Künstler und Hacker verkörpern zwei eigenwillige Formen von Autorschaft. Sie zeigen, was es bedeutet heute als autonomer Produzent, und nicht etwa als Auftragnehmer, tätig zu sein. Grundlage ihrer Autonomie sind zwei gegensätzliche Vorstellungen von Freiheit. Ein Essay von Internet-Theoretiker und Berliner Gazette-Autor Felix Stalder.
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Für den Künstler steht Freiheit im emphatischen Sinn am Anfang seiner Arbeit. Diese Freiheit rechtfertigt oder erfordert gar einen demiurgischen Akt der Setzung, aus dem heraus sich die Arbeit entfaltet und der die enge Verbindung zwischen „Autor“ und „Werk“ begründet.
Der Hacker hingegen beginnt mit der Erfahrung größter Unfreiheit. Die Arbeit des Hackers entfaltet sich in der Auseinandersetzung mit einem übermächtigen System, in dem, auf den ersten Blick, alle Handlungsoptionen (fremd)bestimmt sind. Sich dennoch Momente der Freiheit zu erobern, ist das Ziel des Hackers.
„Künstler“ und „Hacker“ sind hier Idealtypen, das heißt, konzeptionelle Abstraktionen, gebildet um gewisse Zusammenhänge, die in der empirischen Praxis immer nur diffus und in komplexen Gemengelagen auftreten, deutlicher hervorzuheben. Im folgenden soll derjenige zwischen der jeweiligen Konzeption von Freiheit, und den gesellschaftlichen Ordnungsmechanismen, die diese erfordern, beziehungsweise rechtfertigen, beleuchtet werden.
Freiheit und Eigentum
Die Annahme, dass der Künstler aus einer Position der vollkommenen Freiheit seine Arbeit beginnt, entwickelte sich historisch als Teil der bürgerlich-liberalen Konzeption von Freiheit: jeder Mensch wird frei geboren, was sich in letzter Instanz im Recht ausdrückt, über seinen eigenen Körper zu verfügen.
Aus dieser Freiheit heraus ergeben sich zwei wichtige Folgen. Erstens, das Eigentum an den Früchten der Anstrengungen, die der eigene Körper in der Arbeit vollbringt, und, zweitens, die Möglichkeit, die eigene Arbeitskraft auf dem Markt zum Kauf anzubieten, beziehungsweise sie dort von anderen einzukaufen. So wird gleichzeitig Eigentum und die ungleiche Verteilung gerechtfertigt.
Diese Konzeption richtete sich gegen alte Formen der Leibeigenschaft, der Fronarbeit und der willkürlichen Enteignung bzw. Besteuerung. Sie orientierte die Gesellschaft um, weg von der Verteilung von Gütern (in Form von Privilegien, verliehen durch den Souverän) hin zur Produktion von Gütern durch den Unternehmer, deren Anliegen so ins Zentrum der Gesellschaft gerückt wurden.
Die Konzeption von Freiheit als Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Interaktion war zentral für die bürgerliche Fassung der aufeinander bezogenen Kategorien “Individuum” und “Privateigentum”. Der Künstler stellt in diesem Kosmos die auf’s radikalste gesteigerte Form des bürgerlichen Individuums dar.
Dass der Künstler eine Steigerung einer allgemeinen Figur darstellt, drückt sich auch so aus, dass sie gleich doppelt durch die Rechtsordnung privilegiert wird. Zum einen durch den rechtliche Verankerung der Kunstfreiheit, die die Freiheit des Arbeitens des Künstlers garantiert. Zum anderen durch das Urheberrecht, das es dem Künstler erlaubt, dem Anspruch, dass sein Werk seine alleinige Leistung und damit auch sein exklusives Eigentum sei, durch zu setzen. Daraus entstand historisch die Möglichkeit, aus der Abhängigkeit des Auftraggebers zu treten und dem (zahlenden) Publikum auf gleicher Höhe entgegen zu treten. Ein Akt der Emanzipation, keine Frage. Soweit, so gut.
Digitale Massenkreativität: Wie aus Freiheit Unfreiheit wird
Die Eindeutigkeit dieses Befundes, so stellt der Politikwissenschaftler Christian Schmidt fest, „wird durch die Eigenschaft der Eigentumsordnung gestört, ihren Gegenstandsbereich immer mehr auszuweiten.“ In dem Maße wie auch Formen der Ideen und des Willens zum Gegenstand kapitalistischer Produktion werden, wird die Voraussetzung des Eigentumskonzeptes problematisch. Denn, so Konsequenz dieser Ausweitung, es wird „die deutliche Trennung zwischen Person und Eigentum, oder anders ausgedrückt, die Autonomie der Person in Frage gestellt.“ Denn die Subjektkonstitution des einen als alleiniger Autor bringt eine Objektkonstitution des anderen als reines Publikum mit sich.
