Rädern, Vierteilen, Verbrennen, Hängen, Köpfen – das galt im 19. Jahrhundert als grausam. Als die Welt elektrifiziert wurde, kam das “Humane” beim Töten zum Zug. Denn die Geschichte staatlichen Tötens definiert sich als eine Reformgeschichte “moderner Errungenschaften”. Auch die Hinrichtung auf dem elektrische Stuhl galt einst als Zeichen moderner Zivilisation. Der Autor und Journalist Helmut Ortner erzählt, wie Strom das staatliche Hinrichten veränderte.
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In den 1870er Jahren sorgte Elektrizität dafür, die Natur zu überlisten. Sie machte es möglich, durch künstliches Licht die Dunkelheit aufzuheben; geruch- und geräuschlos, dazu noch so gewaltig und ausdauernd. Als die Wechselstromtechnik es schließlich ermöglichte, Strom über weite Entfernungen zu transportieren, schien die Vision von einem immerwährenden hellen, strahlend, schönen Nordamerika, alltägliche Wirklichkeit zu werden. Eine neue Technologie war geboren.
Der Fortschritt forderte auch Opfer. In den ersten zwei Jahren nach der begeisternden Premiere verzeichnete allein der Staat New York über 90 Tote durch Stromschläge. Ein Tod, der in Sekundenschnelle eintrat und ohne äußere Anzeichen der Gewalteinwirkung, faszinierte und erschreckte die Menschen gleichermaßen. Der North American Reviewstellte nüchtern fest, es bestehe “nicht der Hauch eines Zweifels, dass ein Tod durch Strom schneller ist als ein Gedanke“. Das fortschrittsgläubige, technikbesessene Amerika verfiel in Aufbruchsstimmung: Welche Möglichkeiten! Nun war der Geist der Erfinder gefordert, denn die Elektrizität bot neue, unendliche Anwendungen. Und weil schon frühzeitig bekannt war, dass Strom bei genügender Stärke tödlich wirken kann, lag die Konstruktion eines Tötungsgeräts, das mit elektrischem Strom arbeitet, nahe.
“Die humanste und praktischste Methode”
Alles begann mit einem tragischen Ereignis: Als der Zahnarzt Alfred Southwick aus Buffalo zufällig Zeuge eines Unfalls wurde, bei dem ein betrunkener alter Mann einen Stromgenerator berührte und dabei sofort starb, erzählte er einem Freund davon, der in New York als Richter tätig war. Der wiederum berichtete dem dortigen Gouverneur, David B. Hillvon, von dem Stromunfall mit dem Hinweis, auf diese Weise könnte doch das Erhängen als grausame Hinrichtungsmethode ersetzt werden. Der Gouverneur schien nicht abgeneigt, schließlich hatte er bereits ähnliche Überlegungen angestellt. 1886 berief er eine Kommission ein, deren Aufgabe es war, zu untersuchen, ob sich die neue Technologie tatsächlich für Hinrichtungen eignen könnte. Nach über zweijährigen Beratungen und zahllosen Konsultationen mit Expert*innen verschiedener Disziplinen legte das Gremium einen umfassenden Bericht vor. Ihr Fazit: Die Hinrichtungen per Elektrizität seien durchaus zu empfehlen, da dies “die humanste und praktischste Methode ist, die Todesstrafe zu vollstrecken“.
Im Vergleich dazu erschienen alle bisherigen Tötungsarten grausam und barbarisch, weil sie meist langsam und qualvoll töteten und den Körper des Delinquenten verstümmelten. Dagegen verwies der Kommissionsbericht auf den schnellen und schmerzlosen Tod und sah in der “elektrischen Hinrichtung“ ein deutliches Zeichen moderner Zivilisation. Die New York Timesschwärmte gar von einer humanen “Sterbehilfe durch Elektrizität – sicher, sanft und schmerzlos“.
