Nachdenken ueber eine Ueberschrift oder den Titel weglassen? Der kurze Text ist geschrieben, aber der Beitrag will noch eine Dachzeile, so ist die Regel, die das Eingabeformular vorgibt. [Vor dem Gesetz …]. Manchmal fällt der Titel weg, stattdessen: drei Punkte oder ein Gedankenstrich. Auf nachwort.de veröffentlicht der Schriftsteller Nikolai Vogel in wechselnder Frequenz seine Notizen. Ein Blog, ja – allerdings eines, dessen Code er fuer seine Zwecke modifiziert hat und eines, bei dem die Kommentarfunktion deaktiviert ist. (Xsadfkmslllasfsdf…)
Nach fuenf Jahren ohne Migration ist es mittlerweile laengst schoen unzeitgemaess, also ohne RSS-Feeds und Trackbacks, weshalb es auch nicht in Blogrolls auftaucht. Ein Blog also und doch keines? Ein Blog legt eine tagebuchaehnliche Form nahe – und mit den Erwartungen, die ein Tagebuch evoziert, spiele ich, unterwandere sie jedoch gerne. Kurze Texte, Beobachtungen wie schnell dahingeschrieben, im Flug des Erlebens, an denen ich bisweilen aber lange ueberlege. Das Veroeffentlichen im Web wirkt zwar spontan, aber von Anfang an war mir klar, dass es eben trotzdem ein Veroeffentlichen ist. Ich wollte also, dass meine Texte dort die gleiche Praezision haben, wie die, die ins Gedruckte sollen. Also kein Abfall.
Der Anspruch ist der gleiche wie ich ihn bei meiner Prosaarbeit habe, den Manuskripten, die vielleicht mal Buchdeckel bekommen. In den ersten Jahren des Internets wurde ganz explizit eigenstaendige Internetliteratur gesucht, eingefordert und immer wieder, durchaus mit Haeme, fuer gescheitert erklaert. Es hat etwas gedauert, bis das Web Formen, wie die des Blogs entwickelt hat. Und man darf nicht unterschaetzen, wie gerade diese Form am Autor zieht, wie sie immer neuen Text einfordert, einfach weil im Moment des Einstellens eines Beitrags schon gewartet wird, auf den naechsten, und die vorgestellte Leserschaft vielleicht nicht wieder kommt, wenn sie zu lange warten muss!
Das kann suechtig machen – ich lasse mittlerweile gerne laengere Pausen. Im Internet publiziere ich seit 1998. Damals habe ich die Website blackink.de online gestellt. Black Ink ist ein kleiner, experimentell orientierter Verlag, den ich zusammen mit Kilian Fitzpatrick betreibe. Auf blackink.de haben wir bereits 1998 auch elektronische Ausgaben erstellt, die wir dezidiert fuer Bildschirme lesbar machen wollten.
Erstveroeffentlichungen junger Autoren, die wir dann erst als Buch brachten, oder auch Neuausgaben klassischer Texte. Sehr geeignet erschienen uns dafuer Rilkes >Duineser Elegien<. Fuer deren luftiges, wie klassisches Erscheinungsbild haben wir damals viel Beifall bekommen. Jede einzelne Elegie bleibt darin ein Textfluss, die Scrollbewegung gleitet ueber die Verse, sodass diese nicht durch Seitenumbrueche zerteilt werden. Ein anderer Text war >Liwuna und Kaidoh<, von Paul Scheerbart, der seine Leser in Innenwelten des Universums entfuehrt. Ob sich jemals wer ganz durchgeklickt hat, weiss ich nicht! >Es schneit Jasminblueten …< Ich selbst lese auf dem Bildschirm bis heute nicht gerne lange Texte - und so ist meine Form fuer ihn eben kurz, auch auf dem >Goldenen Fisch<, einer Textplattform, auf der die Beitraege mehrerer Autoren zusammen ausschwimmen. Das alles ist im und fuers Web geschrieben, man kann es aber auch ausdrucken – es liest sich auch auf Papier, doch dort fehlen die Links und die dem Browser eigene Fluessigkeit der Bewegung, die ja auch eine Fluechtigkeit ist, eine Lust nach spontanen Ausfluegen hierhin und dorthin, welche freilich auch die Konzentration immer wieder herausfordert.
Die >Lesbarkeit der Weltliteratur< hingegen ist ein minimalistisches Projekt, das die Buchform voellig verlaesst – und das, ohne dabei Bilder, Filme oder Toene zu verwenden. Texte uebereinander zu legen, sie quasi zu verfluessigen, tanzen zu lassen – diese Moeglichkeit fasziniert mich. Leopold Bloom trifft auf Don Quichotte und Werther, >Gingo Biloba< wird immer neu aufgewirbelt, und Texte ueberschreiben sich fortwaehrend. Aber die >Lesbarkeit der Weltliteratur< bekommt mittlerweile die Weiterentwicklung der Browsertechnologien zu spueren - man muss der Website jetzt explizit erlauben, Fenster zu oeffnen. Der Rest laeuft so weit noch ... Texte im Internet koennen unter Umstaenden schneller unlesbar werden, als ihre Pendants im Buch. Wer weiss, ob die Scripts meiner Website-Programmierung ohne weitere Wartung in ein paar Jahren noch richtig interpretiert werden? [Ob die Automate Olimpia noch als Geliebte taugt? Was Gegenwart bleibt …] Aber diese Abhaengigkeit, dieses Spiel zwischen Bindung und Freiheit des Textes von seinem Medium, ist eben auch eines meiner Themen. Als Autor arbeite ich mit Texten und als Kuenstler installiere ich sie. Zur Zeit uebrigens vorwiegend mit altem analogen Material: Bandmaschinen und Diktiergeraeten aus der vordigitalen Zeit.