Der lange Weg nach Mitte

Ich komme aus einer sehr reichen Familie aus der Hauptstadt Kambodschas -Phnom Penh. Viele meiner Verwandten waren Regierungsangestellte.

1972 hat mich meine Grossmutter in die Provinz Kompong Chnang zu meinem Onkel geschickt. Mein Onkel hat dort mit seiner Frau und seinen Kindern gelebt und als Arzt gearbeitet. Dort habe ich, bis der Krieg 1975 anfing, gelebt.

Bevor der Krieg kam, habe ich im Paradies gelebt. Ich war ein verwoehntes Enkelkind meiner Grossmutter, konnte die Schule besuchen, Fremdsprachen lernen und hatte ein sorgenfreies Leben. Und auf einmal lebte ich in der Hoelle. Als ich zwischen 12 und 13 Jahre alt war, kamen die Roten Khmer an die Macht. In dieser Zeit musste ich 15 bis 17 Stunden am Tag arbeiten, sieben Tage die Woche. Ich war unterernaehrt.

Ich merkte, dass ich mich aendern musste. Was ich an Luxus erlebt hatte, Fremdsprachen, die ich kannte, den Sprachstil, den ich benutzte, musste ich aendern und so tun, als wuerde ich alles vergessen. Ich musste alles von weiss auf schwarz drehen.

Zuerst wollten die Roten Khmer wissen, wo ich herkomme, welchen familiaeren Hintergrund, Schulbildung und Sprachenausbildung ich habe. Sie wollten genau wissen, was fuer ein Mensch da vor ihnen stand.

In dieser Zeit hat jeder versucht sich selbst zu retten. Man vertraute seiner Mutter nicht, dem Bruder nicht, dem Onkel nicht. Die Menschen haben sich gegenseitig verraten, um das eigene Leben zu retten.

Waehrend des Krieges gab es sehr wenig zu essen. Irgendwann habe ich dann Essen geklaut, weil ich so hungrig war. Unter den Roten Khmer war es verboten, Fruechte von Baeumen zu pfluecken, die eigentlich oeffentliches Eigentum waren. Diebe wurden bestraft.

Das letzte Mal, als ich wegen Klauen erwischt wurde, hatte ich von einem kleinen Familienbauernhof einen getrockneten Fisch gestohlen. Als sie mich geschnappt haben, haben sie mich festgebunden und geschlagen. Dann kamen die Roten Khmer.

Die Roten Khmer waren keine Erwachsenen, sondern sie waren so gross wie ich, 13, 14, 15 Jahre alt und trugen Pistolen und Gewehre. Doch ihre Gehirne waren von Gewalt und Brutalitaet fasziniert und auf diese programmiert.

Sie haben ganz laut gerufen >Guckt mal den Verbrecher an, den Verraeter, den Amerikaner!<. Dann haben sie ihre grausamen Spielchen mit mir gespielt. Sie haben mich gefesselt, meine Arme waren gebunden, wie die Fluegel eines Papageis. Dann haben sie mir eine Augenbinde umgelegt und mich mit einer Schnur an ein Fahrrad gebunden, hinter dem ich her rennen sollte. Weil ich nichts sehen konnte, bin ich oft gestuerzt. Dann haben sie mir die Augenbinde abgenommen und ich musste weiter rennen. Nach diesem Vorfall habe ich beschlossen, mich total zu aendern. Um ein neues Leben anzufangen, musste ich mich selbst beluegen, wer ich war, wo ich herkam, was ich wusste. Also habe ich mir gesagt, dass ich auch ein Roter Khmer bin. Von da an, war ich ein Waisenkind ohne Verwandte und ich kannte keine Fremdsprachen. Um bei den Roten Khmer zu ueberleben, habe ich bei Null angefangen. 1979 haben mich die Roten Khmer zum dritten Mal geschnappt, wieder beschimpften sie mich als Verraeter. Diesmal fuehrten sie mich ungefaehr einen Kilometer in den Wald, wieder mit verbundenen Augen. Ich wusste nicht, wo ich war, ich habe nur die Aeste und Zweige gespuert, die mich am Arm beruehrten. Dann haben die Soldaten miteinander geredet, was sie mit mir machen sollen. Da dachte ich mein Leben waere gleich zu Ende. Und vielleicht, so dachte ich, waere es auch besser so. Dann habe ich angefangen, zu beten und zu meditieren, wie es meine Grossmutter mir gezeigt hatte. Dann haben sie eine Art Hacke an mein Genick gelegt. Sie haben gesagt, ich solle aufhoeren zu reden und zu quatschen und zu meditieren, da mir kein Gott helfen wird. Irgendwann spaeter haben sie mich eingesperrt und zwei Tage habe ich nur Wasser bekommen. Nach zwei Tagen, haben sie mich gefragt, ob ich bereue und ich sagte >Ja<. Ich bat um Verzeihung. Spaeter in dieser Nacht bin ich geflohen. Im Wald habe ich andere Leute getroffen, mit denen ich nach Thailand ging. Ich war ganz allein, keine Verwandte, keine Familie war mit mir. Ich war hilflos und einsam. Es war schlimm. In Thailand hat mich eine thailaendische Familie aufgenommen und ich habe durch Zuhoeren die Sprache schnell verstanden. Dann bin ich in das Fluechtlingslager des DRK [Deutsches Rotes Kreuz] gekommen. Dort bin ich zur Lagerinformation gegangen und habe Informationen ueber meine Verwandte im Ausland bekommen. Eine meiner entfernten Tanten ist 1972 nach Los Angelos / USA ausgewandert. Aus den Fluechtlingslagern an der Grenze konnten einige Menschen ins Ausland gehen. Wenn man Verwandte im Ausland hatte, ging es natuerlich schneller. Im Lager habe ich auch erfahren, dass mein Vater noch am Leben war und in Deutschland lebte. Noch vor dem Krieg ist er in die ehemalige DDR gegangen, um dort zu studieren. Er war nicht unter den Kambodschanern gewesen, die aus dem Ausland kommend, auf dem Flughafen von Phnom Penh erschossen wurden. Das hatte ich aber die ganze Zeit gedacht. Mit 19 kam ich schliesslich nach Deutschland. Ich habe hier keine Schulausbildung oder Lehre gemacht. Am Anfang war es nicht einfach mit meinem Vater unter einem Dach zu wohnen. Nach einer Weile habe ich meine eigene Wohnung bekommen und angefangen zu arbeiten. Ich habe alles gemacht, Tellerwaescher, Reinigungskraft, Kellner. Bis heute habe ich sehr viel Erfahrung in vielen verschiedenen Jobs gesammelt und zahle seit 20 Jahren in Deutschland Steuern. Ich habe auch die deutsche Staatsbuergerschaft. Mein Vater und meine Halbgeschwister leben auch in Berlin und ich habe wieder regelmaessig Kontakt zu meinem Vater. Meine Mutter lebt noch in Kambodscha und ich unterstuetze sie finanziell, so gut es geht. Eine Wahrsagerin hat mir einmal gesagt, dass ich erst im Alter gluecklich werde. Ich wuensche mir, dass ich irgendwann genug Geld haben werde, um eine traditionelle Zeremonie fuer meine verstorbene Grossmutter zu machen. Sie war die wichtigste Person in meinem Leben. Und ich moechte gerne einige der vielen Pagoden in Kambodscha unterstuetzen.

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