Wir leben in einer sich weiter und weiter oeffnenden Gesellschaft, in der die unterschiedlichsten Kulturen, Traditionen und auch Religionen aufeinander treffen. Die Zuwanderung und die Integration der auslaendischen Buerger in unsere Gesellschaft bilden heute eine der groessten Herausforderungen.
Viele Beispiele belegen, dass wir von einer Akzeptanz einer multi-ethnischen Gemeinschaft weit entfernt sind. Menschen, die gestern noch in einem anatolischen Dorf, in einer Kleinsiedlung in Polen oder dem Elendsviertel einer afrikanischen Grosstadt ihr Zuhause hatten, muessen sich – ohne darauf vorbereitet zu sein – binnen kurzer Frist in deutschen Gross- wie Kleinstaedten zurechtfinden. Und umgekehrt werden ihre deutschen Nachbarn mit dem Habitus, der Kleidung, den religioesen Riten aus fremden Kulturen konfrontiert, mit den Schwierigkeiten der sprachlichen Verstaendigung, dem Problem knappen Wohnraums und der Angst um die immer rarer werdenden Arbeitsplaetze. Das >Fremde<, das auf der Urlaubsreise noch ueberwiegend positive Reize wie Neugier ausloest, ruft - je mehr es an die eigene Lebenswirklichkeit heranrueckt - mehr und mehr angst- wie aggressionsgesteuerte Abwehrmechanismen hervor. Eine Ghettoisierung, insbesondere der tuerkischen Bevoelkerung, ist vielfach zu beobachten; so in Berlin-Kreuzberg. Viele Anzeichen deuten auf die Entstehung einer Parallelgesellschaft hin. Dabei ist Deutschland laengst eine schillernde Buehne fremder Kulturen. Menschen aus aller Herren Laender bauen hier ihre eigene Welt, streng abgeschottet vom Land, in dem sie leben. Die Vietnamesen haben mit den Tuerken so wenig zu tun wie die Afrikaner mit den Russen. Und von allen zusammen wissen die Deutschen so gut wie nichts. Die knapp 7,5 Millionen Auslaender in Deutschland werden haeufig als eine homogene Gruppe betrachtet. Die Probleme und Beduerfnisse der Einzelnen haben sich jedoch stark veraendert. Die Gruppe der fast 2,8 Millionen tuerkischstaemmigen Mitbuerger hat eine gesonderte Stellung. Ihre relativ hohe Zahl in Verbindung mit der Zugehoerigkeit zur tuerkisch-islamischen Kultur hat zu einer eigenstaendigen Kulturgemeinschaft in Deutschland gefuehrt. Daher ist die Gestaltung des Zusammenlebens von Deutschen und Tuerken eine besondere Herausforderung. Das Leben der tuerkischstaemmigen Bevoelkerung Deutschlands hat sich an der Frage der Aufenthaltsperspektive orientiert. In den 1960er und fruehen 1970er Jahren war die Bleibeabsicht befristet; kulturelle und religioese Beduerfnisse waren gering. Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre wurde die Kurzfristigkeit der Aufenthaltsperspektive aufgehoben, doch lebten die Tuerken aufgrund der immer noch bestehenden Rueckkehrabsicht sozusagen in einem Dauerprovisorium. Durch die langfristigere Aufenthaltsperspektive und den Nachzug von Angehoerigen entstanden kulturelle und religioese Beduerfnisse. In zunehmenden Masse wurden Vereine gegruendet und Moscheen gebaut. Nach und nach eroeffneten tuerkische Lebensmittelgeschaefte und sorgten fuer die Befriedigung der Konsumbeduerfnisse. Auch tuerkische Zeitungen wurden eingefuehrt. Mitte der 1990er Jahre entschieden sich die Tuerkischstaemmigen fuer eine dauerhafte Bleibe in Deutschland. Mit dieser Entscheidung wurde auch das Festhalten an bestimmten kulturellen Werten verstaerkt. Mittlerweile existiert eine flaechendeckende, tuerkische Infrastruktur in der Bundesrepublik. Soziale und kulturelle Vereine, Lebensmittelgeschaefte, Gaststaetten, Moscheen, Diskotheken, Rechtsanwaelte oder Aerzte bieten Angebote fuer viele Alltagsbeduerfnisse. Das deutlichste Anzeichen dieser parallelen Infrastruktur