Haben Sie schon Mal ins Internet geschrieben? Haben Sie sich danach besser gefühlt? Der Medienaktivist Stefan Beck hat andere Sorgen. Er betreibt seit den frühen 1990er Jahren das Netzwerk The Thing Frankfurt und bloggt dort über Kunst, neue Medien und Politik.
Internet als Strategie zu betreiben, ist durch Web 2.0 [oder Hype 2.0] fuer mich schwieriger geworden. In zweierlei Hinsicht. Technisch legen gegenwaertige Community Sites wie Flickr, MySpace, Facebook die Latte so hoch, dass es fuer den einzelnen Medienkuenstler [oder auch eine Gruppe] kaum moeglich ist, mitzuhalten. Allein Facebook laedt 1.4 MB Scriptdaten!
Dahinter steckt die Arbeit von hunderten von Entwicklern. Damit wird gleichzeitig auch die Erwartungshaltung der User an die Funktionalitaet einer Webseite gepraegt. Selbst, wenn man sich vor Augen fuehrt, dass bei Flickr, MySpace und Facebook nicht alles gut und nuetzlich ist. Es besteht die Gefahr, die eigene Webseite als flau und unterentwickelt zu betrachten.
Konzeptionell steht die eigene Arbeit im Web vor der Herausforderung, endlich alle zu bedienen und allen foerderlich zu sein. Mit Web 2.0, oder Mitmachweb wie es manchmal genannt wird, ist Internet bei der breiten Masse angekommen. Konzeption, Strategie und Inhalte muessen nun allgemeinen Erwartungen genuegen. Bis zum Platzen der Dotcom-Blase war Internet mehr oder weniger eine Angelegenheit fuer Insider, fuer uns, – uns Nerds. Dann kam Google, dann kamen die Communities. Tendenziell besteht natuerlich die Chance durch Web 2.0 mehr User zu finden. Der Kuchen Aufmerksamkeit wird aber nicht groesser, je mehr Menschen davon naschen wollen. Wie in den alten Medien haben sich erneut wenige Konglomerate [Google allen voran] gebildet, die den groessten Teil des Zuspruchs auf sich ziehen.
Ich will das nicht beklagen. Das Web 1.0 war von der Utopie gepraegt, allen gleichermassen dienlich zu sein. Weil >alle< damals im Vergleich zur Weltbevoelkerung noch wenige waren. Allein in Indien warten noch 97 Prozent der Bevoelkerung auf einen Internetzugang. Internet als Strategie will theoretisch fundiert sein. Neben >relationaler Aesthetik<, >distributiver Produktion< und >indirekter Repraesentation< gehoert auch >Postautonomie< zu meinem Repertoire. Der Begriff geht auf Niklas Luhmann zurueck. Er beschreibt ein System, dessen Autonomie gegenueber anderen Systemen so weit fortgeschritten ist, dass es seine Autonomie nur dadurch steigern kann, indem es sich nur unter Preisgabe seiner Autonomie autonom fuer nicht-autonom erklaeren kann. Der Hamburger Theoretiker Michael Lingner hat Postautonomie fuer die Kunst erklaert und fruchtbar gemacht. Er versucht damit Strategien in der Kunst zu begreifen, die sich vage gesellschaftlichen Fragestellungen und Eingriffen geoeffnet haben. Formen der sozialen Plastik, des politischen und sozialen Engagements, der Uebernahme wirtschaftlicher Vorgehensweisen in Bereichen selbst organisierter Praktiken. Ein eigener Ausstellungsraum, ein eigener Buchladen, ein eigener Musikvertrieb. Im Internet verknuepft sich Postautonomie mit der Infragestellung von Autorschaft, mit der Idee gemeinsam an Inhalten [ueber ein Wiki] zu arbeiten, oder auch Musik aus nicht mehr greifbaren Quellen von weit auseinander liegenden Knoten herunterzuladen. Sowie mit der Aufloesung von Zugehoerigkeiten und Kategorien. Ein Text, der gehoert nicht mehr einem Buch, einer Zeitung, auch keinem Blog, und doch kann er zu allen neue Beziehungen aufbauen. Tatsaechlich habe ich eine Homepage eigenen Namens, stefanbeck.de, die noch aus der Zeit von Web 1.0 stammt. Frueher haette ich das eine Visitenkarte genannt, heute sollte es neumodisch ein Lifestream sein. Ein Aggregator, der die verstreuten Aktivitaeten meiner variablen Identitaeten auf diversen Web 2.0-Beteiligungen buendelt. Deswegen schreibe ich auch nichts auf meiner Homepage. Meine eigentliche Auseinandersetzung mit Internet und den Problemen der Autorenschaft findet auf meinem Projekt The Thing Frankfurt statt.
Nur nebenbei: meine groesste Skepsis Funktionen von Communities bei >Thing Frankfurt< zu integrieren, beruht auf dem Unwillen, die User der Seite an diskrete Accounts zu binden. Warum soll sich jemand registrieren muessen, um relevante Beitraege zu leisten? Leider stehen dem die Ueberlegungen zur Betriebssicherheit entgegen. Da Internet eben jetzt >alle< meint, meint es demnach auch Hacker, Spammer und andere uebel gelaunte Subjekte. Ihre schiere Zahl laesst einem einzelnen Betreiber keine andere Wahl als technische Barrieren zu errichten. Das ist schade. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Medienkuenstler und Herausgeber des Buches >Postautonomie<.]