Ich bin Juniorprofessor am Brooklyn College Conservatory of Music, einem Teil der City University von New York und auch Direktor des Graduiertenprogramms “Performance and Interactive Media Arts”, eine Zusammenarbeit fuenf verschiedener Abteilungen: Theater, Kunst, Funk und Fernsehen, Informatik und dem Musikkonservatorium. Ausserdem bin ich Dichter und Komponist.
Aus irgendeinem Grund wird diese Mehrfachtaetigkeit oft als Vorbild genommen. Ich denke, dass die Bildung in den USA verbessert werden koennte, wenn man Programme zur interdisziplinaeren Zusammenarbeit als vorbildhaft betrachten wuerde. Ich sage das aus Erfahrung. Insbesondere Kunsterziehung wuerde vom Austausch zwischen den Disziplinen profitieren.
Als ich Literatur studierte, gehoerte das zu den Dingen, die mich am Studium verzweifeln liessen – diese exzessive Spezialisierung, das mangelnde Wissen ueber aehnliche Fachrichtungen in den Kunst- und Geisteswissenschaften. Das gehoerte zu den Dingen, die den Unterschied auszumachen schienen zwischen den Akademikern und den praktizierenden Kuenstlern – dass letztere sich einfacher in die Multidisziplinaritaet einfanden.
Im Englischen ist es von Bedeutung, dass “learning” ein Gerundium ist, ein substantiviertes Verb, also aktiver, engagierter. Das ist der offensichtliche Unterschied zwischen “lernen” und “learning”, auch wenn ich persoenlich eher zu aufgabenorientierteren Begriffen neige: “Projekt”, “Zusammenarbeit”, “Komposition” und so weiter.
Lernen wird im Deutschen offenbar oft im Sinne des Auswendiglernen oder Paukens benutzt. Aber das Wort hat im Englischen einen anderen Wert. Ich bin 42, und es scheint lange her zu sein, seitdem das letzte Mal von mir erwartet wurde, dass ich etwas auswendig lerne. Als Erwachsener erkenne ich offensichtlich die Limitierungen des Auswendiglernens – und versuche es zu vermeiden, das zum modus operandi in meinem Klassenzimmer zu machen – auch wenn ich gestehe [und das hat wenig zu tun mit meiner sich weiterentwickelnden Bildungsphilosophie] dass ich es immer geliebt habe, Fakten auswendig zu lernen. Aber das ist meine eigene kleine Marotte, die mit meiner obsessiven Persoenlichkeit zu tun hat.
Ich selbst habe viele gute Bildungserfahrungen gemacht. Ein Beispiel: Als Student wurde ich durch einen Kurs inspiriert, der “Gnostizismus und die moderne Imagination” hiess und ko-unterrichtet wurde von einem Philosophieprofessor [fuer den wir Hans Jonas’ “The Gnostic Religion” und fruehe christliche gnostische Texte lesen mussten] und einem Literaturprofessor [mit dem wir “Pale Fire”, “Naked Lunch” und “Last Exit to Brooklyn” behandelten]. Es gab eine schmerzhafte und sehr aufregende Spaltung zwischen den beiden Haelften des Kurses.
Keiner der Professoren schien sich sonderlich fuer die Grundpraemisse des Kurses zu engagieren, naemlich die weltleugnenden Qualitaeten moderner Literatur als Ausdruck von gegenwaertigem Gnostizismus. Es war ein zutiefst merkwuerdiger, offener Kurs, in dem die Professoren genauso hart zu arbeiten schienen wie die Studenten. Allen gewoehnlichen Massstaeben nach galt der Kurs als “gescheitert”, aber er gehoert zu den lehrreichsten Erfahrungen meines Studiums.
Als Student an der Georgetown-Universitaet habe ich unheimlich viel von Daniel Moshenberg gelernt, der Kurse ueber Gefaengnisliteratur und Sozialismus und Literatur gegeben hat. Er war sozial sehr engagiert [ich erinnere mich an seine Arbeit mit der Metro Area Fair Banking Coalition, um zu versuchen, die Banken dazu zu bringen, armen Nachbarschaften mehr Krediten zu gewaehren] und beschaeftigte sich gleichzeitig intensiv mit der Kritischen Theorie. Meine Einfuehrung in Theorie kam also von jemandem, der der sozialen Praxis sehr verbunden war.
An der University of Chicago liebte ich Miriam Hansens Arbeit ueber die Moderne und fruehes Kino, und ihr grossartiges Seminar ueber die Frankfurter Schule und Massenkultur. Sie duldete keine Taeuschung – man musste wirklich in der Lage sein, die Argumente aus den scheinbar kompliziertesten Texten praezise zusammenzufassen. James Lastra und W.J.T. Mitchell waren auch exzellente Lehrer der Literatur, die auch interessiert waren am Dialog mit und zwischen Kunst, Musik und visual culture.
Als Fan und Amateurhistoriker von Rock, Punk und New Wave, war ich schon immer absolut ueberzeugt von der Breitenrelevanz von Pop und Underground und experimenteller Kultur, bevor mir ueberhaupt bewusst wurde, dass es so etwas wie einen akademischen Kanon gibt. In dieser Hinsicht hatte ich Glueck – ich musste nicht erst ueberzeugt werden, dass der Kanon erweitert werden muss. Diese Art des Denkens war mir zur zweiten Natur geworden.
Ich machte meine ersten Aufnahmen als 14-jaehriger – eine 7-Inch-EP, mit einer Auflage von 500. Schon damals hatten wir die “Bibliothek von Alexandria” der hinter uns gelassen. Aber diese Aufnahmen, egal was ich spaeter von ihnen hielt [und ich hatte immer das Gefuehl, dass ich aus ihnen herauswachsen wuerde, und sie mich irgendwann stoeren wuerden], wuerden immer zugaenglich bleiben. Sie wuerden nicht verschwinden. Diese Situation hat sich auf unvorstellbare Weise verstaerkt. Das Albumformat: es stimmt, dass die Menschen weniger daran interessiert sind, Musik in dieser Form zu erfahren, aber fuer mich ist die Leichtigkeit des Zugangs zu Musik und dem begleitenden Material umwerfend.
Das bedeutet die digitale Welt, vor allen Dingen: aussergewoehnliche Zugreifbarkeit. Und dass dadurch immer weniger Konsens herrscht, fuehrt dazu, dass eine unglaubliche Menge an Material neu verfuegbar wurde. Die groesste Herausforderung ist fuer mich nicht, herauszufinden, wie ich mich mit dieser erhoehten Zugreifbarkeit auf digitale Informationen weiterbilden kann, sondern mich weiterhin darin zu ueben, mich auf ein einzelnes Thema lange genug zu konzentrieren. Aber ich habe nicht das Gefuehl, dass ich den Kampf verliere. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Komponist und Juniorprofessor am Brooklyn College Conservatory of Music.]
Ein Kommentar zu “Gnosis, Musik und Internet”