Mickey Newbury ist eine Schlüsselfigur des nordamerikanischen Folk – und war fast vergessen. Bis der Musikjournalist Chris Campion sein Werk mit Blick für analoge Ästhetik neu ediert hat. WAS BLEIBT von handgemachter Musik im Digitalzeitalter? Die Antwort kommt ohne einen Zwischenstopp in der ehemaligen DDR nicht aus.
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Ein Musikerfreund von mir, Matt Sweeney, hatte mich auf Mickey Newbury gebracht. Das erste Album, das ich von Mickey in die Finger bekommen habe, war „Frisco Mabel Joy“ – jetzt auch Teil des Boxsets „An American Trilogy“, das wir veröffentlicht haben. Es ist schon ein paar Jahre her, aber ich erinnere mich an ein Album, das von der ersten Note an etwas Besonderes war. Ich war sofort gefangen von Mickeys Gesang; er klingt rein und ehrlich emotional wie nichts, das ich bis dahin gehört hatte.
Das Album schien in einer Traumzeit zu spielen, ja ein Traumbewusstsein beim Hörer hervorzurufen. Obwohl ich es zum ersten Mal hörte, hatte ich das Gefühl, jeden einzelnen Song schon zu kennen. Später erkannte ich, dass es an Mickeys Gesang lag. Noch bevor das Album zu Ende ging, war ich ein Fan.
Ein Label gründen, auf Kleber verzichten
Ich habe eine Plattenfirma gegründet, um Mickey Newburys alte Alben zu veröffentlichen. Aber ich wollte den Markt nicht mit einer einfachen Neuauflage bedienen. Ich wollte die Musik wieder lebendig werden lassen.
Das Problem bestand darin, dass Mickey innerhalb der Musikindustrie sehr bekannt war, die allgemeine Öffentlichkeit ihn aber kaum kannte. Ich stand also vor der Herausforderung seine Bedeutung als Künstler in neuer Weise herauszuarbeiten und ihn auf dem Markt neu zu etablieren. Als kleines Indie-Label mussten wir einen Weg finden, Leute auf Mickey, seine Musik und unsere Neuauflage aufmerksam zu machen.
So entschieden wir uns, ein Boxset aufzulegen. Es sollte nicht auf die normale Verpackung zurückgreifen, es sollte handgemacht aussehen – und das war es auch größtenteils. Wo möglich, wollte ich auf Plastik und Kleber verzichten. Das ist mir gelungen: Die Box der limitierten Edition wird mit Nieten zusammengehalten. Sie wurde komplett in Berlin produziert, bei einem traditionellen Hersteller von Verpackungen in Spandau und einer ehemaligen DDR-Druckerei in Friedrichshain.
Verpackung als Geschichte
Das Cover basiert auf Illustrationen und Designs US-amerikanischer Notenblätter aus dem 19. Jahrhundert. Das fühlte sich für uns richtig an, da der Songwriter Stephen Foster aus dem 19. Jahrhundert einen großen Einfluss auf Mickey hatte und der Song „An American Trilogy“ drei Lieder dieses Jahrhunderts vereinte. Mickey war ein großer Fan von Kunsthandwerk und Antiquitäten. Er liebte Buntglas, sammelte Handel- sowie Tiffany-Lampen und Holzmöbel aus jener Zeit.
Das Foto auf dem Albumcover von „Heaven Help The Child“ wurde auf Mickeys Hausboot am Old Hickory Lake in Tennessee aufgenommen. Die oberen Räume hatte er zu einem Büro umgestaltet und selbst eingerichtet. Das Buntglasfenster hatte ein Jesus-Design. Auf dem Boden lag ein reich verzierter persischer Teppich.
Das Design auf der Vorderseite der Box ist durch die beeindruckend kunstvollen Grafiken inspiriert, die US-amerikanische Musiknoten im 19. Jahrhundert schmückten. Ich bin bei der Recherche nach der Quelle von Mickeys „An American Trilogy“ – ein Medley aus drei Bürgerkriegshymnen: Dixie, Battle Hymn of the Republic und All My Trials – auf ein Archiv dieser Musiknoten gestoßen und auf Songs von Stephen Foster, der Mickeys Arbeit am meisten beeinflusst hat.
