Ich halte es so: Literatur ist Text, der seine Welt enthaelt. Damit komme ich zu keinem Gespraech. Ich brauche zwei weitere Saetze: Literatur ist Ware am Literaturmarkt. Und/oder: Literatur ist eine Sportart. Man kann die Texte, die ihre Welten enthalten, verkaufen, man kann damit zu Wettbewerben antreten. In beiden Faellen vermute ich, dass die Texte dann mehr als nur sich enthalten, auch Absichten, aber das ist hier egal. Wichtiger: Literatur im Gespraech ist Literatur, die erscheint. Eben am Markt oder in der Arena. Die Frage nach der Netzautorschaft zielt auf eine Literatur, die ausserhalb dieser Spielstaetten existiert. Ich denke, es gibt sie in den Gespraechen noch nicht.
Ich habe Jahre in einer Mailingliste die Netzliteratur diskutiert und erinnere mich gut, dass es im Kern darum ging, was sie denn sei, die Netzliteratur. Was ich in dieser Zeit gebastelt habe, waren Demos zur Frage. Literatur ist wie Sex. Profis koennen es besser. Naemlich im Gespraech. Privat ist intim, nur kaeuflich ist oeffentlich. Es gibt Diven unter den Huren und Callboys, die man empfiehlt. Wer in sein Schlafzimmer blicken laesst, ist Exhibitionist. Er beginnt, sich ins Gespraech zu mischen, aber nicht mit Prospekten, Awards oder Provokation, sondern mit Peinlichkeit. Ja, ihr habt Sex, sagen vielleicht die Bekannten. Aber es ist keine Kunst.
Das ist nicht der Aerger der Marktfrau ueber den Nachbarn, der sein Gartengemuese verschenkt. Es geht um eine Zumutung. >Die Schubladen der Hobbyschreiber quellen ueber<, heisst es, nicht, sie naehmen die Butter vom Brot. Tatsaechlich folgt Autorschaft Zwecken, die als unverdaechtig gelten: Geld zu verdienen, Ansehen zu gewinnen. Was will ein Autor, dem daran nicht liegt? Treibt der Politik oder Selbsttherapie? In jedem Fall macht er sich verdaechtig. Der Verdacht: seine Literatur ist keine. Wer sein Schlafzimmer zeigt, hat vielleicht gar keinen Sex. Das hat nun mit dem Internet wenig zu tun. Literatur ist ja nicht ans Buch gefesselt. Zeitschriften, Hoerbuecher, Multimedia-DVDs, Performances und Videos koennen genauso literaturhaltig sein. Auch das Internet. Die Internetfrage ist die nach der Bezahlung. Ohne Geld scheint die Literatur dem Verleger, der nicht einsieht, dass seine Buecher selbst, unabhaengig vom Inhalt, einen Wert darstellen, ebenso unmoeglich, wie dem Autor, der seine Identitaet aus der Beruflichkeit zieht. Jederzeit kann es sich aendern. Stiftet ein Millionaer Literaturpreise fuer Internetautoren, etabliert sich ein akzeptiertes Bezahlverfahren fuer Texte, ist das Web im Spiel. Oder das Handy. Nichts hindert eine solche Entwicklung, ausser der Furcht vor dem Diebstahl. The Raubkopie, textz. Manche meinen, das alte geistige Eigentum sei fuer das Internet nicht fit, doch es ist eine sehr neue Idee, menschheitsgeschichtlich kaum aelter als das Digitale. Zudem stellen Computer und Internet nicht bloss Dieben die Werkzeuge, auch der Polizei. Jahrzehnte wird es nicht mehr dauern. Ich kenne Verleger, denen gehen die Komplimente ihrer Autoren ans Buch zu weit. Zwar haben sie ihren Onlineladen nicht eroeffnet, doch sie traeumen schon davon. Sie runzeln die Stirn vor den Ergebenheitsadressen. Mehr nicht. Heute finden sich Werbung, Buchbegleitendes, inszenierte Prestigeprojekte und natuerlich Verlagskataloge im Web. Und unabhaengig davon die Buchrezensionen, zwar ebenfalls schutzbeduerftige Ware, aber, aus Verlegersicht, nicht >Content<. Drum herum tummeln sich Schuelerzeitungen, Tagebuecher, Hobbytheken. Keine