Im Jahre 1888 beschloss die gesetzgebende Versammlung des Staates New York mit 87 zu 8 Stimmen, die elektrische Hinrichtung einzuführen. Zuvor hatte man im Labor des Erfinders Thomas A. Edison zahlreiche Versuche mit Gleich- und Wechselstrom an Hunden sowie einem Pferd durchgeführt und aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse praktische Empfehlungen gegeben:
“Der Verurteilte soll in horizontale oder in sitzende Stellung gebracht werden und in der Einwirkung eines Wechselstroms von 1500 Volt Spannung mit einer Frequenz von 15 bis 30 ausgesetzt werden, indem ihm zwei metallene Elektroden am Kopf und am Kreuzbein angelegt werden, die mit in Salzlösung getauchten Schwämmen versehen sind. Die für den Kopf bestimmte Elektrode hat die Form eines Helmes, die andere die Gestalt eines Pfropfens.“
Kalkül der “elektrocution”
Am 1. Januar 1889 trat das Gesetz in Kraft. Der Gesetzgeber des Staates New York sah sich als Wegbereiter einer neuen Zivilisation, die einerseits dem technisch-wissenschaftlichen Fortschritt Rechnung trug, andererseits neue Standards für ein humanes Strafrecht definierte.
Bevor ein knappes Jahr später mit dem 28-jährigen William Kemmler der erste Todeskandidat bereitstand, war es noch einmal zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen den beiden Experten Thomas A. Edison und George Westinghouse gekommen. Sie stritten darüber, welche Sorte Strom sicherer in der Anwendung sei: Gleich- oder Wechselstrom, der sogar einen gerichtlich geführten Streit nach sich zog. Der elektrische Stuhl war für Wechselstrom entworfen worden und so schlug Edison den Begriff “elektrocution“vor. Westinghouse wehrte sich dagegen. Der Staat New York ließ die ersten elektrischen Stühle für seine drei Gefängnisse Auburn, Sing-Sing und Clinton von dem Techniker Harold Brown bauen, der Wechselstrom bevorzugte. Als er versuchte, die Generatoren bei einer von Westinghouses Firmen zu kaufen, verweigerte dieser die Lieferung. George Westinghouse fürchtete um seinen Ruf. Letztlich aber ging es allein um wirtschaftliche Interessen, denn Strom galt als Markt der Zukunft. Es lohnte sich, in die neuen strombetriebenen Errungenschaften wie Beleuchtungen, Nähmaschinen und Eisenbahnen zu investieren. Eine elektrische Hinrichtungsmaschine stand symbolisch für den neuen Aufbruch, da konnte Westinghouse keine Negativ-Schlagzeilen gebrauchen.
Am 6. August 1890 war es endlich soweit: Neben dem Gefängnispersonal, den Staatsanwälten sowie 25 Zeugen und zwei Pressevertretern, versammelte sich eine Vielzahl medizinischer und technischer Experten im Gefängnis von Auburn, um die Hinrichtung von William Kemmler zu verfolgen – zum Tode verurteilt, weil er im Rausch seine Lebensgefährtin erschlagen hatte.
Vor den Toren des Staatsgefängnisses hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, um dem Ereignis nahe zu sein. Der Kommentator der New York Times war sich sicher, dass die bevorstehende Hinrichtung den Siegeszug des elektrischen Tötens einleiten werde, und auch die Kolleg*innen vom Sunday Globe ließen sich von der allgemeinen Euphorie mitreißen und stellten fest, die Aufmerksamkeit für Kemmlers Sterben sei mindestens “so groß wie die für eine Präsidentenwahl“.
Die Exekution fand in einem eigens dazu hergerichteten Saal statt, an dessen Wänden Bänke für die Zeug*innen und das Personal angebracht waren. Der aus Eichenholz gebaute Stuhl stand in der Mitte des fensterlosen Raums und hatte eine leicht erhöhte, nach hinten geneigte Lehne. Er war am Boden befestigt und gut isoliert. Wie von den Experten der gerichtlich-medizinischen Gesellschaft vorgeschlagen, war eine Elektrode am Kopf und die andere am Kreuzbein angelegt worden. Beide Metallelektroden waren mit nassen Schwämmen versehen.
