Post-Fukushima: Anregungen aus einem Land, das dem Westen in allem voraus ist

Tokio war ein zivilisatorischer Höhepunkt. Tokio ist ein zivilisatorischer Höhepunkt. Weit voraus im Bereich Technologie, beispielgebend im reibungslosen Zusammenleben von Abermillionen Menschen. Für Edgar Honetschläger ist Fukushima der Beweis, dass es so bleiben wird. Der Künstler und Filmemacher fragt: Welche Lektionen zieht der Rest der Welt daraus?

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In der nahen Zukunft wird es an jeder Tür in Tokio Radioaktivitätsdetektoren geben. Verschiedene Töne werden ausweisen, von welchem Gegenstand am Körper die Radioaktivität ausgeht. Jeder Haushalt wird eine Dekontaminationsmaschine haben. Das Leben wird weiter zivilisiert vonstattengehen. Während wir eine Tasse grünen Tee trinken, reinigt die Maschine den von Verstrahlung betroffenen Teil. Wir geben die radioaktive Masse in einen Container und stellen diesen am Samstag, an den dafür vorgesehenen Mülltrennungssammelpunkt. Es wird spezielle Wasserfilter für Radioaktivität geben. Und die coolste ‘radioaktive’ Mode werden wir in jedem Fall haben.

Die Krebsrate, die auch schon vor Fukushima zu den höchsten der Welt zählte, wird weiter nach oben gehen. Man wird nicht darüber sprechen.

Ein Kreis schließt sich

In unzähligen Mangas und Filmen gleichwie in der Literatur wurde seit dem zweiten Weltkrieg immer wieder das Gespenst der nuklearen Katastrophe und der daraus folgenden Mutationen an die Wand gemalt. Japan hat herbeizitiert, was seit letzten März traurige Realität geworden ist.

Der Westen – der so gut wie nichts über Japan weiß (was umgekehrt ganz und gar nicht der Fall ist) – hat sein Vokabular bezüglich der japanischen Sprache erweitert: Hiroshima, Nagasaki, Fukushima. Ein Kreis schließt sich. G7, G8, Japan. Waren sie nicht die ersten Nicht-Christen, die dem weißen Club beitreten durften? Ehrlich, pünktlich, nimmermüde, reich. Sie haben unsere Standards erreicht, sie verdienten es. Oh nein, sie sind darüber hinausgegangen.

Japan ist eines der schönsten Länder der Erde. Die Unschuld der Landschaft ist atemberaubend, vor allem in Tohoku, im Osten des Landes, dort wo Fukushima liegt, neben vielen anderen Nuklearkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen.

Am Anfang meines letzten Spielfilms “AUN – der Anfang und das Ende aller Dinge”, der in Japan gedreht wurde, sagt ein Wissenschafter namens Sekai [die Erde]: “Alles was der Mensch macht ist Natur.” Und am Ende sagt eine Ameise: “Der Mensch wird sich auch glücklich schätzen, in einer Wüste, die einst ein Wald war.”

Es gibt so vieles, das der Westen von Japan lernen könnte.

Anm.d.Red.: Der Beitrag erscheint als Nachwort auf die “Berliner Gazette”-Konferenz Learning from Fukushima. Die Bilder stammen aus dem Spielfilm AUN – der Anfang und das Ende aller Dinge (Januar 2011).

8 Kommentare zu “Post-Fukushima: Anregungen aus einem Land, das dem Westen in allem voraus ist

  1. eine interessante Visision, v.a. die Ideen im ersten Absatz. Wieviel davon ist bereits auf dem Weg? Was davon wird realistischerweise eintreffen? Oder wird doch nur ein weiterer Sci Fi Film daraus?

  2. Der technische Optimismus der 60er Jahre wird besonders die, die davon leben (also die Elektronik-Industrie) noch eine Weile begleiten, als Theologie der ewigen Hoffnung und des Fortschritts. Wen oder was werden aber die Kinder der Krebskranken zu ihrem neuen Gott küren?

  3. Was immer völlig verdrängt wird, ist der ungeheuere Eintrag von radioaktivem Material in die Gewässer des Pazifik. Glaubt IHR ALLE wirklich, das sich RADIOAKTIVITÄT unendlich verdünnen lässt ?? Nein, nicht nur der Pazifik zwischen Asien und dem Amerikanischen Kontinent wird massiv “geschädigt”, sondern im Laufe einiger Zeit das gesamte Wasser der Weltmeere. Aber DAZU haben wir ja hochbezahlte “Forscher”, die die Gefahren notfalls mit “Studien” runterreden können …

  4. Eigenartig, fremd und beunruhigend ist dieser Bericht für mich. Aus den Worten entstand die Textcollage “Tokio Zukunft wird”, die ich demnächst in meinem Promi-Galerie-Blog posten werde. Da der Beitrag wenig kommentiert wird, ist zu vermuten, dass die Entfernungen zwischen Berlin und Tokio noch immer riesig sind und zu fragen ist, wer wird von wem lernen?

  5. Ich habe, als die Katastrophe passiert war, zusammen mit einem Künstler und einigen Hamburger Passanten an einem Nachmittag das folgende Video realisiert, kleines kurzes Stück. Wer Lust hat, es zu sehen, findet es hier: http://www.youtube.com/watch?v=4FmsCVIb0iA

  6. eine herrliche meditation! wir müssen über die grenzen der konvention hinausdenken. japan zeigt hier und da wie das funktionieren kann. auch das ist learning from disaster called civilisation

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