Hochschule und Internet: Wir müssen die Uni gemeinsam wachküssen

Aktivist und Netzforscher Geert Lovink war von Anfang an dabei: Die kalifornische Ideologie inhalierte er als Kleinkind, mit Computern beschäftigte er sich schon lange bevor er zum ersten Mal einen benutzte. Computerkultur und Internet ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Leben, obwohl er Technik und Naturwissenschaften skeptisch gegenüber steht. Heute setzt er sich dafür ein, dass die Forschung nicht mehr an Privatlabors, sondern in erster Linie an Universitäten stattfindet. Schließlich gelte es die neuen Technologien gemeinsam zu meistern.

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Als das Internet 1969 entwickelt wurde, war ich zehn. Natürlich hatte ich damals noch keinen Zugang zum Netz. Ich lebte damals in Amsterdam, Weltzentrum des Hippietums, es geschah alles bei uns vor der Tür sozusagen: Mit dem Concertgebouw um die Ecke, dem Vondelpark, wo die Hippies draußen zelteten und die ersten legalen Softdrugs in Umlauf kamen. So kam ich auch ohne Internet mit der kalifornischen Ideologie in Berührung.

Das besondere an diesem Zeitgeist war, dass Technologie und Subkultur eine Liaison eingingen – Kevin Kelly, Howard Rheingold und Stewart Brand verkörpern nach wie vor diese Richtung.

Ohne Internet mit der kalifornischen Ideologie verbunden

Obwohl erst im Kindesalter, begriffen wir uns damals als die Zukunft. Zumindest sahen wir uns als Teil dessen, was diejenigen, die 15 Jahre älter waren, so machten.

1969 war auch das Jahr der Mondlandung. Während Thunderbirds im Farbfernsehen lief, benutzten wir in der Grundschule die ersten Videokameras und Videobänder. Es gab Schulfernsehen, das wir uns in der Klasse anschauten. Wir wussten sehr wohl, dass der Computer schon damals Teil unseres Lebens war. Ich las dazu Bücher, die ich mir aus der Bibliothek holte.

Erst ein Jahrzehnt später begann ich den Computer tatsächlich zu benutzten, als ich an der Universität Amsterdam SPSS Übungen am IBM Terminal (Statistik für Sozialwissenschaftler) machen musste. Kurz vor dem Abitur wurden Taschenrechner eingeführt. Das kann man auch als Teil der Computerkultur ansehen.

Computersprachen, Autofahrer und Helfer in Not

Obwohl ich mein Abitur in diese Richtung abgeschlossen habe, bin ich nicht mit Programmierfähkeiten ausgestattet und bin auch überhaupt kein Mathematiker. Ich habe mich nie für Physik, Chemie oder Biologie interessiert. Ich bin ein Kulturmensch, liebe die Stadt und stehe der Natur etwas skeptisch gegenüber.

Als ich 1987 MS-DOS lernen musste, um meinen ersten PC zu bedienen, empfand ich es als eine völlig unlogische Geheimsprache. Das ist im Grunde so geblieben. Programmiersprachen sind extrem selbstreferentiell. Die Frage, warum so und nicht anders, ist irrelevant. Ich habe mir die Programmiersprachen und den Umgang mit den Programmen meistens allein angeeignet. Auch später mit Unix, MS-Programmen und HTML.

In letzter Zeit bekomme ich viel Hilfe von Sabine und Margreet, hier am Institut für Netzkultur. Ich kann bestimmte Sachen gut alleine machen, wenn ich die Handlung regelmäßig wiederhole. Wenn ich sie aber wieder vergessen habe, gerate ich leicht in Panik. So geht’s vielen, nehme ich an.

In Paris, Texas erzählt die Hauptperson Travis, dass er nach Jahren wieder ins Auto stieg und sein Körper ihm zeigte, wie er Autofahren muss. Ich habe immer davon geträumt, dass es mit dem Computer eines Tages auch so sein würde: Das Unbewusste programmiert und versucht probeweise die Kommandos aus. Leider ist die Realität ganz anders. Was es aber gibt, ist ein Haufen netter Leute, die einem immer wieder helfen. Ich denke dabei ins besondere an Chris, Felipe, Mr. Snow, Erik und Kloschi. Ohne sie wäre ich nichts. Die Welt braucht ein Monument für die Helfer in Not!

