Blickwechsel

Im Herbst des Jahres 1995 zog ich nach Berlin, um an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Regie zu studieren. Waehrend meines siebenjaehrigen Studiums habe ich Regie bei vier Kurzfilmen gefuehrt und konnte sie in meinem Vaterland Spanien, aber auch in Deutschland, sowie in anderen europaeischen Laendern und Lateinamerika zeigen. In dieser Zeit habe ich an zahlreichen Filmfestivals teilgenommen, was mir die Gelegenheit gab, eine Vielzahl von Menschen aus der Welt des Kinos, der Presse und der Kultur im Allgemeinen, kennen zu lernen.

Meine gegenwaertige Taetigkeit als Kuratorin und Organisatorin von Filmreihen ist ein Resultat meiner langjaehrigen Praxis als Macherin und Kritikerin von Filmen und ruehrt von einer inneren Notwendigkeit her, neue Raeume zu kreieren, die in der kulturellen Landschaft von Spanien und Deutschland fehlen. Dabei sind Spanien und Deutschland eigentlich zwei Laender, die im Bereich der Kultur sehr unterschiedlich sind.

Als ich nach Berlin ging, war ich auf der Suche nach dem, was mir in Madrid fehlte. Madrid war ein Ort, an dem offizielle Kultur an der Tagesordnung stand, mit einer Infrastruktur, die die Kultur des Spektakels in schimmernden Schaufenstern praesentiert. In Berlin existierte ein anderer Typus von Kultur, weitaus alternativer, innovativer und anspruchsvoller, eine Kultur, die, wie mir scheint, bis heute ein groesseres Spektrum an Raeumen und Moeglichkeiten fuer junge Kuenstler bietet.

Mein Interesse als Kuratorin, aber auch als Regisseurin, besteht darin, zur Annaeherung und zum Verstaendnis zwischen den Kulturen beizutragen: An erster Stelle zwischen der spanischen und der deutschen, die mir die vertrautesten sind, und die ich am staerksten als meine eigenen betrachte. An zweiter Stelle zwischen anderen Kulturen, mit denen ich Kontakt hatte und habe, und die mir nahe stehen, wie zum Beispiel die marokkanische Kultur, die meine Kindheit stark gepraegt hat, weil ich in Marokko meine ersten Jahre verbracht habe.

