Wohngemeinschaft global: Richmond, wo die WG-Küche ein Schmelztiegel und Konfliktherd ist

Von Warschau, nach Berlin, dann nach London und schließlich nach Richmond im Süden der USA – Berliner Gazette-Autorin Karolina Golimowska ist auf Umwegen an einem Dead End geĺandet. In einer Südstaaten-WG ringt sie mit einem Macho aus China, einer Gelegenheitsrevolutionärin aus Ägypten, einem Fastfood-Verehrer aus Kalifornien und einer Frohnatur aus Spanien. Ein persönlicher Bericht von der Frontlinie der Globalisierung.

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An einem kalten Donnerstag im Januar verlasse ich Berlin. Am Flughafen checke ich mein Leben, verpackt in einen Koffer, ein. Der Mann am Schalter schaut sich meinen polnischen Pass an und spricht Englisch mit mir, als wäre ich nur eine Touristin, dabei lebe ich schon fast zehn Jahre hier. Seltsam hybride Existenz. Also: au revoir, Berlin.

Nach 18 Stunden Flug, mit einmal umsteigen in Newark, lande ich in Richmond, Virginia. Die Hauptstadt der Konföderation im US-amerikanischen Bürgerkrieg, umgeben von Plantagen und einem steten Summen, dem Blues. Von oben beim Landen seltsam dunkel.

Am Flughafen holt mich Mira ab, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Internationalen Büros der Universität. Sie ist schlank, schnell und hat riesige dunkle Augen. In den USA seit 25 Jahren, erzählt sie mir im Auto, geflohen aus Rumänien unter Ceaușescu. Architektin und Malerin, fasziniert von der Beziehung zwischen Architektur und Macht.

Wir fahren eine gute halbe Stunde, folgen ihrem GPS, das uns in einen dunklen Wald führt und sagt, wir seien angekommen. Wir steigen aus und sehen kein einziges Haus. „Irgendwas stimmt hier nicht“, sagt Mira. Sie fährt mich zu sich nach Hause. Dort holen wir ihren Mann Marko ab, eine Taschenlampe und Fifi, die große Hündin der Nachbarin.

Internationaler Schutzengeldienst

Marko studiert die Karte – es stellt sich heraus, dass die Straße durch einen Park und einen Hügel geteilt wird und das Haus sich wohl auf der anderen Seite befindet. Dorthin fahren wir. Hinter dem gelben Zeichen „Dead End“ ist es soweit. Wir steigen aus und Fifi sieht sehr menschlich gelangweilt aus.

Das Haus ist völlig dunkel. Wir klingeln, nichts passiert. Ich rufe die Frau an, die für die Universität arbeitet und mit der ich hier verabredet bin. Sie geht nicht ran. Ich rufe meinen Kollegen an, der mich hierher eingeladen hat – den einzigen Menschen, den ich in dieser Stadt kenne. Er sagt, er sei in Paris.

Nach 24 Stunden ohne Schlaf und mit zittrigen Knien, setze ich mich auf die Treppe. „Welcome to America“, sagt Marko, der das „r“ in „America“ immer besonders kräftig rollt. Die erste Nacht verbringe ich bei ihnen zu Hause auf dem Sofa. Die verwitweten Mütter von Mira und Marko sind gerade aus Rumänien zu Besuch, sie begrüßen mich auf Rumänisch und gleich steht ein Teller mit hausgemachten Teigtaschen vor mir auf dem Tisch.

Wir unterhalten uns über Gott und die Welt. Das ist es, sagt Marko, die Ostblockvergangenheit, die Kultur des Überlebens, seit Generationen. Das ist es, sagt Mira, gut, dass du bei uns gelandet bist. Internationaler Schutzengeldienst, denke ich. Das Haus ist klein, voll und warm. Ich schlafe wie ein Stein.

Am nächsten Morgen erreiche ich endlich die Vermietungsmanagerin an der Uni. „Welcome to Richmond, Caroleina”, sagt sie, und dann: „Sorry about last night, darling, I didn’t make it”. Mira fährt mich zum Campus, dort unterschreibe ich einen Mietvertrag und wir fahren zum „Dead End”, wo ich diesmal tatsächlich einziehe. Ein großes Haus aus Backstein auf einem kleinen Hügel.

Unsere WG, ein Pilotprojekt in Völkerverständigung

In dem Haus wohnen wir zu fünft. Leyla – 55 jährige Anthropologin aus Ägypten, in den USA seit fast 30 Jahren, gerade zum dritten Mal geschieden. Sie hat das Zimmer neben mir. Sie ist schwer und laut, probiert jede Woche eine neue Diät und fiebert mit bei der ägyptischen Revolution. Sie spricht mit mir eine Mischung aus Englisch, Französisch und manchmal versucht sie es mit Arabisch.

Im dritten Zimmer auf unserem Stockwerk wohnt Stella – eine kleine Spanierin, die sehr viel lacht und deren Englisch sehr schlecht ist. Unten wohnt Juin Gong, ein Gastwissenschaftler aus Peking. Er ist nett, seine Englischkenntnisse aber sind so gering, dass ich beim besten Willen nicht verstehen kann, woran er gerade forscht. In seinem Gepäck: zwei Woks, ein Messer-Set und ein Sack Reis. Neben Juin Gong wohnt Kevin aus Kalifornien. Er studiert Jura und isst ausschließlich Fertiggerichte, die er aus dem Gefrierfach direkt in die Mikrowelle schiebt und allein vorm Fernseher verspeist.