ist die Medienlandschaft. Zehn tuerkische Fernsehkanaele, sieben Tageszeitungen, verschiedene Magazine und entstehende Radiosender stellen ein eigenes, tuerkischsprachiges Informationssystem dar. Somit sind die Tuerken die einzige auslaendischstaemmige Gruppe, die ueber ein eigenes Mediensystem verfuegt. Parallel, aber auf einem anderen Niveau verlaeuft die Arbeitslosenquote innerhalb der tuerkischen Bevoelkerung. Mit 25 Prozent ist sie doppelt so hoch wie der Durchschnittswert. Insbesondere die gestiegenen Anforderungen an die Qualifikation haben zu diesem Problem gefuehrt. Daher kann diese hohe Quote langfristig nur ueber die Bildungspolitik abgebaut werden. Doch im Bereich der Schulausbildung ist eine zweigleisige Entwicklung zu beobachten. Auf der einen Seite steigt die Zahl derer, die erfolgreich sind. Inzwischen studieren 23 000 tuerkische Studierende an deutschen Hochschulen. Auf der anderen Seite gibt es einen relativ hohen Sockel von tuerkischstaemmigen Jugendlichen, die in der Schulausbildung chancenlos bleiben. Anteilig dreimal so viele tuerkische Schueler verlassen die Schule ohne, beziehungsweise nur mit einem Hauptschulabschluss, als dies bei den deutschen Schuelern der Fall ist. Der Grund fuer diese Entwicklung liegt in den deutschen Sprachkenntnissen zu Beginn der Schullaufbahn. Wenn ein Kind in den ersten beiden Schuljahren aufgrund von Sprachproblemen den Schulstoff nicht vollstaendig verfolgen kann, hat es nur noch Chancen, wenn es diese Luecken spaeter schliessen kann. Dies gelingt zwar einem Grossteil, doch bleiben 30 Prozent auf der Strecke. Familien und Politik muessen jede Anstrengung leisten, dass alle Schulkinder die deutsche Sprache ausreichend beherrschen. Dazu muss beispielsweise in Kindergaerten mit hohen Auslaenderanteilen Sprachfoerderung betrieben werden. Ein weiterer Themenschwerpunkt der naechsten Jahre wird die Stellung des Islam sein. Der Islam hat heute ein zu stark fundamentalistisches Image in weiten Teilen der deutschen Bevoelkerung. Dabei wird uebersehen, dass Islam und Christentum in ihrer Wertestruktur weitgehend uebereinstimmen. Daher muss der Islam in der Schule insgesamt besser vermittelt und den muslimischen Schuelern als ordentlicher Religionsunterricht angeboten werden. Aber auch die ueber 2000 Moscheen in Deutschland sind hier in der Pflicht. Sie sind immer noch zu einem Grossteil >Hinterhof-Moscheen<, die wenig transparent sind. Dieses Image resultiert auch aus der Tatsache, dass die in Deutschland taetigen Geistlichen in der Tuerkei ausgebildet werden. Daher muessten islamische Fakultaeten in Deutschland errichtet werden, die Imame und Religionslehrer ausbilden. Neben den angesprochenen Problemen gibt es aber auch Potenziale, die genutzt werden koennen. Zweisprachigkeit und Interkulturalitaet junger Menschen muessen als gesellschaftliche Ressourcen gesehen werden. Auf der einen Seite werden Auslandsaufenthalte gefoerdert, um gerade diese Faehigkeiten zu erwerben, auf der anderen Seite werden vorhandene Faehigkeiten vernachlaessigt. Darueber hinaus gibt es Potenziale im Bereich der Wirtschaft. Tuerken haben ein grosses Interesse an selbststaendiger Erwerbstaetigkeit. Durch das fuer eine spaetere Rueckkehr in das Herkunftsland angesparte Kapital und die kulturelle Naehe zur Selbststaendigkeit haben knapp 50 000 tuerkischstaemmige Unternehmer bundesweit ueber 200 000 Arbeitsplaetze geschaffen. Nach Expertenmeinungen steckt hier noch ein Potenzial fuer mehr als 500 000 Arbeitsplaetze. Die Probleme und Potenziale der Integration beweisen, dass dies ein Zukunftsthema ist und bereits heute eine richtige Weichenstellung erfordert.