Imperium des Ausnahmezustands: Die hegemoniale Welt-Raum-Ordnung der USA

Wer den Ausnahmezustand ausruft, kann wirtschaftliche Interessen hinter politischen Vorzeichen durchsetzen. Und steht dabei unter Immunitätsschutz. Aus aktuellem Anlass sondiert die Soziologin und Berliner Gazette-Autorin Yana Milev im ersten Teil ihrer Analyse die Emergency-Strategien der USA.

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Wie die Medienrealitäten bekannt geben, kann heute von einem gesteigerten, multiplizierten Geschäft mit dem Schmitt’schen Paradigma des Ausnahmezustands, resp. dem Kriegsrecht, ausgegangen werden. Nach einer kurzfristigen Rekonvaleszenz im Kartell des Kalten Krieges steigen die Schmitt’schen Indikatoren mit Nachmillenniumseuphorie und im zeitgemäßen (nicht-kombattanten, unternehmerischen) Outfit erneut aus den Büchern.

Der neue (potsmoderne) Global-Akteur findet hier alte Vorschläge zur erneuten Verwendung, die an Wirkungsmächtigkeit in nichts eingebüßt haben: „Souverän ist, wer über den AZ entscheidet“. Bemerkenswert ist hierbei natürlich, wie eine vermeintlich rein deutsche Problemantik weltumspannende Züge annimmt, denkt man vor allem an das „The American Empire Project“, das Projekt US-protektionistischer Globalsouveränität.

9/11: Das Gründungsereignis der Heimatschutzindustrie

So gesehen kann das Millennium als Ende der Moderne, im Sinne der modernen Staats- und Regierungsformen betrachtet werden, sowie als Beginn einer Auflösung von Staaten, ihren Materien und Inhaberschaften. Das massive Outsourcing von Staatenmonopolen weltweit führt zu Privatisierungen derselben und damit zu Desorientierung, Kontrolllosigkeit und Anomie.

Als Beispiel des maximalen Outsourcings und zugleich maximalen Aushöhlung des Staates zur hollow corporation, wird hier das US-amerikanische Regierungsnetz der Bush-Administration vorgestellt. Die Phase zwischen dem Ende des Kalten Krieges, der noch nicht vollzogenen Gründung einer EU und dem Angriff auf das WTC, der in seinen Zusammenhängen immer noch ungeklärt ist, mobilisieren die USA zur Repräsentanz und zum Vollzug einer souveränen Weltalleinherrschaft, das heißt zum Ausagieren einer globalen Welt-Raum-Politik, welche mit dem Signal zum weltweiten Antiterrorkrieg besiegelt wurde.

9/11 gilt hierbei als Gründungsereignis der Heimatlandindustrie. Von da an ist die postmoderne globale Kriegspolitik explizit eine US-amerikanische. Mit 9/11 wurde der politische Feind umdefiniert: vom anti-kommunistischen Feldzug zum anti-terroristischen Feldzug. Die Postmoderne, ausgehend von der Großraumpolitik der USA um die letzte Millenniumswende, synchronisiert mit dem neoliberalen Globalisierungsfeldzug und oszilliert zwischen Globalisierung, Dienstleistung und Krieg.

The Agency – Der Prototyp postpolitischer Kriegsführung

Die totalitär verklärten Motive von Staaten, Staatengemeinschaften, Unternehmen und Organisationen bedienen sich ein und derselben Emergency Strategie, die zwischen Marktpolitik und Wohlstand, zwischen Terrorbekämpfung und Entwicklungshilfe, zwischen Truppeneinsatz und zivilen Dienstleistungsprogrammen, zwischen Demokratisierung und Kriminalisierung oszillieren.

Im Endeffekt handelt es sich immer wieder um das gleiche Szenario: Initiierung von Katastrophen zur Erwirkung des State of Emergency, des rechtsfreien Raumes, oder vice versa – die Nutzung von Natur-, Kultur- und politischen Katastrophen für die Erwirkung eines State of Emergency, eines rechtsfreien Raumes.