Jeden Morgen werde ich von Leyla geweckt, die die Treppe runterrennt, so laut, dass das ganze Haus zittert. Ab und zu erinnere ich sie dran, sie entschuldigt sich und hat immer eine Ausrede. „Revolution!“ oder „Scheidung!“ oder „neue Schuhe!“

Essen verbindet, oder nicht?

Das ist ab jetzt also mein komischer Kosmos. Wir teilen uns eine Küche, die schnell zur Kulturkonfliktzone wird. Leyla, die ab und zu für alle kocht und an stressigen Tagen ihre Wut in eine Schüssel Hommus mit reinrührt, die sich bewusst ernährt und nur Biosachen kauft, kriegt eine Krise, wenn sie Kevin beim TV-Dinner sieht.

Dann pulsieren kleine Venen rhythmisch auf ihrer Stirn und sie spricht laut auf Arabisch (ich vermute, sie flucht). An guten Tagen begrüßt sie mich in der Küche mit „Bonjour ma belle“, an schlechten spricht sie mit mir entweder Englisch oder gar nicht.

Juin Gong kocht zwei Mal am Tag, an Wochenenden drei bis vier Mal. Sein Gemüse und Fleisch schwimmen in diversen Sorten kochenden Öls. Die ganze Küche ist fettbespritzt. Eines Tages zeige ich ihm, dass man das Öl, wenn es noch warm ist, mit einem weichen Lappen abwischen kann. Er guckt mich verständnisvoll an. Zwei Tage später stellt es sich heraus, dass wir uns nicht verstanden haben. Juin Gong gibt mir den Lappen: Er denkt, ab jetzt werde ich jedes Mal, wenn er gekocht hat, die Küche wischen.

An einem warmen Abend im April sitzen wir im Garten und essen zusammen. Wir haben Weißwein, regionales Bier und eine chinesisch-arabisch-polnisch-spanische Fusion-Mahlzeit. Leyla beschwert sich über amerikanisches Brot, und überhaupt über die USA – „das Pilotprojekt“, wie sie es nennt. Stella unterhält sich mit Juin Gong – faszinierenderweise verstehen sich die beiden anscheinend sehr gut. Es wird dunkel und wir zünden drei Weihnachtskerzen an, die wir im Haus gefunden haben.

Zikaden summen und ein eifriger Nachtvogel pfeift, sonst ist es ruhig am „Dead End”. Am nächsten Morgen werde ich um acht Uhr von einem Krach geweckt, der aus der Küche kommt. Ich bin wütend und renne verschlafen runter. In der Küche finde ich Juin Gong. Es ist doch Sonntag und noch früh, sage ich. Er zeigt mir vorwurfsvoll die Uhr und sagt etwas über China, Faulheit und Erfolg. Ich kehre in mein Zimmer zurück und fange an, diesen Text zu schreiben.

Anm.d.Red: Das Foto wurde von Karolina Golimowska aufgenommen und durch Krystian Woznicki bearbeitet.

7 Kommentare zu “Wohngemeinschaft global: Richmond, wo die WG-Küche ein Schmelztiegel und Konfliktherd ist

  1. „Revolution!“ oder „Scheidung!“ oder „neue Schuhe!“

    im wesentlichen und überhaupt die drei großen “probleme” auf dieser welt. ;)

    (gern gelesen. danke.)

  2. Das is sehr schoen. Ich wohne in der Naehe von Richmond und finde dass diese WG ist typisch fuer eine Universitaet Gemeinschaft hier. Oft sind die internationale Besucher isoliert wie hier im Dead End.

  3. @ John: Richmond ist insgesamt nicht wirklich international ;) Man hört kaum andere Sprachen ausser Englisch (auf dem Campus manchmal Chinesisch). Es gibt keine Touristen, keine Postkarten (ich habe versucht welche zu kaufen – kriegst Du niergendwo!), keine Stadtpläne (alle, die hier wohnen kennen die Stadt und/oder haben Navis), keine Stadt-Souvenirs. Von daher ist unser Haus schon eine Sammlung der “Anderen” umgeben von einem relativ homogänen (was die Nationalität und Sprache anngeht) Kosmos. Isoliert fühle ich mich aber nicht.

  4. Karolina: Ja, ich auch finde dass Richmond keine internationale Stadt ist. Der Flughafen heisst doch Richmond International Airport—ein Scherz! Mehr interessant ist das Städtchen Charlottesville, wo sich finde die University of Virginia (wo ich lehre). Aber auch hier die internationaler Studenten finden sich oft zusammen in Wohnungen mit namen wie “International Residence.” Für das Thema WG, es wäre gut dass Sie sehen einige “intentional communities” wie Sevenoaks oder Yogaville, in der nähe von Charlottesville, wo die Leute kommt zusammen auf philosophischen Gründen.

  5. @John: vielen Dank für den Tip! Das klingt super spannend – I’ll definitely check out the intentional communities!
    Den Unicampus in Charlottesville finde ich SO toll!! Obwohl UR natürlich auch sehr schön ist (leider ohne Jeffersonian touch).

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