Nach den terroristischen Attentaten vom 11. Maerz 2004 in Madrid und dem Anschlag auf Theo Van Gogh in Amsterdam habe ich gemeinsam mit dem Kinokritiker und -historiker Wolf Martin Hamdorf und den damaligen Verantwortlichen des Berliner Filmkunsthauses Babylon Bernd Buder und Sabine Lenkeit die Filmreihe >Traeume von Al-Andalus< konzipiert. In einem Europa, das mit zunehmenden Misstrauen die Figur des Arabers und des Moslems wahrnimmt, schien es uns unerlaesslich, einen Raum zu schaffen, indem ueber soziale Veraenderungen, neue Aengste und ueber moegliche Loesungen reflektiert werden kann. Dabei sollten die der spanischen Erfahrung zu Grunde liegenden Konflikte im Mittelpunkt stehen, weil Spanien letzten Endes das Tor fuer den Maghreb nach Europa ist. Und weil Spanien jenes europaeische Land ist, das der arabischen Kultur am naehesten ist - allein schon aufgrund in der Geschichte weit zurueck liegender Vermischungsprozesse zwischen den beiden Kulturen. Kurz nach dem die Kulturstiftung des Bundes uns eine Subvention zugebilligt hatte, mit der wir das Projekt realisieren konnten, wurde das Babylon von den Kuerzungen des Berliner Kultursenats betroffen. Das Resultat: Ein Kino musste seine Pforten schliessen, das in der Vergangenheit massgeblich zu der Bekanntmachung spanischsprachiger Filme in Berlin beigetragen hat. Unser Projekt zog daraufhin ins Arsenal, wo das Ereignis im vergangenen Mai zu einem grossen Erfolg wurde. >Traeume von Al-Andalus< versammelte eine Auswahl spanischer Filme, die das Thema der marrokanischen Immigration in Spanien behandeln. Die Absicht bestand darin, eine Parallelitaet zwischen den Kinos und Gesellschaften von Spanien und Deutschland herzustellen. Wir hatten beispielsweise die kurdisch-deutsche Produktion >Kleine Freiheit< von Yueksel Yavuz im Programm, begleitet von einer Podiumsdiskussion zwischen einem spanisch-marokkanischen sowie einem kurdisch-deutschen Regisseur. Waehrend hier die Interkulturalitaet im Kino beider Laender Gegenstand der Auseinandersetzung war, behandelte eine Konferenz die marokkanische Immigration in Spanien. Dort standen sich wiederum zwei Experten der arabischen Welt gegenueber. Das multikulturelle Angebot in Europa mutet nicht selten wie ein oekonomisches Rundumpaket fuer den exotischen Konsum an. Vor allem in einem Land mit einer derart grossen und Jahrhunderte waehrenden Leidenschaft fuer das Exotische wie Deutschland. Das interessante am Kulturaustausch besteht im Vergleichen, wie wir das auch in der Filmreihe >Traeume von Al-Andalus< gemacht haben: Auf der einen Seite der kurdische Immigrant, auf der anderen Seite der marokkanische Immigrant; Regisseure mit Mischlingsstatus in beiden Laendern. Das scheint mir weitaus interessanter zu sein, als das Modell des mit multiplen Farben geschmueckten Schaufensters a la Karneval der Kulturen. Andere Kulturen kennen zu lernen, etwas ueber sie zu lernen, sollte nicht nur eine gastronomische Reise sein, sondern durchaus auch eine mentale Anstrengung implizieren. Auch dieser Prozess kann Vergnuegen bereiten und faszinierend sein. Aber er kann auch hart und enttaeuschend sein. In der deutschen Gesellschaft besteht das Risiko darin, dass der aufkommende Rassismus mit der Etikette >political correctness< kontrastiert wird. Das ist zwar in einer gewissen Weise unausweichlich, aber dies kann den ebenso unausweichlichen Prozess des Kulturaustausches nicht ersetzen. Sprich: Die Diskussion und Selbstkritik zwischen den Kulturen, Ethnien und Gesellschaftsgruppen. Die Aufgabe von Kulturschaffenden ist es, etwas mehr als nur die kulturellen Klischees zu reproduzieren und diesen Prozess in Gang zu bringen. In Spanien ist das Problem aehnlich, mit dem Unterschied, dass erst im 19. Jahrhundert zunaechst mit den romanischen Dichtern wie Espronceda, spaeter mit Modernisten wie Villaespesa die Faszination fuer das Exotische aufkam. [Beziehungsweise wieder aufkam, nach dem mit der Entdeckung Amerikas zunaechst ein grosses Interesse an der Neuen Welt entbrannt war.] Die spanische Mentalitaet - und ich meine Spanien, nicht Lateinamerika - hat es ueber weite Strecken verstanden, das Andere, das Unbekannte und das, was gemeinhin von dem Etablierten abweicht, zurueckzuweisen. Diese Eigenschaft, also die Angst vor Pioniersarbeit, fuehrt dazu, dass es in Spanien viel schwerer ist, brisante und innovative Projekte zu verfolgen und finanziert zu bekommen. Heute tut man so, als haette man diesen Unterschied korrigiert - zumindest auf theoretischer Ebene. Ich habe in Deutschland mein Glueck gefunden, einem Land, das ich schaetze und das mir die Moeglichkeit bietet, eine Vermittlerin zwischen den Kulturen zu sein. Mehr noch: Vermutlich gehoere ich zu einer Spezies, die - Kultur in einem anderen Land als dem Vaterland machend - in der Lage ist, die eigene Kultur zu korrigieren. Jedenfalls kann der Blick in und aus dem Spiegel in dieser Phase der Globalisierung schon den Gedanken aufkommen lassen, dass die Wahrheit die Summe der Teile ist.

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