Die Interessen, die ich in meiner Teenagerzeit entwickelte, hielt ich damals fuer wenig vermittelbar und fand das auch nicht weiter schlimm. In der zehnten Klasse fragte mich einmal eine Mitschuelerin, was fuer Musik ich so hoere, und ich sagte wahrheitsgemaess: im Moment hoere ich immer eine Bachkantate, bevor ich zur Schule fahre. Das war es dann mit dem Kontakt. Ich las mich durch Philosophie, Kulturgeschichte und Weltliteratur, mochte Spinoza und Bartok und japanische Literatur undsoweiter, aber ich fuehlte mich vor allem wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich hatte ja auch Pickel und benutzte komische Woerter. Zum Glueck fand sich eine Freundin, die ein paar Jahre aelter war und Theologie studierte, dann zum Judentum konvertierte und heute in den USA lehrt. Das war die Rettung.
Aber daneben hatte ich auch ein sehr lustiges Interesse, dass ich mit meinen Schwestern und meiner Mutter teilte: am Verkleiden und Geschichten erfinden, die ich dann fuer die Kamera inszenierte. Zum Teil sind sie auch in anderen Laendern entstanden, da wir viel reisten. Daraus habe ich mit meiner Schwester Ulrike viel spaeter das Buch >Teenage Pantomime< zusammengestellt. Ich machte sehr viele Fotos und Zeichnungen und wusste schon sehr frueh, dass ich Kuenstlerin werden wuerde.
Zwischen dieser Teenage-Zeit und der Erwachsenenzeit gab es fuer mich eigentlich keinen Unterschied, ausser der Liebe, das war natuerlich grossartig. Vor allem, als ich Ingo Niermann kennenlernte, mit dem ich eigentlich alle Interessen teile. Und auch sonst wurden die Interessen fokussierter. Die Ausweitung der moeglichen Bekanntschaften – erst auf die Grossstadt, dann auf die Welt – bedeutet vor allem, dass man in die Lage kommt, Menschen kennen zu lernen, die einem ihre eigenen sonderlichen Interessen zeigen koennen und mit denen man sich gut versteht. Merkwuerdig vielleicht, dass ich dabei keine intellektuellen Freundschaften gesucht habe und mich selbst auch nicht als Intellektuelle sehe. Meine besten Freundinnen und Freunde sind die, mit denen ich am besten tanzen kann und dann auch die, die die beste Kunst oder Musik machen, manchmal auch mit mir zusammen.
Ich bin vor allem an Menschen und Kuenstlern interessiert, die reich sind. Die mir viel zeigen koennen und die mir das Gefuehl einer grosszuegigen Fuelle vermitteln, ob das ihre Arbeit ist, die Art wie sie reden oder auch nicht reden. Dabei ist es mir voellig egal, aus welchem Land sie stammen, auch wenn das natuerlich immer allein schon sprachlich Unterschiede macht. Ich selbst beschreibe in meinen Arbeiten durchaus Situationen, die man als mangelhaft sehen kann, aber auch in diesen gibt es eine solche Fuelle, hoffe ich. Hat der alte Mann in der Huette neben der Autobahn nichts? Oder etwas, was der junge Polizist nicht versteht? Aber der junge Polizist ist auch schoen.
Mir geht es vor allem um komplexe, aber zugaengliche Situationen, die unbedingt ein Element von Freiheit haben muessen. Nie darf ich Menschen, die ich male oder in Videos als Darsteller verwende, nur fuer eine Rolle, eine bestimmte Botschaft benutzen. Allein das verbietet mir, in meiner Arbeit, ueber materielle Armut zu sprechen, obwohl sie vorkommt. Im Moment schreibe ich aus Udaipur in Rajasthan, aus einem Internetcafe. Meine hundert Begegnungen am Tag spielen sich alle nach dem Muster ab, in dem ich ausschliesslich >die Reiche< bin. Das ist auch voellig in Ordnung, so wie in meiner Sicht eine Frau >die Frau vom Dry-Clean< ist, Schluss. Aber in meiner Kunst kann es so etwas nicht geben. Dort muss jedem Dargestellten die Moeglichkeit bleiben, sich der Festlegung zu entziehen. Es soll eher eine Art schwebende Ebene zwischen mir und dem Betrachter geben, in der >Welt< angeboten wird.