Prä-digitales Studium

Mein Studium der Politikwissenschaften an der Uni Amsterdam (1977-1983) war außer dieser einen SPSS Erfahrung prä-digital und klassisch neo-marxistisch angelegt. Es waren die Zeiten von Feminismus, Ökologie, Hausbesetzerbewegung, RAF und der Krise des Sowjetischen Modells (lies: Polen).

Medien waren für uns Print, Offset und Matrizen, Piratenradio und sogar auch Piratenfernsehen (über Kabel!). Es gab damals nicht so sehr die Trennung zwischen alten und neuen Medien. Damals war das Medium Film zum Beispiel noch alternativ und independent. Die große Kluft war die zwischen mainstream und alternativ.

Ich bin stolz darauf, der letzten Studentengenerationen anzugehören, die Massenpsychologie studieren konnte. Ich würde mich nach wie vor als Massenpsychologe beschreiben. Im Internetkontext sind die Kenntnisse von Wilhelm Reich, Elias Canetti aber auch Klaus Theweleit besonders nützlich.

McLuhan, Kittler, Benjamin, Nietzsche, Deleuze, Baudrillard, Virilio – das alles habe ich erst nach meinem Studium, in Berlin gelesen und rezipiert. Das Studium blieb irgendwie bei Althusser und Gramsci hängen. Ein wenig Foucault, aber das wurde nicht wirklich ernst genommen. Das Studium befasste sich stattdessen mit Marx und Weber, mit politischer Ökonomie und Ideologie sowie mit Fragen der Organisation – von Lenin über Anarchismus bis hin zu sozialen Bewegungen. Aber die Medienfrage selbst blieb unbeantwortet. Medien waren Kanäle. Und so denken immer noch viele.

Die Uni und die Gegenwart des Internet

Das letzte Jahrzehnt ist nicht nur von der Etablierung des Internet geprägt, sondern auch von einem ganz uninteressanten, defensiven Kampf zwischen den Plattformen. Der Grund dafür ist die real-existierende Konkurrenz in der Gesellschaft zwischen Fernsehen, Zeitungen, Internet und Film. Im Moment wird zwar sowieso alles digitalisiert, doch genau deswegen werden all diese Kanäle in eine Existenzkrise gestürzt, denn sie werden mit der Frage konfrontiert, was eigentlich ihre Essenz ist: Was macht Film zum Film?

Was ich als Uni-Professor im Medienbereich sehe, ist, dass sowohl Professoren als auch Studenten verstärkt glauben, sie müssten die Grundform des Mediums verteidigen. Gegen wen? Klar, gegen die digitale Konvergenz und die ‘neuen Medien’. Die gerechtfertigte Angst besteht darin, dass Konvergenz Fächer wie Film, Fernsehen, Publizistik usw. überflüssig machen wird. Dies führe außerdem zu Beliebigkeit, Abbau der Kompetenz und Rückgang der Liebe fürs Fach. Vehement wird überall versucht, neue Medien bloß nicht als vereinzeltes Fachgebiet zu etablieren, weil es sonst unkontrollierbar wachsen würde (so wie es ja in der Gesellschaft der Fall ist).

Also müssen Internet, Games und neue Medien irgendwie eingegliedert werden. Dieser Versuch heißt ‘media studies’. Wir reden hier übrigens über Geisteswissenschaften. Was im Bereich Wirtschaft oder Informatik passiert, ist etwas anders. In Deutschland ist die Lage wiederum eine andere, denn dort herrscht immer noch die generelle Metaphysik der Medientheorie überall vor – und die kann sowieso nichts mit dem Internet anfangen, weil sie im Ansatz geschichtlich und philosophisch ist. Das führt zu ganz besonderen Theorieblüten, alles sehr unzeitgemäß und wahr, aber ohne jegliche Auseinandersetzung mit der knallharten neo-liberalen Echtzeitrevolution, die sich gerade abspielt und an der buchstäblich Milliarden beteiligt sind (siehe Google, Twitter, Facebook, Skype usw.).