Literatur. Warum stellt jemand Selbstgedichtetes ins Web, statt einen Verlag zu suchen? Die Frage ist unserioes. Warum sagt jemand ungefragt seine Meinung? Sie scheint auf Diskreditierung aus, auf Reservierung des Literaturbegriffs fuer den Markt. Nur ist das weder noetig, noch wird es vorsaetzlich betrieben. Allenfalls sagt man: die wollen entdeckt werden. [Werden sie nicht, es kommt genug mit der Post.] Tatsaechlich duerfte jeder seine eigenen Gruende haben. Sozialwissenschaftler koennten Statistiken erstellen. Ich vermute, es geht ums Gespraech. Durch Markt und Sport nicht gebundene Literatur nennt man gern Untergrundliteratur. Doch das traefe die Netzpublikation kaum. Ein Gedicht, das hundertmal mehr Leser findet, weil es vernetzt ist, statt vergriffen, ist nicht im Untergrund. Es findet sich auch keine Untergrunddebatte dazu. Die gab es eher in Zeitschriften und DiskMags unter Leuten die sich -irgendwie- als Gegenautoren verstanden. So bleibt das Gespraech allein. Leute kennen lernen, mit Leuten reden. Meine erste Website, 1994, dokumentierte einige Go-Partien, ueber die ich mit anderen per E-Mail diskutierte. Go ist ein Brettspiel, zu dem man hierzulande in der Nachbarschaft selten Mitspieler findet. Dann ging es mit Gedichten weiter und uferte aus. Eigendynamik. Ich habe das Zeug immer wieder geloescht und loesche noch heute, musste aber Beschwerden bearbeiten. Das koenne ich doch nicht machen. Eine Hand haelt die andere. Ein Freizeitvergnuegen, sicher, keine Profession. Nicht schlechter als Schach. Nicht besser als Kuscheln. Ich finde nicht zu jeder Handlung ein Motiv. Und ich kann es nicht fuer mich selbst erklaeren, denn: ich bin kein Autor. Nur ein Mitschwaetzer. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich als Texter. Texter sind Leute, die schreiben, ohne Literatur zu produzieren. Gleich muss ich eine weitere Definition einfuehren. Ich verfasse einerseits Massenware fuer den Druck, Postkarten, Kalender, Raetselbuecher, Witze, Horoskope, oder fuer Rundfunk und Onlinemedien Quizfragen, Tagestexte, Spiele, andererseits einzelne Gedichte fuer Denkmaeler, Bauten und Parks. Letzteres wird besser bezahlt. Beidem gemein ist, dass mein Name nicht dabei steht. Auch darum ist es keine Literatur. Literatur ist Text, der seinem Autor einen Namen macht, jenseits von Faechern und Themen. Das ist mein Interesse nicht, die Taetigkeit im Gedenkkulturbetrieb bedeutet: anderen einen Namen machen. Kurzum: ich mag mich nicht als Autor in meine Texte kleiden, weil ich meine Person ohnehin raushalten will. Ich diene keinem als Ikone oder Wichsvorlage. Auch denke ich, dass das dem Text nicht nuetzt. Und ich mag am Literaturmarkt nicht antreten, weil mir die Erwerbschancen dort nicht ausreichend scheinen. Mancher wird reich, das schon, aber ich nehme lieber das Honorar als das Los. Das heisst nicht, dass ich den Markt nicht schaetze. Ich kaufe gerne dort ein. Bin ich aber ausserhalb des Internets nicht Autor, so bin ich es >im< Internet ebenso wenig. Ich bin kein Netzautor. Ich war Profiblogger in Sachen Kunst. Ich schrieb Artikel online, als Journalist. Ich gab eine Website heraus, die zuletzt Texte von rund 600 Leuten versammelte, von denen viele sich als Autoren verstanden. An diesen scheiterte schliesslich das Projekt: zu rasch, zu oft mussten die Texte wieder verschwinden, weil sie ins Buch umziehen sollten. Als aus dem Aerger, dass ich nicht schnell genug loeschte oder