In meinen kuratierten Ausstellungen war es schon eine Frage, wo das Gemeinsame in der Kunst liegen koennte. Das war natuerlich evident bei >Splendor Geometrik<, einer Ausstellung, in der mich 2003 interessiert hat, dass auf einmal so viele meiner Kuenstlerfreunde geometrische, abstrakte Arbeiten machten, aber immer mit so einem komischen Twist in der Arbeit, der klarmachte, dass man an den hohen Glauben der Vergangenheit [an z.B. konkrete Kunst als Universalsprache] nur mit dem Wissen um die historische Bedingtheit von Formen anknuepfen kann. Bei >Atomkrieg< interessierte mich das Gegenteil: ein gewaltiges Thema zu stellen, zu dem sehr unterschiedliche Kuenstler sehr unterschiedliche Formen gefunden haben – fast alle auf unsere Einladung hin.
Das war ein Prozess, bei dem zu einem gemeinsamen Thema unterschiedlichste Behandlungsweisen gefunden wurden. Mit einigen gab es sehr lange, wiederkehrende Gespraeche, andere brachten einfach ihre fertige Arbeit, bis zum Tag vor der Eroeffnung. So ist in keinem Fall ein >Diskurs< entstanden, eher ein freundschaftliches Gespraech – zwischen Kunstwerken. Woerter wie >Beschreibungsebene< und >Diskurs< haben ihren Sinn, wenn es um sprachliche Angelegenheiten geht. In der Kunst, die mich am meisten interessiert, wird allgemein wenig beschrieben oder diskutiert, einfach weil sie mit anderen Mitteln operiert.
Ich denke, es gibt zwischen Menschen, auch unterschiedlicher Herkunft, sehr viele Moeglichkeiten, sich misszuverstehen, aber im Allgemeinen versteht man sich erstaunlich gut. Es gehoert zur Grundausstattung von uns Gruppenwesen, eine enorme Verstaendnisbereitschaft, einen Interpretationswillen dem Anderen gegenueber mitzubringen. Aber das vermittelt zunaechst nur das Allgemeine. Ein Mensch ist traurig, ein anderer hat seine Habe verloren, eine ist einsam im Gefaengnis, ein Maedchen springt frei und gluecklich in den See.
Ich hoffe, dass es in meinem Bildern beides gibt: die Identifikation und die Verunsicherung. Ich weiss, wie sie sich fuehlt, das heisst vor allem: ich weiss, wie ich mich in ihrer Lage fuehlen wuerde. Aber wie ist die denn? Warum ist sie im Gefaengnis? Was hat sie getan? Wo kommt sie her, wie lange muss sie bleiben, wie steht sie in der Zellenhierarchie? Ich weiss nichts, trotzdem weiss ich sehr viel. Ich werde nicht sie, sondern eine wie sie, wenn ich das Bild anschaue. Da es dort keinen echten Menschen gibt, sondern nur ein Abbild, ist es die volle Wahrheit, was ich sehe. Ich halte das Gemeinsame nicht fuer abwesend. Es ist immer da, aber unvollstaendig. Vollstaendiges Wissen uebereinander, vollstaendige Verantwortung fuereinander, kann ich mir nicht wuenschen, ganz sicher nicht mit allen Menschen. Es gibt ja so unglaublich viele davon.
Mein Lieblings-Gemeinsames ist das Schwimmen im See, im Sommer. Das finden alle dort auf die gleiche Art toll. Deshalb werde ich auch im naechsten Sommer grosse Bilder malen, auf denen FKK-Schwimmer am Liepnitzsee gluecklich im Wasser planschen.