“Höheres Stadium der Zivilisation“
Den offiziellen Bericht über den Ablauf der Hinrichtung an den New Yorker Gouverneur und die zuständigen Justizbehörden erstattete der Gefängnisarzt Carlos F. Mac Donald. Auszug:
“Nachdem Kemmler hereingeführt worden war, wurde er in den geschilderten Weise befestigt. Diese Vorbereitungen nahmen nur wenige Minuten in Anspruch. Dann gab der Direktor dem in Nebenzimmer beim Kommutator befindlichen Gehilfen das Zeichen, den Hebel zu bewegen und den Stromkreis zu schließen. Im Augenblick wurde der ganze Körper starr, indem ein auf das ganze Muskelsystem sich erstreckender tonischer Krampf eintrat. Im selben Augenblick waren Gefühl, Bewegung und Bewusstsein völlig vernichtet.“
Mac Donald zog am Ende seines Berichts ein positives Fazit:
“Der Zweck und Geist des Gesetzes, welcher darin bestand, dem Verurteilten einen sofortigen und schmerzlosen Tod zu geben, war vollkommen erreicht.“
Dem widersprachen Kritiker*innen heftig. Ein als offizieller Zeuge beiwohnender Reporter der New York Times bezeichnete die neue Hinrichtungsmethode als grausame und qualvolle Art, jemanden zu töten. Sein ernüchternder Kommentar: „Ein entsetzliches Schauspiel, weit schlimmer als Erhängen.“ Andere Zeug*innen monierten, es seien trotz Berechnungen zwei Stromstöße notwendig gewesen, um den Tod herbeizuführen. Auch habe der Todesvorgang allzu lange gedauert, beinahe acht Minuten. Die Hinrichtung trug ihrer Meinung nach mehr den Charakter eines Experiments, als den einer sicheren Vollstreckung. Die Presse kommentierte, William Kemmler sei buchstäblich zu Tode geröstet worden. Was als Demonstration des technologischen und humanen Fortschritts, als “Eintritt in ein höheres Stadium der Zivilisation“ (so die euphorischen Pressekommentare) gedacht war, schien ein desaströses Ende genommen zu haben. Neben all den technischen Mängeln und der möglichen Störanfälligkeit des elektrischen Stuhls wurde vor allem auf die fehlerhafte Dosierung hingewiesen, die der Verschiedenartigkeit der menschlichen Konstitution nicht gerecht würde. Mediziner*innen verwiesen darauf, dass Menschen unterschiedlich auf die Wirkung des Stroms reagierten.
So bei einem gewissen Henry White, der in Ohio hingerichtet werden sollte, schlug das Herz nach dem ersten Stromstoß noch regelmäßig. Als man daraufhin die Stromspannung verdreifachte, schlugen helle Flammen aus dem zuckenden Körper des Verurteilten und der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte den Hinrichtungsraum. Der Tod war am Ende nicht durch Stromschlag, sondern durch Verbrennung eingetreten.
Kritik am elektrischen Stuhl
Vergleichbar grauenhafte Szenen ereigneten sich einige Jahre später bei der Hinrichtung von Mary Farmer, die wegen gemeinschaftlichen Mordes im April 1929, auf dem elektrischen Stuhl den Tod finden sollte. Nachdem ihr Körper eine Minute lang von den Stromstößen geschüttelt worden war, nahm der Exekutor den Hebel langsam zurück. Plötzlich drang ein lauter Schrei unter der Maske der Verurteilten hervor. Erschrocken wurde der Hebel wieder nach oben gebracht, diesmal jagte man 2000 Volt über fünf Minuten durch den Körper der Frau. Doch Mary Farmer lebte danach immer noch. Viermal schließlich wurde die grausige Prozedur wiederholt, dann konnte man sicher sein, dass die Verurteilte tot war. Eine Hinrichtungsszene, die an mittelalterliche Strafrituale erinnerte und umgehend die Kritiker*innen wieder auf den Plan rief.