aenderte, Gerichtsverfahren wurden, gab ich auf. Oft kamen Broterwerb und Hobby zusammen - Autor wurde ich damit nicht, nur Schreiber. Nun antworte ich auf die Netzautoren-Umfrage der Berliner Gazette und mir selbst auf die Frage nach dem Warum. Warum stelle ich ein Gedicht ins Web [=zum Abruf bereit]? Und: warum antworte ich auf die Umfrage. Mir scheint das dieselbe Frage zu sein. Ich nehme an einem Gespraech teil. Unter anderem, indem ich lese. >Lurke< hiessen in den fruehen Netzforen die Leute, die nur lesen und nichts beitragen. So einer bin ich nicht. Ich klicke mich weg - oder ich bin dabei. Sagt jemand dort, wo ich mitrede, etwas, das eine Erwiderung verdient, bekommt er sie. Manchmal profiliere ich mich auch damit. Zum Beispiel habe ich so oft darauf hingewiesen, dass es dem Buchumsatz dient, wenn die Buchinhalte zugleich gratis im Netz zu haben sind, jedenfalls bei manchen Buechern, dass ich inzwischen Verleger gegen Honorar berate. Das hat sich also finanziell gelohnt. Es fing aber mit dem Go-Spiel an, dem Nischenthema, zu dem sich vor Ort keiner fand, und entwickelte sich dann weiter. Gedichte sind nebenbei kein Nischenthema, das ganze Volk liest, spricht und schreibt sie; die typisch niedrigen Buchauflagen deuten eher auf Marktversagen. Warum schreibe ich mit? Ich bin da. Die uebrigen Fragen der Berliner Gazette kann ich nicht beantworten. Sie betreffen mich nicht persoenlich. Ich habe Meinungen dazu, die sich oft in Vorurteilen verfangen. Ich weiss nicht, wie es sich anfuehlt. Ich schreibe fast alle Wachzeit, so bin ich eben. Das wollte ich, weil meine Eltern, Musikerin und Maler, mich beide zu ihrem Fach, auf ihre Seite ziehen wollten und ich auswich. Ich haette auch Ingenieur werden koennen, dann waere meine Welt heute voller Erfindungen. Und letztlich ist es mir gleich, wo es erscheint, sich zeigt. Ich bin dabei und muss doch nicht das Gesicht hinhalten. [Dass >ich< und >nicht< die haeufigsten Woerter in diesem Text sind, ist kein Zufall.] Das ist o.k. Andere koennen Spannenderes berichten. Alban Nikolai Herbst z.B., der weniger auf den Wandel der Distribution schaut und den der Textproduktion selbst voran treibt. Am Gespraech teilnehmen, das heisst mehr als Buttons zu verteilen, es wird geantwortet. Damit kann man arbeiten. Das literarische Blog wird zum Schreibtisch des Autors, nicht zum Buchersatz. Man sollte das nicht mit den kollaborativen Projekten verwechseln, die die Hoffnungen des Netzschreibens um 1995 anfuehrten – sie scheiterten oft daran, dass von vielen Schreibtischen Texte in eine Publikation flossen.
Auch andere Projekte, die z.T. an die Textadventures der Achtziger anknuepfen, fuellen allmaehlich den Begriff der Netzliteratur aus. Die, die nicht bloss mit Witz praesentieren wollen. Ich beschraenke mich hier auf die Netzpublikation, weil ich mich selbst vom Netzliteraturdiskurs entfernt habe. Ich nutze den Computer heute fuer den Bau von Textgeneratoren und Summarizern, was mich weiter von jeder Autorschaft entfernt.
Fuer die Publikation hat das Internet an erster Stelle den Vorteil, schnell und billig zu sein. Und einen grossen Nachteil: das Netzgeraet ist auch der Feind im eigenen Haus. Ganoven und Securitate druecken sich die Schluessel in die Hand. Die Sorgen der Verkaeufer aber teile ich nicht. Wer meine Texte stiehlt, nimmt mir nichts weg. Im Gegenteil: nur zu. Das waere das letzte Beweisstueck.
[Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes ist Betreiber des Blogs die.hor.de]