Foster war nicht nur der erste US-Amerikaner, der seinen Lebensunterhalt als Songwriter verdiente. Er war auch der erste, der Bilder und Themen in Songs verarbeitete, die eindeutig US-amerikanisch waren; nicht lediglich Adaptionen von europäischen oder afrikanischen Liedern. Die Notenblätter von Fosters Musik – denn so wurde seine Musik vor dem Aufkommen von Musikaufnahmen verbreitet und verkauft – waren auch mit diesen Mustern und Typographie verziert. So schaffte das Design des Boxsets eine konzeptuelle Verbindung zu Foster und der Geschichte US-amerikanischer Musik. Musik, wie Mickey selbst sie auch gemacht hat.
Wir wollten auch die Buntglas-Designs des Original-Booklets von „Frisco Mabel Joy“ verwenden, weil es ganz offensichtlich von Mickey initiiert wurde. Die Designs haben einen für die späten 60er und frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts charakteristischen psychedelischen Zug, der auch im Ton der Alben zu finden ist. Wir wollten das Psychedelische, Lebendige und Farbenfrohe von Albumcovern wie „Forever Changes“ von „Love” einfangen. Wir haben einen Hersteller von Tiffany-Lampen in Deutschland gefunden und sie haben uns erlaubt, ihre wunderschönen Lampendesigns für die CD-Verpackung zu adaptieren.
Die Thematik zu recherchieren und dann Designelemente in die Verpackung zu integrieren, die die Geschichte von Mickey und seiner Musik zu erzählen – die Idee zu dieser Methodik entstand durch die Arbeit von Susan Archie. Sie hat das Design unseres Boxsets mitgestaltet. Susan hat Grammy Awards für ihre Arbeit an den Boxsets von Albert Ayler und Charlie Patton gewonnen. Ihre Arbeit ist sehr stimmig und mit außerordentlichem Sinn für Details. Sie kann bis zu einem Jahr oder länger an einem Projekt arbeiten. Sie recherchiert lang für die Illustrationen, Grafiken und die Typographie, oft nutzt sie eigens bestellte, handgemachte Materialien.
Die Liebe zum Material
Der materielle Aspekt der Verbreitung von Musik besteht, seitdem Musik aufgeschrieben wird. Dieser Prozess wurde aufwendiger, als im 15. Jahrhundert Kompositionen auf ausgeleuchteten Manuskripten präsentiert wurden. US-amerikanische Notenblätter waren oft mit Illustrationen aus Holzschnitten, radikalen Designs und Typographien verziert.
Das 19. Jahrhundert war auch der erste Zeitpunkt, an dem der Verkauf von Musik mit dem Verkauf von Instrumenten zum Abspielen der Musik einherging. Als immer mehr Leute ein Klavier zu Hause hatten, verkauften sich auch Notenblätter immer besser. Im Vergleich dazu, begann der Wahnsinn der digitalen Musik vor nur etwa zehn Jahren mit der Veröffentlichung von iTunes und nahm durch den Verkauf des iPhones noch mehr zu.
Dennoch bleiben die physischen Formate eine Norm, die nicht so bald verschwinden wird. Die Schallplatte gibt es seit 150 Jahren, seitdem Musik aufgenommen wird, sei es als Wachszylinder, Schellack oder Vinyl. Die Verkaufszahlen von Schallplatten auf Vinyl steigen seit ein paar Jahren stetig.
Nichts zum Wegwerfen
Auch andere physische Formate haben Konjunktur: Die Leute wollen immer noch CDs kaufen und obwohl die Platten selbst wenig elegant sind, ermöglicht ihre Form und Größe eine Verpackung mit interessanten und radikalen Methoden die bei Schallplatten eher unpraktisch waren. Mit Kreativität lässt sich etwas gestalten, das eher an ein Künstlerbuch erinnert – die logische Weiterführung der Tradition der „Albumkunst“, die in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts aufblühte, als der Schuber für die Schallplatte zur Leinwand wurde.
Diese Kunst und die Musik dahinter wird bestehen – während Popmusik, die in diesem digitalen Zeitalter produziert wird, vermutlich so einfach wegwerfbar ist wie das Format, auf dem sie erscheint. Digitale Musik wird zusammen mit alten Telefonen und Laptops auf dem Müll landen. Nicht mehr abspielbar, nicht mehr hörbar. Die physischen Formate werden bleiben.
Anm.d.Red.: Mickey Newbury, “An American Trilogy”, ist bei Saint Cecilia Knows/Drag City/Cargo erschienen. Übersetzung aus dem Englischen: Anne Mook. Bildquelle: American Songwriter.
schöne Sache, sollte auch auf unserem Gabentisch landen ; )
Irgendwie schön, dass sich im Konsumrausch noch über solche Dinge Gedanken gemacht werden…