Hatsune Miku ist eine virtuelle Figur und sie ist einer der größten Stars Japans. Hinter der Pop-Ikone mit den blauen Zöpfen steckt eine Gesangssoftware, die es Fans ermöglicht, Songs für ihr und mit ihrem Idol zu erschaffen. Der Medienwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Mitsuhiro Takemura verortet dieses Phänomen zwischen Firmen-PR und Fan-Kreativität.
*
Hatsune Miku ist Ausdruck eines interessanten Trends: Die Menschen, die früher als Fans, Verbraucher und Nutzer bekannt waren, stehen nun im Mittelpunkt einer Warenschöpfung. Das ist in Japan sowohl online und als auch offline ein Massenphänomen. Es gibt jede Menge kreative Artefakte. Beispielsweise mehr als 100.000 Songs und mehr als 400.000 Videos, die im Namen von Hatsune Miku entstanden sind. Und auch in der Offline-Welt finden sich Fans, die gleichzeitig Schöpfer sind, zu Konzerten, Kostumpartys und vielem mehr zusammen.
Erfinder von Hatsune Miku ist Crypton Future Media – im Moment der größte Distributor von Musik-Software in Japan. Das Unternehmen beliefert individuelle Content-Hersteller, Spiele-Unternehmen, Musikproduzenten und viele andere mit seinen Produkten. Die meisten dieser Produkte wurden auf der Grundlage einer Stimmsynthetisierungssoftware namens Vocaloid entwickelt. All das steht im Zeichen von “Consumer Generated Media”, also von Fans erschaffenen Werken.
Die Geburt von Hatsune Miku
Mit Vocaloid 2 schuf Crypton eine ziemlich erstaunliche Software. Sie zeichnet die Stimme einer realen Person auf und synthetisiert sie mit der vorgezeichneten Gesangsstimme Saki Fujitas – eine bekannte Synchronsprecherin in Japan. Als nächstes bekam diese Stimme ein Gesicht. Der Mangakünstler KEI entwickelte einen Charakter, der der Software eine Identität verlieh: ein junges Mädchen mit dem geradezu stereotypischen Aussehen einer Manga-Heldin. Die Stimme, das Gesicht und der Charakter bekamen einen Namen: Hatsune Miku.
Nach der Veröffentlichung im August 2007 erschienen schnell tausende von Grafiken, Songs und Videos im Internet. Im Moment können 360.000 Hatsune Miku-Videos auf YouTube gefunden werden, während circa 100.000 originäre und derivative Werke auf der Webseite Piapro angezeigt werden. Die Appropriationen des Gesichts mit den langen blauen Zöpfen sind unzählbar und reichen von verspielten Baby-Versionen, Bastelvorlagen, handgezeichneten Apotheosen, (teil pornofizierten) Glitsch-Varianten und den üblichen Desktop-Fan-Fantasmen.
Um Hatsune Mike populär zu machen, organisierte Crypton Konzerte in Japan, Hong Kong, Taiwan, Singapur und Los Angeles, die Tausende von Menschen lockten. Im November 2013 ging Crypton für Hatsune Miku eine Kooperation mit dem Designer Louis Vuitton und dem Regisseur Toshiki Okada ein. Gemeinsam wurde in Paris eine Vocaloid-Oper auf die Bühne gebracht. Titel der Oper: “The End”.
Traditionelle PR und neue Ansätze
Längst wird Hatsune Miku auch als Star in verschiedenen Werbespots gefeiert, wie z.B. für Toyota, PlayStation oder Domino Pizza. Derart eher klassische PR-Arbeit verbindet Crypton mit einem neuen Ansatz: Die Firma versucht ihre Kunden in einer dialogischen Weise einzubeziehen. Sie ermöglicht ihnen, kreativ zu werden und sich darüber untereinander auszutauschen.
Ein Beispiel dafür: Dadurch, dass die Vocaloid-Bewegung international expandiert, hat Crypton mit Mikubook einen Service entwickelt, der Fans mit Neuigkeiten über die weit verstreuten Aktivitäten auf dem Laufenden hält. Gleichzeitig wird die Interaktion unter ihnen gefördert. Dies ist, neben der traditionellen PR, für viele der eigentliche Schlüssel für den Erfolg von Hatsune Miku.
Als Reaktion auf die wachsende Beliebtheit von Hatsune Miku-Remixen, stellte Crypton im Dezember 2007 die Online-Community Piapro online. Hier können Vocaloid-Fans ihre eigenen Inhalte, wie Musik, Kunst, Lyrics, Charaktere und 3D-Modelle hochladen. “Piapro” steht für peer production.
Als Crypton die Piapro-Plattform freigab, kam es zu einer regelrechten Explosion der Kreativität. Ein Beispiel ist die von Fans entwickelte Software Miku Miku Dance, die es den Benutzern ermöglicht, selbst Charaktere zu animieren und somit eigene Musikvideos zu erstellen.
Ko-Kreation als Spielart der Komplizenschaft
Der Erfolg von Hastune Miku kann mit der „Kette der Ko-Creation” erklärt werden. Eine Google-Chrome-Werbung bringt diesen Prozess auf den Punkt. Wir sehen darin, wie sich teils Hunderte von Menschen an der Erschaffung eines einzigen Hatsune Miku-Stücks beteiligen. Eine Person erarbeitet Texte, eine andere Gitarren-Akkorde oder eine Keyboard-Sequenz, dann erschafft eine Tänzerin eine Choreographie. Der Höhepunkt von allem ist die zusammenhängende Performace aller in einem Live-Konzert.
Schaffung einer neuen Lizenz
Das Phänomen entwickelte eine besondere Dyanmik, nachdem Crypton Änderungen am Copyright von Figur und Software vorgenommen hat. Aus einem “Alle Rechte vorbehalten” wurde “einige Rechte vorbehalten”. Die Piapro-Character-Lizenz (PCL) war geboren. Die Hatsune Miku-Illustrationen stehen nun unter einer Art Creative Commons-Lizenz, die dem Schöpfer fast völlige Freiheit für den nicht-kommerziellen Gebrauch von Hatsune Miku erlaubt.
Fans reagierten auf diese Freigabe, indem sie Hunderttausende von Musik-Videos mit einer Vielzahl von gemeinsamen Kostümen und Bildern auf der Video-Sharing-Website Nico Nico Douga posteten. Diese Seite funktioniert wie YouTube – mit dem Unterschied, dass Benutzer in Kommentaren blättern können, während sie ein Video ansehen.
Heutzutage verkaufen führende MikuP (“Hatsune Miku-Produzenten”) ihre Arbeit online. In Karaoke-Bars kann man Hatsune Miku-Songs singen.
Kulturproduktion neu erfinden
Cryptons Präsident Hiroyuki Itoh sieht das Hatsune Miku-Phänomen als eine Chance, die Unterhaltungsindustrie zu überdenken. “Es ist eine andere Form der Kreativität”, sagt er. “Wir erfinden den Prozess der Herstellung von Inhalten neu.”
Ich stimme Itoh zu. Ich glaube, dass Popkultur soziale Dynamiken verstärken und somit zu einer Vitalisierung von Bürgermedien beitragen kann. Dies passiert letztendlich durch die Zusammenarbeit von Amateuren und Profis.
Leitfaden für den Übergang: Acht Richtlinien
Was können wir aus der Zusammenarbeit von Amateuren und Profis lernen? Was für Lehren lassen sich daraus für die Zukunft der Kulturproduktion ziehen? Ich denke, dass die althergebrachte Beziehung zwischen Kanon und Fanon überdacht werden muss.
Kurz gesagt: Der Kanon repräsentiert die Werte und Praktiken von Profis; der Fanon repräsentiert die Werte und Praktiken der Amateure (oder Fans). Ich denke, dass es unser Ziel sein sollte, einen starken und kontinuierlichen Dialog zwischen den beiden Lagern zu ermöglichen. Dies schafft einen Nährboden für Komplizenschaft in einem neuen Maßstab und in einer neuen Qualität. Doch wie kommen wir da hin?
Ich möchte ein paar Richtlinien vorschlagen:
1 . Wir müssen über den “Kult des Originals” überwinden
2 . Wir müssen den Wert von Kopien, Variationen, Versionen und Updates neu entdecken
3 . Wir müssen die kulturelle Kreativität und die Rechte der Fans (Leser, Nutzer und Verbraucher) anerkennen
4 . Wir müssen Fans als Quelle von Kompetenz anerkennen
5 . Wir müssen die Komplizenschaft traditioneller Verlage und Profis mit den Amateuren unterstützen
6 . Wir müssen Austausch zwischen Profis und Amateuren fördern
7 . Wir müssen sowohl die kulturellen und rechtlichen als auch die wirtschaftlichen und politischen Mechanismen für die Wertschätzung von User Generated Content erarbeiten
8 . Schließlich müssen wir uns bereitmachen für eine Ära im Namen von “thrid content”
In der neuen Ära werden die Werke von Fans und anderen Kreativen nicht mehr unterdrückt und als inoffizieller Inhalt abgetan. Komplizenschaft zwischen Amateuren und Profis wird als ein kooperativer Ansatz gelten, um Inhalte zu erschaffen. Diese neuartigen Inhalte nenne ich “third content”.
Anm. d. Red.: Mitsuhiro Takemura war einer von rund 50 internationalen Gästen der COMPLICITY-Konferenz der Berliner Gazette. Der Text ist eine überarbeitete und übersetzte Fassung des Vortrags, den Mitsuhiro Takemura auf der Konferenz hielt – oben im Video-Player in der Live-Aufzeichnung zu sehen, gefolgt von einem Vortrag Valie Djordevics. Die umfangreiche Dokumentation der Konferenz (Live-Videos, Graphic Recordings, etc.) findet sich hier: berlinergazette.de/complicity.
das ist eine klasse video mit kindern aus usa, die auf hatsune miku reagieren, teilweise sehr kluge kommentare:
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=egcfC7PCneQ
Ich bin schon seit längerem Miku Fan und habe die Gelegenheit genutzt mir die Oper in Paris (am 15.11.) anzusehen.