So solange dies nur weniger tun, ist das kein Problem, versuchen nun aber alle, diese gesteigerte Form von Subjektivität für sich in Anspruch zu nehmen, dann beginnen sich Subjekte gegenseitig als Objekte zu konstituieren. Dies generiert einen fundamentalen inneren Widerspruch, denn entweder ist etwas Objekt innerhalb der Eigentumsordnung, was bedeutet, im Besitze anderer und damit vollkommen unfrei zu sein, oder es agiert als Subjekt in ihr, was bedeutet, Eigentum über sich selbst zu besitzen und damit frei zu sein. Die Verwerfungen des Urheberrechts in einer digitalen und vernetzten Gesellschaft – etwa wenn eine Abmahnung für das eigene Profilbild ins Haus flattert – lassen diesen Widerspruch, dass sich Subjekte plötzlich als Objekte wiederfinden, alltäglich werden.
Es zeigt sich also ein Paradox: jene Konstruktion, die die radikale Freiheit des Künstlers historisch begründete, wird heute zum Instrument der Unfreiheit, da sie von einer immer grösseren Zahl von Personen gleichzeitig in Anspruch genommen wird. Denn in der Figur des Künstlers ist die eigene Handlungsfähigkeit so konstituiert, dass sie allen anderen, dem Publikum, entzogen wird.7 Nehmen nun unter den Bedingungen digitaler Massenkreativität zu viele Personen diese Konstruktion in Anspruch, sind die Folgen widersprüchlich: Subjekte verwandeln sich plötzliche in Objekte. Aus Freiheit wird Unfreiheit.
System und Handlungsfähigkeit
Ganz anders die Konzeptions des Hackers. In ihr steht nicht eine idealisierte Vorstellung von Freiheit am Ausgangspunkt des Handelns. Im Gegenteil. Ausgangspunkt ist die Erfahrung von Unfreiheit. Die Begegnung mit einem mächtigen System, das von sich behauptet, alle Handlungsoptionen bereits definiert zu haben. Geht der Künstler von einem kulturell unter-determinierten Feld aus im dem die Freiheit der Setzung besteht, so muss der Hacker von einem kulturell über-determinierten Feld ausgehen, im dem jede Option und jeder Weg schon vor seiner Ankunft festgelegt ist. In diesem Feld gibt es zunächst keine Freiheit, sondern nur Fremdbestimmung.
Im System ist die Rolle des Hackers nicht vorgesehen. Sie wird durch einen Akt der Selbstermächtigung geschaffen. Grundlage dieses Akts ist eine spezifische Haltung in Bezug auf die Realität, die das System geschaffen hat. Wie der Kulturtheoretiker McKenzie Wark schreibt, „für den Hacker ist das, was als Real präsentiert wird, immer partiell, limitiert, vielleicht sogar falsch. Für den Hacker besteht versteckt im Realen immer ein Überfluss an Möglichkeit; der Überfluss des Virtuellen. Dies ist die unerschöpfliche Domäne dessen, was angelegt, aber nicht realisiert ist; das was nicht ist, aber sein könnte.“
Mit anderen Worten, während das System vorgibt, sich selbst gegenüber transparent zu sein, sich vollständig zu beschreiben, beginnt die Intuition des Hacker damit zu vermuten, dass das System sich selbst gegenüber intransparent ist und noch ganze andere Möglichkeiten besitzt, wie diejenigen, auf die hin es konstruiert wurde. Die Arbeit des Hackers zielt nun darauf, diese verborgenen Möglichkeiten ans Licht zu fördern, und wenn es sich bei diesem Licht auch nur um den schwachen Schein des eigenen Bildschirms handelt.
Der Hacker ist aber kein einfacher Entfesselungskünstler oder Feinmechaniker am Schlüsselloch, sondern die Arbeit des Hackers ist eher mit der eines Judokas zu vergleichen. Er nimmt die Kraft und Ressourcen des Systems auf, lenkt sie aber in eine andere Richtung. Er bringt das System dazu, etwas zu tun, das im System selbst nicht vorgesehen war, wozu das System aber fähig ist. Dieser Akt verwandelt Fremdbestimmung in Selbstbestimmung. Die Freiheit des Hackers ist das Resultat seiner Arbeit, nicht die Voraussetzung. Als solches ist sie immer bedroht, temporär und performativ, einer feindlichen Umgebung abgerungen, die alles daran setzt, die vom Hacker geschlagenen Schlupflöcher zu stopfen, oder sie, sofern sie mit dem Systemzweck kompatibel sind, dem Hacker zu entfremden und in eine vorgefertigte und kontrollierte „Option“ umzuwandeln.
Was die Arbeit des Hackers auszeichnet ist ihre Virtuosität, die besonderen Fertigkeiten ein System „gegen den Strich“ zu lesen, und diese Sicht, diese Vision des Virtuellen, zu realisieren. Virtuosität ist aber nicht mit handwerklicher Perfektion gleich zu setzen, sondern konstituiert sich als „playful cleverness“, wie das Richard Stallman, Gründer der Freien Software Bewegung, ausdrückt.
