Studentenproteste in England: Wer braucht schon Bildung, wenn wir ein Leben lang lernen?

24.000 Demonstranten wurden erwartet, 50.000 kamen: Studenten aus ganz Großbritannien protestierten in den Straßen von London gegen die brutalen Einschnitte ins Bildungssystem. Berliner Gazette-Autorin Mercedes Bunz erklärt, was hinter dem Kürzungswahn steckt: Kapitalistische Logik oder Bildungsfeindlichkeit?

*

In Großbritannien kürzt man das Geld für Professoren brutal um 80%, in Deutschland undenkbar – dennoch ist es nicht so, als ob dort nichts passiert. Europaweit scheint man verschiedene Taktiken zu verfolgen, um die Universitäten – also: die klugen Leute – lahmzulegen.

Die deutsche Taktik lässt sich mit “divide et impera”, “teile und herrsche” beschreiben: Während manche Universitäten und Institute als “Exzellenzcluster” ausgezeichnet und mit Geld zugeschüttet werden, sind viele andere gezwungen, sich mit Drittmitteln zu finanzieren, was den Denkraum mindert, weil es viel administrativen Arbeitsaufwand bedeutet.

Vor zwei Tagen hat mich eine Mail meines Freundes B. darüber informiert, dass auch in Österreich kilometertiefe Einschnitte in die geisteswissenschaftliche Forschung geplant sind.

In der Schuldenfalle

Das Stilllegen von höherer Bildung schreitet voran, und wir müssen uns fragen, welche kapitalistische Logik wir hier gerade erleben.

In Großbritannien ist klar, dass die Einschnitte vor allem die Künste und Geisteswissenschaften betreffen. Die Aussicht auf hohe Verschuldung am Ende des Studiums – augenblicklich planen die britischen Universitäten Gebühren von £4,000 bis £20,000 – führt dazu, dass diese Fächer, die man weniger für das Bankkonto, sondern für den Weitblick im Leben studiert, künftig nur noch von reichen und privilegierten Studenten gewählt werden.

Angekündigt wurde auch, Medizin und Ingenieurswissenschaften gegebenenfalls von den Kürzungen auszunehmen: Aus der Perspektive des Staates gesehen braucht man das ja – Philosophie dagegen nicht.

Strategische Lahmlegung?

Man könnte also sagen, dass der Kapitalismus die Zentren des kritischen Denkens strategisch lahmlegt, aber das hört sich ein wenig platt und arrogant gegenüber den anderen Wissenschaftsrichtungen an; auch in der Mathematik, der Medizin und sogar in Managementstudien wird ja kritisch gedacht.

Schleierhaft bleibt jedoch, warum ausgerechnet die Entwicklung jener Fächer behindert wird, in denen Studenten explizit lernen wie man außerhalb der vorgegeben Strukturen denkt – ausgerechnet jetzt, in einer Post-Google-Welt, in der die Automatisierung von Wissen massiv zunimmt.

Jetzt, da Algorithmen beginnen zusammenfassende Fließtexte zu schreiben (StatsMonkey der NorthWesternUniversity etwa) und Überblicke zu liefern. Jetzt, da das Denken außerhalb gegebener Strukturen wohl die neue menschliche Aufgabe wird.

Offensichtlich sind dem Kapitalismus im Augenblick andere Dinge wichtiger. Etwa, dass sie sich dem Markt anpassen müssen.

Anm.d.Red.: Das Foto oben entstand im August 2011 in London. Es stammt von joroach und steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

3 Kommentare zu “Studentenproteste in England: Wer braucht schon Bildung, wenn wir ein Leben lang lernen?

  1. Die Kritik ist sicherlich berechtigt, nur ich frage mich, ob wir besser nicht über “den Kapitalimus” in einer etwas, wie soll ich sagen, entpersonalisierteren Form sprechen sollten, er tut ja nichts in Eigenregie, er ist ja nicht Gott, der schaltet und waltet, und wenn ich das so lese, denke ich, dass wir dem Theologisierung des Kapitalismus aufsitzen, wenn wir das so formulieren.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.