Aufgrund einiger vorangegangener Pannen hatten der New Yorker Gesetzgeber*innen deshalb verfügt, dass jede Hinrichtung durch eine Autopsie abzuschließen sei, um “jede Möglichkeit auszuschließen, dass der Verurteilte ins Leben zurückkehrt“. Bei aller Empörung über die unübersehbaren technischen Mängel gab es auch Stimmen, wie die von Dr. Louis Bach, Leiter der New Yorker Gesundheitsbehörde, der allen, die es hören wollten, versicherte: “Vom ersten Stromschlag an ist der Delinquent praktisch tot. Er hat keinen Schmerz und ist nicht mehr bei Bewusstsein.“
Diese Einschätzung teilten viele Expert*innen. Sie argumentierten unter anderem, dass bei der Hinrichtung durch Strom eine Temperatur erreicht werde, die selbst Kupfer zum Schmelzen bringe und im Gehirn zumindest den Siedepunkt erreiche. Da der Strom eine Geschwindigkeit erziele, die siebzigmal schneller ist, als das Gehirn Empfindungen registrieren könne, sei die Schmerzlosigkeit dieser Hinrichtungsart sicher. Der Moment des staatlich angeordneten Tötens war nun gewissermaßen in der praktischen Anwendung als zukunftsweisend legitimiert worden. Der elektrische Stuhl verkörperte fortan einen Teil des rechtlichen und “humanen“ Selbstverständnisses der US-Amerikaner*innen, auch wenn nicht allerorten die gleichen Methoden beim Exekutieren zur Anwendung kamen. Nach New York führten die Bundesstaaten Ohio (1897) und Massachusetts (1907) die Hinrichtung durch Elektrizität ein, es folgten New Jersey (1907) sowie Virginia (1908).
Die Hinrichtungen galten als störungsfrei, effizient und “zivilisiert“ – nicht nur die zuständigen Justizbehörden waren begeistert. Beginnend mit den 1920er Jahren setzte sich die Edinson´sche “electricution“ im ganzen Land durch. Am Ende standen in 26 Bundesstaaten ein elektrischer Stuhl. Nur Texas übernahm die elektrische Hinrichtung an Stelle des Galgens erst ab 1924, also vergleichsweise spät. Hier, im Süden des Landes, wo es in der in der Vergangenheit immer wieder – vorwiegend an afroamerikanischen Männern – zur Lynchjustiz kam, wollte man nun ebenfalls ein Signal im Sinne einer “zivilisierten“ Strafjustiz setzen. Dazu gehörte, dass man die öffentlich inszenierten Exekutionen aus den Gemeinden und Städten heraus in das zentrale Staatsgefängnis nach Huntsville verlegte, wo erstmals auch gesonderte Todestrakte entstanden, in denen die Todeskandidat*innen unter besonderen Bedingungen inhaftiert waren und auf ihre Hinrichtung warteten.
Von New York bis Texas: Auch wenn es bei den elektrischen Hinrichtungen immer wieder zu Zwischenfällen kam, so galt doch die Tötungsmethode als die “humanste und schmerzloseste“ und erfüllte insgesamt verlässlich den Anspruch des Gesetzes, “einen Menschen mit Anstand zu töten“. Beispielsweise war Old Sparky, der “alte Funkensprüher“, wie der elektrische Stuhl im Staatsgefängnis von Florida unter den Todeskandidaten genannt wurde, bis Anfang 1993 im Einsatz. 224 Menschen fanden darauf den Tod. In den US-Bundesstaaten Alabama, Florida, Georgia, South Carolina und Virginia gibt es noch heute das elektrische Töten. In Arkansas, Kentucky und Tennessee werden die Todeskandidat*innen mittlerweile nur noch mit der Giftspritze exekutiert, allerdings können die Verurteilten, sofern das entsprechende Verbrechen noch vor dem Abschaffungsdatum stattfand, auf eigenen Wunsch auch auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden.