Zeitarbeit im Paradies: Warum Frauen aus Polen auf einer kleinen griechischen Insel arbeiten

Im Moment denkt bei Griechenland wohl jeder an das Wort „Staatspleite“. Nicht so die vielen Frauen aus Polen, die auf einer kleinen griechischen Insel, die zu den Kykladen gehört, leben. Für sie ist Griechenland ein Ort, an dem sie mit redlicher Arbeit Geld verdienen können – den Paradies-Flavour gibt es noch oben drauf. Sie arbeiten als Kochhilfen, Putzfrauen oder Zimmermädchen in Hotels und Pensionen. Sie sind schlank, fast immer müde, sprechen ein bisschen Griechisch, können es aber meistens nicht lesen. Berliner Gazette-Autorin Karolina Golimowska hat die Arbeiterinnen während einer Reise kennengelernt und von ihnen etwas über Mobilität in Europa erfahren.

Sie wissen, wo man auf der Insel den besten Quark kaufen kann, mit dem sich der polnische Quarkkuchen machen lässt. Sie gelten als zuverlässige und billige Arbeitskräfte und sind regelmäßige Kirchenbesucher. Die meisten von ihnen kommen aus Oberschlesien, wo nach Polens EU-Beitritt im Jahr 2004 ganz viele Auslandsarbeitsvermittlungsfirmen gegründet wurden. Viele der Frauen finden auf der Insel ihre Ehemänner und bleiben.

Viola ist 21 und kam vor ein paar Jahren mit ihrer Mutter auf die Insel, um im Sommer ein bisschen Geld zu verdienen. Violas Mutter Iwona, die in einem kleinen Ort in der Nähe von Katowice ihre fünf Kinder allein aufzog, wurde von einer Agentur für Zeitarbeit angeworben und ist beim ersten Mal ganz allein für drei Monate nach Griechenland gegangen, um Hotelzimmer zu putzen. Das Geld brachte ihre Familie durch den schlesischen Winter. Im Jahr darauf kam Viola mit und die Arbeit wurde angenehmer, weil sie nun fast immer zu zweit waren. Inzwischen sind auch Violas drei Schwestern da. Nur der kleine Bruder Janek fehlt noch. Er muss erst die Grundschule beenden, bevor er Polen verlassen darf.

Die Jobsituation in Polen

Mit 16 hat Viola sich entschieden, die Schule zu schmeißen. Es brachte ihr nichts und zu Hause fehlte das Geld. Doch es war nicht so einfach, einen Job zu finden. „Auf dem beschissenen polnischen Arbeitsmarkt musst du einen Magistertitel haben, um Sekretärin zu werden“, sagt sie. Als sie 18 war, wurde sie schwanger. Ihr damaliger Freund war an der Sache nicht interessiert. Abtreibung ist in Polen illegal und so hatte sie keine Wahl. Sie war enttäuscht von der Welt, von Polen, von dem Typen und überhaupt. Das einzige, worauf sie gewartet hat, war der Sommer und die Möglichkeit wieder auf die Insel zu gehen und hart zu arbeiten.

Und so verließ sie im Mai zusammen mit Iwona und einem dicken Bauch Schlesien. Nach einer 13-stündigen Reise waren sie da und haben sich kurz am Strand in die Sonne gesetzt und darauf gewartet, dass sie abgeholt werden. Nach drei Monaten auf der Insel kam das Kind zur Welt und Viola entschied sich, zu bleiben. Das kleine Mädchen heißt Weronika, hat helle blonde Haare und blaue Augen, ist inzwischen zweieinhalb und spricht drei Sprachen: Polnisch, Griechisch und Albanisch. Albanisch deshalb, weil Violas Mann, den sie auf der Insel kennengelernt hat, aus Albanien stammt.

