Am HAU, das ich 2003 ins Leben rief, interessieren wir uns in erster Linie fuer den Bezirk Kreuzberg – einerseits. Fuer uns als Theater gibt dieser Bezirk viele Themen her: das Thema >migrantische Gesellschaft<, dann das Thema >Leben ohne Geld< als grossangelegter Modellversuch und als Drittes das >Abrutschen in die Unterschicht<. Das Spezifische am HAU ist andererseits, dass Regisseure und Choreographen aus Buenos Aires, Rio und New York auf diesen lokalen Kontext treffen. Wenn man so will, ist Kreuzberg dann ein extrem nach vorne getriebenes Laboratorium, was prononciert repraesentiert, was die Stadt Berlin als Spezifikum auszeichnet. Der Stadtteil war ja fuer die Westberliner Gesellschaft ein wichtiger Orientierungspunkt.
Das HAU ist in diesem Sinne ein >community theater<, insofern wir immer wieder versuchen – ob der >Dolmusch Express< oder jetzt Gob Squad am Mehring Platz mit >Saving the World< – uns mit Themen zu beschaeftigen, die der Stadtteil hergibt. Wir versuchen immer wieder Bewohner aus dem Stadtteil als unser Publikum zu rekrutieren. Mehr noch: Wir haben beispielsweise im Zusammenhang mit >Beyond Belonging< eine tuerkisch-staemmige Kuratorin eingeladen, das Festival zu kuratieren oder tuerkisch-staemmige Regisseure mit Schauspielern, die aus dieser Szene kommen, arbeiten lassen. Im Zuge dessen wurde uns klar: Unser Theater funktioniert wie eine Szene-Kneipe. Die gleichen Leute, die hinter der Bar stehen und bedienen, kommen auch als Zuschauer.
In der Beschleunigung der Welt, die wir erleben, hat nichts eine Chance, so zu bleiben wie es ist. Man kann nur versuchen, darueber nachzudenken, wie man so etwas wie diese Community weiterentwickelt. Man kann versuchen an diese Nischen-Gesellschaft mit ihren Utopie-Potenzialen der 80er Jahre Westberlins anzuknuepfen, um daraus eine bestimmte Art von Feuer zu schlagen. Damit nehmen wir eine Gegenhaltung zu dem Gemeinschaftsgedanken ein, weil wir uns immer in den marginalen Raeumen der Gesellschaft bewegen. Wir kaempfen fuer die Interessen von Marginalisierten; wir haben uns bisher relativ wenig interessiert fuer das Verfallen der Mitte Berlins. Wir sind aber auch nicht Mitte.
Natuerlich gibt es zu all dem biografische Bezuege: Ich komme aus Neukoelln, bin in der Sonnenallee aufgewachsen. Es waere jetzt aber totaler Quatsch zu sagen, dass ich aus der Unterschicht komme. Dann gibt es aber wiederum ueber die Polit-Bewegung rund um die Hausbesetzer-Szene bestimmte Vergangenheiten und Bezuege. Auf der anderen Seite gibt es eine reine Professionalitaet, wie ich aus dem Ort eines Theaters, aus der Ausstrahlung eines Ortes, aus der sozialen Umgebung, und aus dem, was mich interessiert und was meine Mitarbeiter interessiert, mir etwas hinfummle. Abgesehen davon verfolge ich durchaus einen, sagen wir mal, handwerklichen Ansatz: Mir ist wichtig, dass ein Theater anstaendig gefuehrt wird, dass Mitarbeiter motiviert sind, dass es intakt ist. Dann reden wir ueber inhaltliche Ausrichtungen.
Sicherlich wuerde ich anders auf ein Theater in Hamburg, in Muenchen oder in London reagieren. Neben dem Stadtteil ist also auch die Stadt als Ganzes fuer die Ausrichtung unserer Arbeit von Bedeutung. Was also ist besonders an Berlin? In Berlin gibt es 50 subkulturelle Ghettos. Diese Ghettos existieren in einer grossen Isolation voneinander. Mit dem HAU versuche ich zu 20 oder 30 dieser Ghettos einen Zugang zu eroeffnen. Die Disparatheit unseres Programms korrespondiert mit der Ghettostruktur der Stadt. Es gibt auch kein homogenes HAU-Publikum. Allerdings kommen die meisten Besucher aus Kreuzberg und Friedrichshain und sind zwischen 18 und 40 Jahre alt, wie Publikumsbefragungen zeigen. Unsere Arbeit grenzt an Sozial-Paedagogik: Migration nicht als Belastung, sondern als Zugewinn zu sehen. Eine Frage, die mich zurzeit sehr beschaeftigt, ist, ob die Transmissionsriemen in unserer Gesellschaft, wie zum Beispiel Lehrer oder Sozialarbeiter, nicht so ueberdehnt werden, dass diese Baender anfangen zu reissen. Ob man diese Problematik auf Institutionen und speziell auf uns als Institution uebertragen kann?
Es ist ein straightes, sehr penetrantes Branding, das wir betreiben. Es ist sehr wiedererkennbar, es setzt inhaltliche Momente. Wenn man unsere Plakate sieht, wenn man diesen Boxer sieht, dessen Eltern Migranten sind und wenn man hier ins Theater kommt, dann geht man vielleicht mit einem blauen Auge raus. Fuer mich ist Theater immer eine Form von Identitaetsstiftung. Da ist mir relativ Wurscht, was Alain Badiou oder Jacques Ranciere gerade zu solchen Themen sagen. Wenn die Volksbuehne, an der ich zu Beginn der 90er Jahre aktiv war, der Versuch einer DDR-Identitaetsstiftung ohne DDR war, koennte man sagen, dass das HAU eine bestimmte Art der Gegengruendung gegen Schroeders Neoliberalismus ist. Alles, was die benachbarte SPD-Zentrale von dem alten Hebbel Theater hat unter die Raeder kommen lassen, versuchen wir hier zusammenzusammeln. Die Oekonomie-Orientierung der SPD zeitigte zwar einige gute Sachen im Bereich des Staatsbuergerrechts, aber Migration als Thema wurde vollstaendig verpennt. Auch die Frage alternativer Ueberlebensmodelle in dieser Gesellschaft. Insofern sind wir eine Resteverwertung der SPD.
Ein Kommentar zu “Resteverwertungsgemeinschaft”