Wir schienen zu schweben über den Dächern Berlins – in einem gläsernen Pavillon. Auf dem Dach des ICI Berlins versammelten sich am Samstag die TeilnehmerInnen des Workshops “Wir nennen es Schreiben”, der im Rahmen des Symposiums Mobile Textkulturen stattfand.
Verena Kuni hat mit Absicht ihr Notebook zu Hause gelassen. “Dieses Klappteil ist eher eine Barriere, wenn es vor mir auf dem Tisch steht. Ohne kann ich mich besser auf die Personen im Raum konzentrieren.”, so die Medien- und Kulturwissenschaftlerin. Zusammen mit Chris Köver und Fabian Wolff leitete sie den Workshop.
Schon in der Vorstellungsrunde entspinnte sich eine Diskussion über das, was wir “schreiben” nennen und die Orte, an denen wir heute schreiben und arbeiten. Angelehnt an das Buch Wir nennen es Arbeit stellte man sich sofort die Frage: Brauchen wir überhaupt noch ein Büro, wenn wir überall arbeiten können?
Print Media – I won’t miss it
Chris Köver, die in der dezentralen Redaktion des Missy Magazines arbeitet, rauben Skypekonferenzen manchmal den letzten Nerv und bescheren den Beteiligten nach vier Stunden eher viereckige Augen als einem Arbeitsergebnis. “Ein Büro, in dem es Kernzeiten gibt, zu denen jeder da sein soll, ist in sofern etwas Dankbares, dass ich keine halbe Stunde lang Mails tippen muss, um einen Termin für ein Meeting zu finden.”
Unter den jungen Teilnehmern war auch Christopher, Student der Kommunikationswissenschaft und leidenschaftlicher User von Twitter und Posterous. Er kennt Zeitungen nur aus dem Netz. Bevor er das erste Mal eine Papierzeitung in die Hand nahm, nutzte er Spiegel und FAZ online. Aus seinem Mund könnte der Spruch “Print Media – I won’t miss it” stammen, der auf einem der Bilder, die Verena mitbrachte, in einen Grabstein gemeißelt steht.
Besinnung durch Papier
Ein paar Stühle weiter saß Silke, die aus dem Tanz- und Opernbereich kommt und eigentlich nicht viel mit Schreiben am Hut hat, außer dem Verfassen einiger Pressetexte über Theaterstücke. Für sie zählt eher der körperliche Moment beim Schreiben. Das stille Papier hilft ihr dabei, sich zu besinnen.
Das Papier. Und der Screen. Die Frage ist: Verändert sich die Textform durch das Medium? Für Verena Kuni geht manch ein Blogbeitrag mit drei Sätzen genauso tief wie ein fünfseitiger Essay. Vielleicht sind es die Blogs, die es einfach besser auf den Punkt bringen? Chris Köver verdeutlichte diesen Punkt: “Institutionen haben nichts mit Qualität zu tun.”
Die neuen Freiheiten
Während sich Andi, der im Vorstand der Jugendpresse Deutschland arbeitet, durch einen Link in einem Text schnell zerstreut fühlt, schwörte Christopher auf die Selbstdisziplin, die man haben muss, um Artikel online von Anfang bis Ende lesen zu können. “Aber Disziplinierung kostet mich Energie, die ich meistens nicht habe.”, betonte Andi. Für Chris Köver machen aber gerade die Links das Internet aus. Durch sie entsteht Verknüpfung und Vertiefung statt Zerstreuung.
Wie hat sich das Schreiben verändert? Einfach nur kürzer, prägnanter, klarer strukturiert und mit mehr Bildern? Chris lenkt ein: “Die meistgelesenen Texte in Onlinemedien sind lange Dossiers.” Und schreiben wir heute eigentlich viel mehr unterwegs, nur weil wir es können?
Für Sabrina, die Theaterwissenschaften studiert, ist diese Entwicklung gewissermaßen ein Segen. Sie hat zwar mit dem beruflichen Schreiben nichts am Hut, äußert sich aber sehr gerne im Textformat, öffentlich. Die technologischen Grundlagen für das Überall-und-Jederzeit-Schreiben eröffnen ihr ganz neue Möglichkeiten. Ohne Büro und ohne die entsprechenden Arbeitszeiten, kann sie in ihrem Alltag zwischen Tür und Angel, beim Warten und in Pausen einfach in die Tasten hauen.
Tendenziell anders die Arbeit von Profis, die häufig im Team geleistet werden muss. Hier brauchen wir häufig die persönliche Anwesenheit der Anderen. Bei Chris Köver etwa wird die Nicht-Mobilität durch die neuen Kommunikationstechnologien unterstützt: “Noch ist die Technik nicht gut genug, um unsere bisherigen Arbeitsweisen komplett zu verändern. Aber wenn wir uns beamen könnten…”
Bilder des Workshops:
überraschend wie sehr dann doch ganz allgemeine internet-themen immer wieder mit verhandelt werden, wenn es um ganz spezifische dinge geht…
in diesem zusammenhang ein interview mit klaus theweleit über das internet als schauplatz des (neuen) kalten krieges:
http://diepresse.com/home/kultur/literatur/604161/index.do?from=suche.intern.portal