Dieser rechtsfreie Raum, zwangslegalisiert durch einen Ausnahmezustand, einer Emergency (dem Begriff Emergency sind beide Ereignisse inhärent: der State of Emergency und vice versa die Kulturkatastrophe), ist schließlich die operative Zone, in dem Akteure willkürlich ihre wirtschaftlichen Interessen hinter politischen Vorzeichen durchsetzen und dabei unter einem (erkauften) Immunitätsschutz stehen. Der weltweite Antiterrorkrieg mit der Losung Protecting the Homeland! ist ein optimaler Rückprospekt für die geopolitische und psycho-politische Replikation der Emergency-Strategie.

Das Emergency Empire

Das Emergency Empire ist als eine im US-amerikanischen Modell, seit der Gründerzeit der USA in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts, angelegte Großraumordnung, zugleich einem Ur-Europäischen Modell verpflichtet, dem Modell des Hobbes’schen Gesellschaftsvertrags des Leviathan.

Mit der quasi Neo-Hobbes’schen USA-Politik erzeugt sich ein omnipräsentes, supranationales, global-securitäres Modell, das sich bis in Mikroterritorien des Lokalen und Psychologischen hinein repliziert und reproduziert. Den Unterschied macht dieses Empire, im Vergleich zu den klassischen Kolonialempires der europäischen Imperien im ersten und zweiten Jahrtausend, in der Strategie seiner Selbstdarstellung und Selbsterhaltung.

Diese Strategie ist eine intransparente, camouflierte, auf Euphemismen basierende mentale Infektionsstrategie im Replikationsmodus. Da die Empfänger dieser Botschaften im postfordistischen Medienzeitalter an den Informations-Gates sitzen, jenen Durchlassstellen zu den Sozialorganen (im Allgemeinen und im Speziellen), kann die Emergency Strategie der Agency auch als biopolitische Informationskriegsführung bezeichnet werden.

Das US-Empire vom Staatenkonstrukt zur Corporation

An dieser Stelle vermischen sich Cyberwar und Bioterror. Während sich die klassischen Kolonialempires durch militärische Invasionen, Feldzüge und Schlachten, Territorien und Kontinente einverleibten, leviathanisch angliederten und assimilierten, sowie die eroberten Ressourcen, seien es human ressources, Bodenschätze oder Kulturgüter in wirtschafts-politischer, wie in musealer Weise dem herrschenden Kulturstandart unterordneten, funktioniert das Emergency Empire auf der Basis der horizontalen und vertikalen Replikation der biopolitische Informationskriegsführung.

Das heißt, dass es nicht mehr notwendig ist, mit militärischen Offensiven Großraumordnungen im alten kolonialistischen Stil zu schaffen, also Landesgrenzen und Ländernamen auszulöschen, da Territorien und Akteure mehr und mehr durch horizontale und vertikale Replikation die herrschenden Doktrinen der Emergency-Strategie und des Emergency-Szenario duplizieren.

Dieser Replikationsmodus des Emergency Empire ist per se leviathanisch – und behemoth’isch zugleich, denn der Leviathan ist nur die Außenraumhülle (Staaten pro forma, die, wie die Staaten der EU, militärisch aber anderen Gesetzmäßigkeiten folgen und nicht den innerstaatlichen), die dem Vormarsch einer behemoth’schen Replikation in den Innenräumen, covert. Das U.S. – Empire hat sich so vom Staatenkonstrukt zur Corporation transformiert und gilt als Vorbild für die gouvernementale Aufrüstung biopolitischer Informationskriegsführung.

Anm.d.Red.: Vor kurzem erschien in der Berliner Gazette Yana Milevs kontrovers diskutierter Beitrag Offener Brief: “Die USA-Hörigkeit der deutschen Regierung ist mehr als beschämend!”. Das Motiv oben stammt aus dem Commons-Archiv auf flickr.

2 Kommentare zu “Imperium des Ausnahmezustands: Die hegemoniale Welt-Raum-Ordnung der USA

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