Der Fluss und der Durst

Wo es nicht fliesst, da ist gar nichts. Wasser zu Wasser, Staub zu Staub. Schon die Konzeption ist eine feuchte Angelegenheit. Das Saeugetier waechst in einer Wasserblase heran, in der es die Phylogenese nachvollzieht. Wenn das Wasserwesen stirbt, bleibt nur Trockenes uebrig. >Meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe, / die Zunge klebt mir am Gaumen. / Du legst mich in den Staub des Todes.< Psalm 22,16.

Feste Kleidung ist eine mobile Form der Behausung, die sich magisch die Staerke des Tiers aneignet. Wer den Reissverschluss oeffnet und das Leder abstreift, ist verletzlich, oeffnet sich dem Fluss der Kommunikation. >Die Wasser eines Stromes erquicken die Gottesstadt, / des Hoechsten heilige Wohnung.< Psalm 46,5. Die erste aesthetische Erfahrung des Fluessigen ist das Fliessen der Milch in den Mund. >Du salbst mein Haupt mit Oel, / du fuellst mir reichlich den Becher.< Psalm 23,5 Durst ist die staerkste metaphorische Beschreibung fuer ein als existentiell empfundenes Fehlen. >Nach dir schmachtet mein Leib, / wie duerres, lechzendes Land ohne Wasser.< Psalm 63,2. Solange es hinein- und hinausfliessen kann, ist es gut. >Oeffne mir die Lippen, / und mein Mund wird deinen Ruhm verkuenden.< Psalm 51,17. Der Versuch, das Fliessen in ein Gefaess einzufangen, hat etwas Paradoxes. >Durch das Meer ging dein Weg, / dein Pfad durch gewaltige Wasser, / doch niemand sah deine Spuren.< Psalm 77,20. Der Informationsfluss muss reguliert werden, um Ueberflutung und Kollaps zu verhindern. Weil der Strom einen Weg finden wird, muss aber scheitern, wer ihn voellig zu stoppen versucht. >Sie sollen vergehen wie verrinnendes Wasser / wie Gras, das verwelkt auf dem Weg.< Psalm 58,8. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Kulturredakteur bei der taz – die tageszeitung.]

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