Dieser Anfang muss ein wenig holpern, Sprechen ueber Freundschaft laeuft nie so glatt wie die Freundschaft selbst; soll ich wirklich von einer eigenen erzaehlen, und sie auf diesem Wege zu etwas mit Ihnen Gemeinsamem machen? Oder ist sie das nicht ohnehin bereits? Die Rede von der >Hoeherwertigkeit< einer Freundschaft, die mehr will als blossen Lustgewinn – die Idealisierung einer Freundschaft, die einem der spielerischen Jugendlichkeit entwachsenen Lebensalter vorbehalten ist, ist so alt wie das Denken ueber Freundschaft selbst. Desgleichen die Frage, wie eine solche Freundschaft zu beschreiben ist; formuliert das kuehle Schlagwort der gemeinsamen abstrakten Interessen heute das, was seit Aristoteles als zweites Selbst durch all die nachlesbaren Versuche ueber Freundschaft geistert, die unsere Vorstellung von Freundschaft zwangslaeufig praegen?
Es macht mich stutzig, von Abstraktion zu sprechen und damit eine Beziehung zu kennzeichnen, die doch nur in der Interaktion, in der konkreten Umsetzung und im geteilten Erleben erkennbar wird, fuer Aussenstehende, aber auch fuer die Freunde selbst: Das Abstrakte ist schwer auszumachen, ich wuesste es nicht zu bestimmen. Ich gehe so gerne mit ihr auf ein Bier: des Bieres wegen, oder um des Gespraechs willen? Gaebe es das Gespraech, und sein Thema, ohne das Bier – oder das Bier ohne das Gespraech? Oder ist das Gespraech das Thema, das Um-dessentwillen?
Ich behaupte, mein abstrakter roter Faden sei Ratlosigkeit gewesen: ein Mangel an Eins-Sein mit dem, was die Welt bereithaelt – eine Ratlosigkeit, die zu verbinden vermag, und die an einer aeusserst profanen Sache kondensiert: an einer Kakaotasse. Sie bitten um eine Anekdote – eine Anekdote also, die so einzigartig ist, wie es die Gattung verlangt, die voller Unverstaendlichem steckt und zugleich ueberfliesst vor Gemeinsamem. Ein Dritter sagte am Telefon: >Ihr werdet Euch sicher gut verstehen, trefft Euch doch, wenn Du in Barcelona bist.< Hier spricht Montaigne: >Wir suchten uns, noch ehe wir uns gesehn hatten, aufmerksam durch Berichte, die jeder ueber den andern vernahm und die in uns sofort eine staerkere Zuneigung ausloesten, als man von dergleichen Hoerensagen haette erwarten koennen.< Also trafen wir uns und >fuehlten wir uns so zueinander hingezogen, ja so miteinander bekannt und verbunden, dass wir von Stund an ein Herz und eine Seele waren<, weil wir herausfanden, dass wir beide an demselben – abstrakten – Mangel litten, den wohl nur zwei Luxuskinder der Neunziger formulieren und kultivieren koennen: an der Ratlosigkeit, daran, eine Loesung finden zu wollen zu einem Problem, das wir erst suchen mussten.
>Cacao en la cabeza<, sagte sie, und ich verstand sofort, was sie meinte. Also wurde er zur Formel – zu unserer Formel, der Kakao im Kopf. Und so begann mit einer jaehen Bedrohung durch den >colacao turbo< der gemeinsame Kampf, wir schrieben Manifeste gegen einen Kaba, dessen >granulitos< sich schneller aufloesen, weniger klumpen sollten: Wir bestanden auf unseren Kakao, auf seine mehligen Kluempchen und den dunklen oeligen Rest, der sich auf dem Tassenboden absetzte! [Wo ist das Abstrakte geblieben, und wo das Konkrete?] Freundschaft und Mangel zusammen zu denken, betrifft letztlich die vielbeschworenen >Freunde in der Not<. Nein, wir sind anders, wir sind einzig, wir schwimmen nicht mit Euch in den sanften Wogen des vollstaendig Aufgeloesten, wir winden uns durch die unberechenbare Bruehe des eigenen Zweifels: Und wenn sie mich gebeten haette, das Kapitol anzuzuenden, ich haette es getan!
Was diese Geschichte seit ihrem Beginnen zu etwas Gemeinsamem machte, ist die zwingende Art, sie so zu denken und so zu erzaehlen: weil ich gar nicht anders kann, als vom Kapitol zu sprechen, von dem Gefaehrdet-Sein der Freundschaft und der von ihr ausgehenden Gefahr fuer die Gemeinschaft, von ihren gemeinschaftsstiftenden Momenten ebenso wie von ihren zersetzenden. Das sind die Gemeinplaetze, die stets aufkommen, sobald die Sprache auf Freundschaft kommt, und die so einen gemeinsamen Verweisrahmen aufspannen fuer die Reihe dieser >Protokolle<, die Fragen nach Freundschaften anstossen. Was diese – meine – Geschichte zu etwas Einzigartigem macht… ist auch nicht das gestrige Telefonat nach langer zwischenzeitlicher Entfernung, die der Beziehung nichts anhaben kann: Eine Geschichte voll von Gemeinsamem, und damit notwendigerweise voll von Trennendem, weil uns das Streben nach Exklusivitaet gemeinsam ist; das Sprechen ueber Freundschaft ist dafuer symptomatisch.
Womoeglich ist es gerade das bestaendige Oszillieren der Freundschaft zwischen Konkretem und Abstraktem, zwischen Individuellem und Gemeinsamem, weswegen sie so wenig taugt als Label fuer eine kuenftige Gesellschaft. Die antike philia, zuerst als gesamtgesellschaftliche Integrationsformel, wurde zur unnahbaren Zweierbeziehung; dieser – oder jener – Freundschaft nun Projektcharakter fuer die Heraufkunft einer neuen Gemeinschaft verleihen zu wollen – wuerde das nicht auch heissen, all das mitzuschleppen, was sich ihr, stets unter dem moralisch >gutem< Vorzeichen der ethisch hervorragenden Beziehung, angeheftet hat? Genauso: Was droht der Freundschaft, was droht dem Gemeinsamen, sobald man versucht, sie zu projektieren und zu managen, wie die Senkung der Staatsschulden, den Kampf gegen den Klimawandel, die staatlich verordnete Aufklaerung ueber gesunde Ernaehrung zwecks Eindaemmung der drohenden Explosion der Gesundheitskosten? Mit Kakao jedenfalls haette das nur noch wenig zu tun.