Insofern ist ein Hack auch nicht nachahmbar, ohne ihm seine spezifische Virtuosität zu nehmen. Jeder Hack ist einmalig. Virtuosen, so schreibt der Philosoph Paulo Virno in Bezug auf aufführende Künstler, „verrichten in erster Linie eine Tätigkeit, die ihre Erfüllung (bzw. ihren Zweck) in sich selbst findet, ohne sich in einem die Zeit überdauernden Werk zu vergegenständlichen, ohne sich in einem ‘fertigen Produkt’ abzulagern, d. h., in einem Gegenstand, der über die Ausführung hinaus existiert. In zweiter Linie handelt es sich um eine Tätigkeit, die die Anwesenheit anderer voraussetzt, nur im Angesichts eines Publikums existiert.“ Für Virno begründet die Bezogenheit auf ein Publikum, die Notwendigkeit der Öffentlichkeit, den essentiell politischen Charakter der Virtuosität.
(Computer) Hacker agieren normalerweise nicht direkt vor Publikum, aber sie hinterlassen oftmals Botschaften, die ihre Virtuosität indirekt bezeugen. So stand auf den Bildschirmen des NASA’s Goddard Space Flight Center, Greenbelt, Maryland am 16. Oktober 1989 plötzlich diese Botschaft. Hinterlassen wurde sie, so stellte ich später heraus, von einer Gruppe Hacker aus Melbourne, zu der auch ein gewisser Julian Assange gehörte, der 20 Jahre später direkt vor ein globales Publikum treten sollte.
Während bei traditionellen Hackern das Verhältnis zum Publikum nur innerhalb einer geschlossenen Gemeinschaft oder indirekt artikuliert ist, ist dieses Verhältnis für die Arbeiten der !Mediengruppe Bitnik von zentraler Bedeutung. In „Delivery for Mr. Assange. A live mail art piece“ wurde nicht nur das postal system gehackt, das heißt, zu einen Zweck verwendet, der von der Royal Mail nicht intendiert war, sondern es wurde das Publikum direkt mit einbezogen. Aber nicht dadurch, dass ihnen eine vorgefertigte Rolle zugewiesen wurde – wie das in den meisten „partizipativen“ Arbeiten der Fall ist – sondern dadurch, dass sich das Publikum selbst ermächtigen konnte, neue Handlungsmöglichkeiten im Script der Bitniks zu finden, Handlungsmöglichkeiten, die, so würde es Wark ausdrücken, ihrem eigenen Verständnis des Überfluss des Virtuellen entsprangen.
Virtuosität und Publikum
Der Virtuose und das Publikum konstituieren sich gegenseitig, durch geteilte Präsenz und geteilte Aufmerksamkeit, in einem doppelten Moment der Freiheit. Weder weiss der Virtuose, wie das Publikum reagieren wird, noch weiss das Publikum, was der Virtuose genau machen wird.
Darin liegt ein utopisches Moment, das auf eine kulturellen Landschaft jenseits des aus der Zeit enthobenen geistigen Eigentums und seiner zunehmend problematischen Stützkonstruktionen verweist. Anstatt darauf angewiesen zu sein, dass Handlungsfähigkeit äusserst ungleich verteilt wird, wird eine Situation entworfen, wo die eigenwilligen aber aufeinander bezogenen Handlungen von „Autor“ und „Publikum“ gemeinsam das „Werk“ darstellen.
Wie radikal Freiheit unter Bedingungen größter Unfreiheit gestaltet werden kann, zeigen Hacker wie Assange politisch/publizistisch. Sein Insistieren darauf, dass Quellenmaterial veröffentlicht wird, zielt genau darauf ab, möglichst vielen Akteuren zu ermöglichen, diese Material in ihre eigenen Projekte einzubauen, seien das journalistische, strafrechtliche oder politische. In der Arbeit der Bitniks wird sichtbar, was es bedeutet, mit der Haltung des Hackers künstlerisch Tätig zu sein. Auch hier wird die eigene Freiheit durch die Freiheit der anderen, des ehemaligen Publikums, nicht bedroht sondern erweitert.
In beiden Fällen wird aber auch sichtbar, wie fragil diese utopische Freiheit ist. Assange sitzt auf einigen Quadratmetern in London fest. Schon das nächste Paket der Bitnik, an Mr. Rajab, verschwand im schwarzen Loch von Dubai. Diese Runde gewann das System. Und die nächste?
Anm. d. Red.: Dieser Beitrag ist in gedruckter Form im Buch “Hacking” (Christoph Merian Verlag) verfügbar, herausgegeben von Dominik Landwehr / Migros-Kulturprozent. Die Fotos stammen von gato-gato-gato und steht unter einer Creative Commons Lizenz.