Kunst trifft Datenjournalismus: Die “Wind Map” macht aus offenen Wind-Daten visuelle Stürme

Wind ist ein flüchtiger Zeitgenosse. In der Meteorologie wird er ziemlich unspektakulär als “gerichtete stärkere Luftbewegung in der Atmosphäre” definiert. Doch Wind kann mehr sein. Beispielsweise Datenjournalismus in seiner kunstvollsten Spielart. Und genau das bietet die “wind map”. Die animierte Karte zeigt, was normalerweise nicht sichtbar ist: die Schönheit der fließenden Windströme aus der Vogelperspektive. Für diese Luftmassen öffnet Berliner Gazette-Redakteurin Sarah Curth ihre Augen.

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Gern personifizieren wir Wind als stürmischen Pustefix, der so lange rüttelt und fegt, bis er das Schild zum Umstürzen bringt, die Markise krachen lässt oder Schirme umstülpt. Er erschwert uns das Gehen und zerzaust unsere Haare. Am Meer gehört er dazu und in der Stadt ist er ein ungemütlicher Zeitgenosse. Wind bedeutet Freiheit oder Kälte. Im Sommer freuen wir uns dagegen über jedes laue Lüftchen. Doch wie sieht Wind wirklich aus?

Die kürzlich in den USA gestartete wind map zeigt uns, dass Wind unerwartet schön ist. Die Macher der Webseite nutzen die öffentlich zugänglichen Daten der National Digital Forecast Database (NDFD) und machen daraus eine Real-Time Windkarte. Die aktuellen Windströme innerhalb der USA werden darauf animiert dargestellt – eine Ansicht, die nicht zu vergleichen ist mit den bunten, infantilen Wetterkarten, die wir aus dem TV-Wetterbericht kennen. Nein, das hier kommt buchstäblich als ein visueller Sturm daher und könnte als Kunst durchgehen. Wenigstens aber als künstlerische Spielart des Datenjournalismus.

Hinter der Idee stecken Fernanda Viégas und Martin Wattenberg, zwei technikaffine Künstler, die sich mit der Visualisierung von Daten beschäftigen. Sie haben bereits die Farben von Flickr-Bildern zyklisch dargestellt und im New Yorker MoMa ausgestellt. Zur Zeit leiten sie Googles Forschungsgruppe zu Visualisierung. “We invent new ways for people to think and talk about data”, schreiben sie auf ihrer Webseite.

Und dann die ganze Welt

Bei ihrer wind map greifen Viégas und Wattenberg auf Daten zurück, die der US-amerikanische National Weather Service in Wetterstationen sammelt. Neben Windstärke und -richtung, Niederschlag und Luftdruck nutzt der Wetterdienst Satellitenbilder und Algorithmen, die sich aus langjährigen Statistiken zusammensetzen, um schließlich eine Vorhersage machen zu können.

Doch Viégas und Wattenberg interessieren sich im Moment nur für den Wind und die Darstellung seiner Energie. Auf ihrer Karte ist eine kurzfristige Prognose von Richtung und Schnelligkeit zu sehen. Die wind map aktualisiert sich stündlich. Wenn man durch Klicken hineinzoomt, werden die Ausschnitte noch detaillierter dargestellt und eröffnen dadurch immer dichter und feiner werdende Windlinienfelder. So kann man sich immer tiefer im Wind verlieren.

Die Künstler haben sich vorgenommen, auch Windströme weiterer Regionen – oder gar der ganzen Welt – zu visualisieren. Auf ihrer Webseite erbitten sie Informationen zu Live-Klimadaten, die öffentlich einsehbar sind. Vielleicht personifizieren auch wir in Deutschland den Wind bald nicht mehr als stürmischen Pustefix, sondern als kunstvolles Gebilde, das tut, was es am besten kann: wehen.

3 Kommentare zu “Kunst trifft Datenjournalismus: Die “Wind Map” macht aus offenen Wind-Daten visuelle Stürme

  1. Der Begriff der Kunst ist mir inzwischen etwas zu wohlfeil geworden. Ich denke aber, dass nicht alles, was schön aussieht – und die Winddarstellungen sind durchaus als schön anzusehen – ist dann auch Kunst. Dazu reicht die Umsetzung der unsichtbaren Winde in eine sichtbare Struktur nicht aus. Begnügen wir uns doch mit der Schönheit. Kunst aber bracht die individuelle gestalterische Absicht. Schön ist hier das Naturereignis und – zugegeben – die Kunstfertigkeit es sichtbar zu machen. Das ist schon ‘ne ganze Menge.
    Thomas Deecke

  2. Ja schon, aber muss das dann immer auch Kunst sein? Die “Allmacht” der KünstlerInnen endet dort, wo die entscheidenden Fragen nach der Bedeutung, der Mehrschichtigkeit, der Wirkung über das Dekorative hinaus gestellt und beantwortet wird, also letztlich die Beantwortung der Frage nach der Qualität. Da reicht mir der augenblickliche Reiz nicht aus. Gute Kunst wird deshalb als gut erkannt, weil sie von Dauer ist, auch wenn sie ihre Aktualität verloren hat. Warten wir’s ab, wie lange die unzweifelhaften hübschen Windbilder wirken!

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