Einmal waehrend einer Nacht oder am Morgen oder Abend eines Tages stehe ich in meinem Zimmer, ich stehe oder sitze still, schaue auf die Uhr und dann notiere ich, eine Frage zum Beispiel, oder einen Gedanken, eine getraeumte, eine erfundene oder eine erlebte Geschichte. Mal ist das Particle, das ich finde, eine kleinere Einheit, eine Zeile lang oder nur ein Wort, dann wieder von groesserem Umfang, aber hoechstens von doppelter Bildschirmhoehe. Und sobald der Text fertig geworden ist, wird gesendet, ein seltsamer, ein aufregender Moment in jedem Falle, und noch immer kann ich nicht sagen, warum das so ist, warum ich die Sekunde der Publikation so intensiv erlebe.
Meine Particles-Arbeit ist aus einem Werkstattnotizbuch heraus entstanden, das ich in den Jahren 2005 und 2006 auf einer Webseite fuehrte, waehrend ich einen Tauchertext entwickelte, einen elektrischen Raum, in dem sich Satzkoerper zueinander verhalten, als waeren sie eine Fluessigkeit. Weil mir das taegliche, oeffentliche Notieren Freude bereitet hatte, habe ich die Arbeit an Particles als eigenstaendigem Werk bald wieder aufgenommen. Taeglich sende ich nun seit dem 20. Juli 2007 einen kurzen Text, der je einer Minute der Zeit verhaftet ist, eben jener Minute, in der ich den Text zu schreiben beginne. Jedes der Particles steht fuer sich, ist abgeschlossene oder offene Einheit, die per Link mit einem Zeichenstrang verbunden ist, einer Geschichte, die Tag fuer Tag um genau ein Zeichen fortgeschrieben wird.
Ich verstehe meine Arbeit als eine langsame Denkbewegung, die zu notieren genauso viel Konzentration erfordert, wie sie wahrzunehmen, auch Linien zu erkennen, Linien des Beobachtens, des Erfindens, des Erzaehlens, denn Particles sind meinem Schreiben fuer das Papier unmittelbar verbunden. Wenn ich von der Beobachtung meiner schreibenden Hand berichte, dann, weil ich gerade an einem anatomischen Text arbeite. Und wenn ich einen Kaefer ueber den Schreibtisch laufen sehe, ist sein Ursprung vielleicht in der Entwicklung eines polaren Wesens zu entdecken, das im Eisfach eines jeden Kuehlschranks gehalten werden koennte. Manchmal schreiben die Figuren einer Geschichte ihrem Erfinder Luftpostbriefe. Es ist ein grosses Vergnuegen so zu arbeiten, zu spielen, es ist ein wenig so, wie Jazz zu machen, Improvisation, Call and Response.
Als Autor des Goldenen Fisches sammle ich seit 2004 Erfahrungen mit dem Schreiben im Raum des Internets. Da ist natuerlich einerseits die Beobachtung, dass ich als Autor einer elektronischen Plattform ueber unverzuegliche Wirksamkeit verfuege, das heisst, sobald ich einen Text geschrieben habe, kann ich diesen Text publizieren, zur Welt bringen, mit allen seinen Staerken und Schwaechen, ohne Filter, einen kostenlos lesbaren Text, der jederzeit veraendert, sogar geloescht, ausgeloescht werden koennte. Und da ist andererseits die Beobachtung, dass diese Moeglichkeit raschen Handelns einen Sog entwickelt, eine unwiderstehliche Lust darauf, alles Notierte sofort zu praesentieren, nur noch in kleinen Abteilungen zu arbeiten, in Abteilungen von Bildschirmgroesse.
Eine ernstzunehmende Gefahr, denke ich, fuer jede Autorin und fuer jeden Autor, sich in dieser kleinen Form zu verlieren. Ich habe fuer mich deshalb bald Regeln formuliert, um die eigentliche Arbeit nicht zu gefaehrden. Und es ist eine feine Herausforderung natuerlich, mit sehr guten Autorinnen und Autoren an einem gemeinsam erarbeiteten Textturm zu schreiben. Ich kann sicher sagen, dass meine Mitgliedschaft im Goldenen Fisch von Vorteil fuer mein Schreiben ist, ich komme beispielsweise in persoenlichen Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, auch in den Genuss professioneller Kritik.
Eine konkrete Vorstellung von Menschen oder Menschengruppen, die meine Arbeit entweder unmittelbar oder ueber litblogs.net kommend besuchen und erleben als eine regelmaessig sich vollziehende, also rhythmische Schreibbewegung, habe ich nie entwickelt. Wenn ich von Zeit zu Zeit Kommentare per Email uebermittelt bekomme, sind das ueberwiegend sorgfaeltig notierte Gedanken, die fuer mich Erlebnis sind und Freude bereiten. Fuer einen kurzen Moment wird das Selbstgespraech zum Dialog.
Die Zeit des Lesens von Buechern, davon bin ich ueberzeugt, wird nicht so rasch ein Ende finden. Vielleicht werden wir bald kleine Maschinen in unseren Haenden halten, die die Zeichen der Buecher speichern, das ist denkbar, ja wahrscheinlich. Das Internet wird ein parallel existierender Raum bleiben, in dem Autorinnen und Autoren sich ihrem Publikum praesentieren koennen, eine Auswahl ihrer Texte beispielsweise, einen Film oder die Tonspur eines gelesenen Textes und natuerlich einen Link zum elektronischen Buchwarenhaus. Es werden also Autoren existieren, die einen Vorteil aus einer Internetpraesenz ziehen koennen, andere werden darauf verzichten, ohne Schaden zu nehmen, selbstverstaendlich nur solange ihr Verlag sie sorgfaeltig foerdert und mit besten Kraeften unterstuetzen wird.