wieso die Hosen meines reichen Nachbarn immer besser aussahen als meine, die ich viermal in der Woche waschen liess. Damit sie >besser aussahen<.
Fuer einen Kuenstler in NYC spielt Geld keine Rolle: Man lebt hier oder nicht, ertraegt den Stress oder nicht; kann den psychischen Erfolgsdruck aushalten oder nicht. Die Leute hier haben mich immer gut [oder beschissen] behandelt, unabhaengig von meinem finanziellen Erfolg [der noch auf sich warten laesst]. In dieser Stadt ist es nicht wichtig, was man hat, sondern was man beisteuert. Das Wichtigste ist ein guter Humor, positives Denken, verrueckte Ideen, gutes, inspirierendes Aussehen und, wenn moeglich, Erfolg.
Aber Erfolg kann auch schon allein darin bestehen, dass man jemandem das Gefuehl gibt, er/sie sei zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Es geht de facto um nichts anderes als um Lebensfreude, positive Energie, erfolgversprechendes Lachen. Was davon eingeloest wird, interessiert de facto niemanden. Man ist sein eigenes wandelndes uneingeloestes Versprechen und nur das wird als erfolgreich wahrgenommen. De facto Erfolg, der sich aber nicht in gemeinsamer Freude ausdrueckt, interessiert niemanden. In Europa interessiert man sich fuer Stammbaeume und altes Kapital. Hier wird das ignoriert und die Leute werden an ihrem Antlitz direkt gemessen. You smile or you don’t.
Meine >Reading Seminars< sind seit ueber zehn Jahren dafuer da, ueber das Gemeinsame nachzudenken. Ebenso zielen meine Fremdsprachenstudien darauf ab. Aber es gibt auch andere Arbeiten, die ebenfalls auf das Gemeinsame abzielen. Generell wuerde ich sagen, dass jede Form von anschlussfaehigem Denken auf das Gemeinsame abzielt, bzw. ein produktives Gemeinsames impliziert, mitentwirft und neu projiziert. Als Arbeitsbeispiel moechte ich auf meine derzeitige Ausstellung in der Tensta-Kunstalle in Stockholm hinweisen, die das Gemeinsame in etlichen Varianten ins Spiel bringt.
Es geht bei dieser Arbeit um eine DADALENIN-Serie, also um Lenin als gruendendes Mitglied des Cabaret Voltaire in Zuerich 1916/1917. Da gibt es vorerst die Lenin-Leseseminare, in denen wir gemeinsam lesen und diskutieren. Lenin war einer der akkuratesten Kritiker des Imperialismus und sah gleich zwei Weltkriege voraus. Die Imperialismusanalyse Lenins taugt wiederum, die USA im Zusammenhang mit der heutigen Welt zu vergleichen. Ausserdem gibt es die >What do you think about Lenin<-Dialogarbeiten, die auf der Moskau Biennale 2007 entstanden sind und die wiederum in Stockholm neu aufgelegt wurden.
Darueber hinaus gibt es zwei unterschiedliche interaktive >Chto Delat / What is to be done<-Arbeiten, an denen sowohl Gymnasiasten vom Vorort Tensta [ungefaehr 80 % Immigranten] also auch Universitaetsstudenten mitarbeiten. Die Gymnasiasten bearbeiten eine Reihe von Stellwaenden nach Ihrer Art im Dialog mit meiner Vorgabe. Die Universitaetsstudenten bearbeiten eine Serie von Wuerfeln, die im Zusammenhang mit der Kunst Fahlstroms stehen werden und den endlosen Titel >dadaleninmodernatenstafahlstrominvitingsocietywhatistobedonedominos< tragen werden. Fahlstrom war ein sehr engagierter brasilianisch/schwedischer Kuenstler, den ich verehre. Hier ist also nicht nur der direkte Bezug auf das Gemeinsame und Soziale unserer Gegenwart gegeben, sondern es wird auch ein Bezug zu kuenstlerischen Entwuerfen vergangener Zeiten gesucht, um den Dialog zu erweitern.