Es war einfach klasse!
Und besonders interessant fand ich das das Publikum mehr als bunt gemischt, bei ausverkauften Haus, gewesen ist. Nicht nur das die Leute kreuz und quer aus Europa angereist sind, nein es waren auch ältere Menschen dabei die vermutlich noch gar keine Berührung mit ihr, geschweige denn mit ähnlichem hatten. Und alle waren am ende mehr als begeistert!
Das Thema der Oper an sich war zwar mehr als düster, dennoch hätte man es nicht anders aufführen können.
Ich kann nur sagen, wer da nicht bei war der hat in der Tat was verpasst!
Ich hoffe sehr das sie auch in Europa immer präsenter wird, und das die Software soweit entwickelt wird, das sich die Englische Version eines Tages genauso flüssig anhören wird, wie die japanische!
Bei aller sich entwickelnden Kreativität der User ist es doch höchst bedauerlich, dass der Prozess sich an einem “Objekt” entzündet, das mit sauer süßem Kitsch nur sehr ungenügend beschrieben werden kann. Und das in einem Land der bildnerischen Hochkultur.
Die Figur der virtuellen Sängerin befriedigt doch alle primitiven Bedürfnisse einer Massen-unkultur, ähnlich den populären Sendungen der meisten privaten TV Sender. Muss man das auch noch unterstützen? Wären die Vorschläge, die hier gemacht werden nicht besser an virtuell interessanteren Objekten zu machen, als an dem gigantischen klischehaftem sexuell aufgeladene Kitsch a la Manga?
Th. Dee.
Das ist ein sehr gute verfasster Artikel, aber er ist nicht besonders recht aktuell und es gibt auch einen Fehler:
Vocaloid 2 wurde von Yamaha produziert und Crypton Future Media hat danach damit die Stimme “Hatsune Miku” entwickelt.
Mit der Software “Vocaloid 2” schufen Crypton and auch einige andere Firmen auch viele andere Singstimmen.
Ich allein höre zu 14 verschiedenen.
Außerdem muss ich erwähnen, dass der erste Vocaloid nicht Japanisch singt, sondern Englisch und er wurde von einer europäischen Firma erstellt.
Und Hatsune Miku hat in letzter Zeit auch an Popularität verloren, da es bereits “Vocaloid 3” gibt und ihre Stimme veraltet ist.
Das trug dazu bei das Der Vocaloid “Gumi” im Moment ebenfalls sehr populär ist.
Ich finde es insgesamt schade, dass andere “Vocaloids” fast nie von der Presse erwähnt werden.
Dabei haben diese ebenfalls Live Konzerte.
Doch eigentlich kann man darüber hinwegsehen, denn Hatsune Miku hat noch immer einen unglaubliche höheren Bekanntheitsgrad als alle anderen Vocaloids.
Hatsune Miku’s Stimme wurde nun in 2013 ge-“updatet”, indem ihre Stimme in den Vocaloid 3 Editor überspielt wurde. Außerdem wurde eine Englische Version hinzugefügt.
Was ich noch anmerken will, ist das ein Songwriter wie “Ryo” (der bekannteste Vocaloid-Musiker), der in 2007 seinen ersten Song auf NicoNico Douga hochlud, mit der Zeit eine Band “Supercell” aus 11 Mitgliedern Gründen konnte und nun sogar mit Songs, die er von echten Sängern singen lässt in die Japanischen Charts kommt.
Er ist sehr glücklich, dass das Programm ihm ermöglicht hat seine eigene Musik zu produzieren.
Ich denke viele Vocaloid-Produzenten sind Hobby-Musiker und ich habe viele Interviews gesehen in denen sie sich als solche bezeichneten. Tatsache ist, dass sie mit dieser Musik in die Charts kommen und viele Fans auf der ganzen Welt bekommen.
Ich bin im Moment in Japan an einer japanischen Schule und Vocaloid ist sehr bekannt in Japan.
Hier ist noch eine Dokumentation aus dem Jahr 2009, in der sehr gut über die Anfänge der Vocaloid Bewegung berichtet wird (Und Ja, es wird oft als eine Musikalische Bewegung bezeichnet):
http://www.youtube.com/watch?v=xBZOlipfjkQ
wunderbare Reaktion einer der Kinder auf dem oben erwähnten youtube aus den USA. “She is ugly” That’s it!
Thomas Deecke
Hier gibt es noch eine Band, die ähnliche Musik macht. Find ich auch richtig geil:
http://www.youtube.com/watch?v=9bnftRup4VQ&list=PLDDB7B1D1072F3740