Das Gemeinsame ist weder abstrakt noch konkret – das Geheimnisvolle an den Gemeinschaften, die uns etwas bedeuten, ist die Verbindung aus beiden. Was die Gemeinschaft konstituiert, ist nicht nur was, sondern vor allem wie die Dinge artikuliert und gesagt werden: der ironische Tonfall einer Rede, eine smarte Haltung, Obamas sexy Gang [um nur die belanglosesten Beispiele zu zitieren, von denen das am wenigsten Belanglose natuerlich die Gemeinschaftsbildung des Verliebens ist].
Dabei ist diese sinnliche Schlagseite der Gemeinschaftsbildung gerade fuer Wissenschaftler zum Verzweifeln: Von einer Rede bleibt oft nur der Tonfall im Gedaechtnis, der charmante Wiener Schmaeh, der Rhythmus der Worte, der persoenliche Sound. Diese sinnlichen Zeichen sind ja viel sicherer und verlaesslicher als jeder abstrakte Gespraechsinhalt, weswegen sich Gemeinschaften auch mit Vorliebe um diese postrituellen Dinge gruppieren: um Auftreten und Eleganzen, um Zeichen und Oberflaechen.
Dabei waere nichts verkehrter, als diese Accessoires der Bedeutung als oberflaechlich oder als popkulturellen Klunker abzutun. Die materiellen Kulturen der Gemeinschaft haben eine rituelle und gemeinschaftstiftende Funktion. Umgekehrt ist nichts trennender als das falsche Zeichen im falschen Moment, das falsche Zitat oder der falsche Bandname im richtigen Moment. Ich erinnere mich daran, wie ich mich als Teenager monatelang geschaemt habe, als ich einem Maedchen beim Rendezvous eine Abfuhr erteilte, deren Garderobe mir nicht gefiel: Wir stecken tief in der Falle unseres gemeinschaftsbildenden Geschmacks. Etwas Besseres faellt uns nicht ein.
Andererseits kann man in diesen Geschmacksgemeinschaften auch die Erfahrung machen, dass unsere Sinne gemeinschaftstechnisch viel sicherer sind als wir selbst, dass unser Geschmack uns [und die anderen] besser kennt als wir uns selbst beurteilen: aesthetisch aehnlich gerichtete Menschen erkennt man ja schon an ihrer Redeweise oder ihrer Bestellung des Tees. Gemeinschaft heisst hier, Benjamins verlorengegangene Aehnlichkeiten sinnlich wieder zusammenzubauen – was heute freilich nur noch unter der Fratze kapitalistischer Warenwelten moeglich ist. Auf nichts anderem beruhen ja die unzaehligen Persoenlichkeitsportale im Internet, in denen sinnlich und geschmacklich abgecheckt wird, wer zu einem gehoeren koennte und wer nicht, wo es Gemeinschaft gibt und wo nicht. Frueher nannte man dieselbe gemeinschaftsstiftende Kulturtechnik ja Poesiealbum. Ich haette bei derlei Persoenlichkeitsverlagerungen ins Digital-Dinghafte vermutlich begeistert mitgemacht.
An diesen neuen Formen der Gemeinschaft finde ich interessant, dass sich Persoenlichkeiten heute nach ihnen ausrichten, das heisst, dass sich ihre Freuden und Vorlieben im und gemaess des digitalen Mediums formieren. Die Teenager-Fotografien von Pia Lanzinger sind da wunderbare Beispiele: Man sieht hier die Persoenlichkeit vor lauter Accessoires nicht mehr. Die Teenies versinken unter einem Berg an Personality-Kitsch. Auf diesen Bildern ist unklar, ob die Dinge Accessoires der Subjekte sind oder die Subjekte nur noch Anhaengsel der Dinge. Die monstroesen Dingwelten, innerhalb derer man heute aufwaechst, sind auch immer Klammern zum Gemeinsamen.
So oberflaechlich sich dieser ganze Ramsch der Persoenlichkeit anhoert, so rituell und verwurzelt sind diese gemeinschaftsstiftenden Praktiken kulturell wie materiell. Ich interessiere mich ja gerade fuer die materiellen Kulturen der Gemeinschaft – nicht weil man das Materielle nun so wichtig findet, sondern weil man findet, dass die materielle Kultur unbestechlicher ist als der subjektive Blick auf die Gemeinschaft. Materielle Kulturen beschreiben die Identitaet von Gemeinschaften fehlerfreier als Subjekte. In diesem Sinne glaube ich auch, dass man so etwas wie eine Archaeologie von Gemeinschaften durchfuehren koennte, die sich mit den Dingen beschaeftigt, mit denen Communities sich umgeben und die sie durchsetzen. Der klassische Fall ist hier Nabokovs Romanfigur Pnin, ein russischer Emigrant in den USA, dessen fremder Blick auf den Basketballkorb ihn besser beschreibt als jeder persoenliche Fragebogen.
In dieser Richtung einer Archaeologie der Gemeinschaft habe ich mich auch fuer Archive oder Stadien interessiert, weil diese Orte Praktiken grundieren und Verhaltensweisen ermoeglichen, die man dann als Gemeinschaft erlebt: Das beste Beispiel ist natuerlich die Architektur des Stadions, die eine Gemeinschaft zuallererst sichtbar macht – eine Gemeinschaft, die ohne diese Kulturtechnik vermutlich unsichtbar oder so nicht fuer sich selbst sichtbar geblieben waere. Was mich an diesen Raumforschungen zuletzt interessiert, ist natuerlich ein gemeinschaftliches oder kollektives Arbeiten. Das Thema der Stadien habe ich nicht selbst entdeckt, sondern Kai Schiemenz, der sich damit parallel in seiner kuenstlerischen Arbeit beschaeftigte. Solche Immanenzebenen kollektiver Projekte auf unterschiedlichen Ebenen produzieren Gemeinschaften, egal wo.