Forschung und Lehre wieder zusammenbringen

Die Unis hinken generell hinterher. Das ist leider weltweit der Fall. Der Publikationszwang in langweilen Zeitschriften, die niemand liest, ist einer der Gründe dafür. Peer-Review ist ein anderer. In einer Situation, in der alle mit allen konkurrieren, kommt dabei nur Mittelmäßiges heraus.

Nur diejenigen, die brav alles machen, was die Führung verlangt, setzen sich durch. Die Andersdenkenden haben die Unis schon längst verlassen. Das gilt sowohl fürs Business (die Innovation kommt nicht aus den Unis) als auch für das kreative und subversive Potential in der Gesellschaft.

Eine Möglichkeit der Veränderung dieser festgefahrenen Situation sehe ich im Modell der Organized Networks (Orgnets). Vor allem wenn es darum geht, dezentral zu forschen und Studenten miteinander in Kontakt zu bringen. Worum es schließlich geht, ist über die weak links und die Freundschaftsideologie von Facebook hinwegzukommen und langfristige (Online)-Beziehungen aufzubauen, die auch über die Schnelligkeit à la Twitter hinausgeht. Letzten Endes ist Orgnet nur eine Methode um Sachen, die man vorhat oder sowieso immer macht, in einem globalen Kontext, wo die Expertise und Begierde so zerstreut ist, besser hinzukriegen.

Forschungs- und Bildungseinrichtungen müssten wieder Brutplätze von Innovation und Subversion werden. Ich denke diese beiden Institutionen bewusst zusammen. Denn das Problem ist: Derzeit passiert Forschung ausschließlich in abgetrennten Labs von Firmen und großen Staatseinrichtungen wie Max Planck. Das ist tödlich, weil die Lehre dadurch gezwungen wird zu reagieren. Ständig haben alle das Gefühl, sie laufen hinterher, kommen nicht mit, sind nicht auf dem letzten Stand. Das ist mittlerweile keine Generationsfrage mehr.

Ich meine, wir können uns lustig machen über die ahnungslose und konservative Babyboomgeneration (was in Deutschland leider mit der 68er Generation verwechselt wird). Es geht darum, gemeinsam die Technologie zu meistern. Das bedeutet, sie nicht zu ignorieren oder daran zu glauben, sie verbessere die Welt, sondern sie einzubauen in den revolutionären Alltag.

5 Kommentare zu “Hochschule und Internet: Wir müssen die Uni gemeinsam wachküssen

  1. Sehr interessante Beitrag. Ich würde aber die Idee dass Innovation kommt nicht mehr aus die Unis in frage stellen. Eine große Anteil von erfolgreiche high-tech Firmen und Projekte haben als Uni Recherche angefangen: Google, Facebook, Linux, BSD (OSX), Mosaic (Firefox), TCP/IP etc. Mir ist die Uni sehr problematisch, langsam und manchmal einfach langweilig aber immer noch eine fruchtbare Feld wo Mann Experimente machen kann mit weniger Wirtschaftlichen Druck oder Kompromisse.

  2. unglaublich, dass man früher noch nicht einmal zugang zum internet haben musste, um eine kreative beziehung zu computern und internet zu entwickeln, und heute, da man diesen zugang hat, die kreativität brachliegt, ich denke da an viele lehrer an schulen und hochschulen, eine traurige sache, wie sich die zeiten ändern!, aber vielleicht ist geert lovink ja auch nur eine ausnahme, wäre auch traurig, na ja. vielen dank trotzdem für diesen beitrag, hat mich gefreut, zk

  3. Bietet die Universität durch ihre Trägheit nicht erst den Raum für tiefergehendes Nachdenken – im Gegensatz zum Innovationswettlauf im Markttempo?

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