Ich will mich mal so ein bisschen an meiner Biographie entlang hangeln: In Karlsbad geboren, als 3jaehriger nach Bayern gekommen – da hat man schon gleich mit drei Sprachen zu tun. Hochdeutsch, Tschechisch, Bairisch. Tschechisch konnte ich nur ein paar Brocken ueber meine Eltern [und auch nicht die vornehmsten Woerter], Bairisch lernte ich wohl oder uebel, und dann gerne fuer mein Umfeld, und Hochdeutsch mit bairischem Akzent war die Ueberlebenssprache. Dann kamen im Humanistischen Gymnasium die toten Sprachen hinzu, und schliesslich zum obligatorischen Englisch ein reichhaltiges Angebot an Wahlfach-Sprachen [Italienisch, Franzoesisch, Russisch], die ich anlernte [und nie auslernte]. Mit den Sprachen nimmt man ja auch mehr oder weniger von der Kultur eines Sprachraums mit.
Im spaeteren Berufsleben waren die Fremdsprachen von grossem Vorteil. Eigentlich aus zwei Gruenden: Man lernt sich schneller in eine neue Sprache ein, wenn man mehrere kennt; und v.a. reflektiert man intensiver ueber die eigene Sprache und ihren Stellenwert.
Nehmen wir mal Japan: dort stand in den 70/80er Jahren Deutsch an zweiter Stelle [nach dem Englischen]. Viele Japaner behaupteten, sie haetten Deutsch gelernt, aber niemand sprach Deutsch. Es dauerte lange, bis ich begriff, dass dort zu der Zeit Deutsch gelernt wurde wie bei uns Latein. Gelegenheit zum Sprechen gab es kaum, so konzentrierte man sich auf Lesen, Literatur, Grammatik, Schreiben und Singen. Damals kannte jeder Japaner mehr deutsche Volkslieder als die meisten Deutschen. Mit meinen Kollegen der Universitaet habe ich meist schriftlich verkehrt [kaum einer wagte es, mit mir Deutsch zu sprechen], aber in der Literatur waren sie mir haushoch ueberlegen. In der Zwischenzeit hat sich die Lage veraendert: weniger Japaner sprechen besser Deutsch.
In China war die Situation ganz anders: wenige Chinesen lernten Deutsch, aber sie waren darin -wenigstens in der Aussprache – meist perfekt. Die Inhalte entsprachen zunaechst nicht so ganz unserem Geschmack. Das aenderte sich aber nach der Oeffnung. Immerhin hatte Deng Siao Ping auch Deutschland als Studienziel fuer die besten Studenten des Landes ausgewaehlt [USA, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Japan]. Ich hatte das Glueck, zu den ersten Lehrern fuer Deutsch zu gehoeren, die ab 1979 nach China geschickt wurden.
In Aethiopien spielte Deutsch eine untergeordnete Rolle; nur die intensive ideologische und bildungspolitische Periode der damaligen DDR hatte einige Spuren hinterlassen. Verkehrssprache unter Intellektuellen war Englisch, gefolgt von Franzoesisch und Italienisch [Kolonie]. Nicht zu vergessen allerdings, dass die einheimische Sprache [Amharisch/Tigre aus Geez] selbst eine alte Kultursprache ist, die schon existierte, als wir noch mit althochdeutschen Brocken um uns warfen.
Im slawischen Sprachbereich – das gilt auch fuer das ehemalige Jugoslawien – war Deutsch immer Kultur- und Wirtschaftssprache gleichzeitig. Die Slawen sind sehr sprachbegabt, und viele sprechen ein perfektes Deutsch. Im Goethe-Institut Belgrad beispielsweise hatten wir mehrere Rueckkehrer oder Rueckkehrer-Kinder von Gastarbeitern, die sogar untereinander oft Deutsch und nicht Serbokroatisch gesprochen haben.
Italien ist sprachlich hinsichtlich des Deutschen wohl geteilt: der Norden ist mehr dem Deutschen zugewandt, wobei sicher die wirtschaftlichen Gruende eine grosse Rolle spielen. Der Sueden wandte sich nach dem Prinzip des geringsten Widerstands eher den romanischen Sprachen zu.
Nun bin ich also allmaehlich in Westafrika angekommen. Ich lebe also jetzt in der ehemaligen deutschen und franzoesischen Kolonie Togo, ein kleines Laendchen von der Groesse Brandenburgs und Mecklenburgs zusammen, mit einer Einwohnerzahl von etwas mehr als 6 Millionen, das seit 1960 unabhaengig und insgesamt nicht viel weiter gekommen ist. Man kann in Lome alles kaufen, wenn man Geld hat [nur haben 98% nicht genug davon]; man kann angenehm leben, wenn man sich’s leisten kann – und will. Lome ist genau genommen ein Dorf mit einigen Hochhaeusern, wird vom Salzwind des Ozeans angenagt und steht nach Wolkenbruch unter Wasser. Ein Grossteil der von den Kolonialmaechten geschaffenen Infrastrukturen ist verfallen. Wie in vielen afrikanischen Staedten beherrschen Muell und Verschmutzung das Strassenbild. Aber es gibt auch die andere, positive Seite: jedes Laecheln wird erwidert, die Menschen sind geschaeftig [oft denke ich wie Sisyphus], sind leidensfaehig, haben immer Zeit… Die Stadt ist voller schrottreifer Autos [mit Kennzeichen D und CH und A…] und als Taxis fungieren in erster Linie Motorraeder/Mopeds. Nicht zu verachten: die Buerokratie blueht – und einen Bekannten oder Verwandten in hoeherer Position zu haben, ist immer von Vorteil.