Viola ist sauer, weil sie keine Zeit für sich hat, sie muss sich immer um die Kleine kümmern, nimmt sie mit auf die Arbeit und hat manchmal „echt die Schnauze voll“. Das erzählt sie mir, als wir am Strand beim Sonnenuntergang sitzen. Sie kann es nicht abwarten, bis Weronika drei wird, dann kann sie in den Kindergarten gehen, und Viola wird endlich ein bisschen Zeit haben. Um einfach ungestört etwas zu machen, in aller Ruhe eine Zigarette zu rauchen zum Beispiel, oder was lesen, sagt sie. Lesen mochte sie nie, bis sie auf den ersten Teil von „Twilight“ gestoßen ist. Dann musste ihre Oma ihr weitere Teile aus Polen schicken. „Unglaublich!“, lacht sie.

Violas Traum: Eine eigene Strandbar

Viola träumt von einer eigenen Strandbar, in der sie neben Getränken den Gästen auch polnischen Kuchen anbieten würde. „Nichts besonderes, so was kleines, nettes und eigenes“, meint sie. Das Problem ist aber, dass sie Griechisch weder schreiben noch lesen kann und auf Schule hat sie keinen Bock. Aber vielleicht findet sie jemanden, der ihr hilft. Manchmal ist sie ganz optimistisch.

Nach Polen fährt sie fast nie, sie vermisst es auch nicht, „was gibt es da zu vermissen?“ fragt sie mich ganz ernst. Sie trifft sich aber regelmäßig mit den anderen polnischen Frauen um zu quatschen und Raki Psimeni, eine softere Variante von Rakomelo zu trinken. Sie hat nie darüber nachgedacht, ob sie glücklich ist und findet meine Frage komisch. „Es ist, wie es ist“, sagt sie.

Anm. d. Red.: Alle Namen wurden geändert.
Illustration: “Domestic Workers Suffer” by Laborfest, free non-commercial reuse.

9 Kommentare zu “Zeitarbeit im Paradies: Warum Frauen aus Polen auf einer kleinen griechischen Insel arbeiten

  1. Tolle Geschichte! Eine bewundernswerte Frau, diese Viola. Ich frage mich nur, ob der kleine Bruder laut polnischem Gesetz die Grundschule in Polen beenden muss oder ob es der Wunsch der Mutter war?

  2. Grundschule ist laut polnischem Gesetz obligatorisch. Ich glaube, er könnte zu einer Schule in Griechenland wechseln, aber da er kein Griechisch spricht, wird er wohl nicht zugelassen und für Griechisch Kurse in Polen hat die Familie kein Geld.

  3. Danke für diese kleine Geschichte hinter diesen großen Worten “Globalisierung”, “Weltwirtschaft” etc.

    Karolina, hattest du den Eindruck dass Viola trotzdem glücklich ist oder eher frustriert?

  4. @ .andi: echt schwer zu sagen. Oft sah sie fertig, unausgeschlafen und ein wenig gelangweilt aus. Die Kleine ärgert sie auch manchmal sehr, und dann schreit sie sie an usw. Aber dann gibt es auch Momente, in den ich das Gefühl hatte, alles würde stimmen. Wahrscheinlich wie bei uns allen. Viola ist aber sehr erwachsen, sehr reif, dafür dass sie so jung ist, fand ich. Sie ist auch sehr herzlich und hilfsbereit, keinerlei verbittert.

  5. Sehr interessante, mitreißende Geschichte. Danke für diesen Einblick.
    Es ist wirklich ungewohnt Griechenland wieder mit etwas Positiven (das Paradies) in Verbindung zu bringen. Tja, es ist halt alles relativ.

  6. wow, echt beeindruckend die geschichte der frauen und auch sehr schön erzählt. hat die aktuelle situation in griechenland denn irgendwelche auswirkungen auf das leben der gastarbeiterinnen? müssen sie vielleicht auch um ihre jobs fürchten?

  7. ich begrüße die unaufgeregte art und weise die situation und die menschen zu beschreiben, ohne anspruch auf die große enthüllung, einfach mal ein paar meter mitjoggen.

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