Lassen Sie mich zu Sprache und Kultur zurueckkehren. Eigentlich spricht man in Togo ueber 40 verschiedene einheimische Sprachen. Mit 2-3 kommt man aber durchs Land. V.a. hat sich eine Art Wirtschafts-Mischsprache herausgebildet, die sogar ueber die Landesgrenzen [Benin, Ghana] hinaus verstanden wird. Sicher hat diese sprachliche Vielfalt die Einfuehrung des Franzoesischen als Amts-, Verkehrs- und Kommunikationssprache beguenstigt. Franzoesisch wird von der Grundschule an gelernt, und selbst im verlorensten Dorf findet sich einer, der auf Franzoesisch vermitteln kann.
Um das Deutsche steht’s nicht schlecht; es ist immerhin nach dem Englischen zweite Fremdsprache [nochmal: Franzoesisch zaehlt in dieser Reihenfolge nicht]. Allerdings sollten wir uns da keiner Illusion hingeben: der Grund dafuer ist nicht die [euphemistisch ausgedrueckt] gemeinsame Geschichte von 1884-1914, sondern das von Frankreich eingefuehrte Schulsystem, in dem nun mal Deutsch einen wichtigen Platz einnimmt. Natuerlich gibt es immer wieder nostalgisch verklaerte Reminiszenzen; und mancher Togoer traegt sogar noch einen deutschen Namen.
Das Goethe-Institut ist so eine kleine Sprachinsel fuer das Deutsche. Ich versuche immer bei neuen Besuchern auszuloten, ob sie ein paar Woerter Deutsch verstehen – das Hallo ist oft erleichternd und Kontakt bildend. Wirklich Inhalte diskutieren lassen sich mit den Deutschprofessoren und -lehrern, mit Germanistik-Studenten [immerhin 450 an der Universitaet], mit den fortgeschrittenen Sprachschuelern des Goethe-Instituts – und schliesslich mit den ehemaligen Stipendiaten, den sogenannten Rueckkehrern.
Ich wuerde mal sagen, dass ich im Goethe-Institut circa 40 Prozent Deutsch und 60 Prozent Franzoesisch spreche; Englisch nur, wenn Ghanaer oder Nigerianer ins Institut kommen, was seltener der Fall ist. Mina anzulernen habe ich bald aufgegeben, was mit der ungluecklichen Situation nach meiner Ankunft zusammenhaengt [man muss ja immer eine Entschuldigung fuer seine Faulheit finden!].
Wir bemuehen uns schon, der deutschen Sprache einen gewissen Stellenwert zukommen zu lassen. In meinen Reden begruesse ich z.B. immer auch auf Deutsch [herzlich willkommen] – und wiederhole das gleiche auf franzoesisch. Wichtiger waere uns, togoische Kulturpartner auch mit der Sprache so vertraut zu machen, dass sie deutsche Kultur verfolgen und rezipieren und schliesslich vor Ort verarbeiten koennen. Dies ist viel schwieriger als man sich theoretisch vorstellt – und plant. Es braucht mehrjaehriges Deutschlernen, Ausdauer, den Willen dazu – und dann darf man nicht Verlockungen eines leichteren Lebens im Ausland verfallen, sondern muss in die hiesige Wirklichkeit zurueckkehren.
Lohnenswert ist die Beschaeftigung mit Deutschland, deutscher Kultur und Sprache allemal, denn in allen Bereichen hat Deutschland ja immer noch Bemerkenswertes zu bieten. Dies laesst sich unschwer auch vor Ort in Lome feststellen: man braucht nur unsere Bibliothek zu besuchen, die ein Infozentrum einschliesslich Cyber-Cafe ist. Dort findet man aktuelle Materialien in Schrift und Wort und auf PC. Dies wiegt dann auch die manchmal traegen Postdienste auf. Dass die Tageszeitungen z.B. stossweise 1-2x pro Woche geliefert werden, traegt nicht gerade zur Aktualitaet bei. Aber die hat man ja im PC. Deutsche Welle TV wird ohne Probleme empfangen. Es gibt sicher Goethe-Institute, die aktueller und direkter am Ball sind, doch wir sind hier eine deutsche Insel, auf der man findet, was sonst im Umfeld nicht vorhanden ist – oder was sich niemand leisten kann.
Togo und Deutschland – Deutschland und Togo. In den ersten Wochen nach meiner Ankunft war ich bass erstaunt, wie haeufig Togoer mir von Deutschland, der Kolonialzeit, der deutschen Sprache erzaehlten – auch der Mann auf der Strasse… Oft dachte ich, die meisten Deutschen wissen nicht mal, wo Togo liegt. Aber fuer die Togoer ist diese Kolonialzeit Realitaet, und zwar verklaerte Realitaet. Man hort nicht selten den Wunsch: >Kommt doch zurueck, nehmt uns wieder an die Hand, dann geht es uns bald besser<. Man muss den Menschen immer wieder deutlich machen, dass Kolonialmacht Diktatur bedeutet. Nun verlief die deutsche Kolonialzeit in Togo relativ friedlich. Es blieb davon funktionierende Infrastruktur bis zum heutigen Tage. Deutschland hat sich trotzdem ein wenig aus der Verantwortung gestohlen, versteckt sich hinter der EU und hat das Kolonialerbe weitgehend Frankreich ueberlassen. Zumindest waere zu wuenschen, dass die Deutschen Togo wahrnehmen nicht nur wenn es negative Schlagzeilen macht, sondern in seiner Gesamtheit - als kleines, entwicklungsfaehiges Land am atlantischen Ozean, mit kurzer deutscher Vergangenheit, mit Interesse an deutscher Sprache und Kultur, die zu foerdern wir mehr Mittel und Moeglichkeiten haben sollten.