Klimawandel und Selbstkritik: “Wir gedeihen, uneingeladen, wo wir nie wachsen sollten.”

Die hausgemachte Katastrophe namens Klimawandel ist für viele Menschen bereits jetzt Realität. Diese Katastrophe trifft jene am stärksten, die die geringsten Möglichkeiten haben, sich darauf einzustellen – und die auch am wenigsten dafür verantwortlich sind. Wie können wir angesichts dieser Ausgangslage grenzüberschreitend zusammenarbeiten um der Klimakrise entgegenzutreten? Das war die Ausgangsfrage der MORE WORLD-Konferenz der Berliner Gazette. Die Autorin und YouTuberin Adriana Radu hält ihre Eindrücke fest.

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Ich habe den Verstand und auch die Bildung dafür. Aber erst im Juni dieses Jahres begann ich wirklich an den Klimawandel zu glauben. In diesem Sommer wurde ich zu einer globalen Frauenrechtskonferenz namens Women Deliver eingeladen, die in Vancouver, Kanada, stattfand. Ich habe Public Health studiert und in den letzten sechs Jahren SEX vs. THE STORK, Rumäniens beliebtester Youtube-Kanal für Feminismus, Aufklärung und reproduktive Gesundheit, betrieben.

Vancouver war mein erster Langstreckenflug allein. Als wir über Nordkanada flogen, sah ich endlose Kilometer Eis schmelzen. Ich erinnere mich, dass ich dachte: “Übertreib nicht, es ist Juni.” Dann, ein paar Tage später, die Nachricht von massiven Gletscherschmelzen in Grönland und dem Auftauen des Permafrostes. Zum ersten Mal legte sich in meinem Gehirn ein Schalter um.

Vor ein paar Wochen stieg ich aus dem Flugzeug und mein Telefon klingelte. Ich hob ab und hörte die Stimme meines Vaters. Er erzählte mir, dass meine Großmutter gestorben ist, während ich am Himmel zwischen Berlin und Bukarest war. Ich bin 30. Aber erst im Oktober dieses Jahres begann ich wirklich an den Tod zu glauben.

Wir haben es vermasselt

Wenn ich am Anfang einer schwierigen Aufgabe stehe, gibt es einen Sekundenbruchteil, in dem ich entscheide, ob ich sie in fünf Minuten einfach durchziehe oder ob ich dafür fünf Tage oder fünf Monate brauchen werde. Zu letzteren gehören der Klimawandel und (unser) Tod.

Ich bin sicher, dass ich nicht allein bin, wenn es darum geht, das zu akzeptieren, was ist. Also gehe ich weiter zu Konferenzen. Es war das fünfte Mal für mich bei der Jahreskonferenz der Berliner Gazette, die 2019 ihren 20. Geburtstag feierte. Dieses kamen wir zusammen, um zu trauern.

Ein Haufen Erwachsener trauert um den Verlust der eigenen Unschuld. Childish Gambino sagte einmal, dass er nie verstanden habe, warum Holden Caufield erst mit 15 Jahren erkannte, dass die Welt Scheiße ist, denn als schwarzer Junge in Amerika bekommt man dieses Memo sehr früh. Also sind wir wahrscheinlich etwas spät dran zu erkennen, was für einen Schlamassel wir auf der Welt kreiert haben. Dennoch, wir trauerten um unsere Sterblichkeit. Das sind Splitter von dem, was bei der Konferenz aufkam und von dem, was mir am meisten durch den Kopf ging.

Die Situation der Klimaexilant*innen

Da war zum einen Sujatha Byravan (Indien), deren Forschung die Politik der Klima-Exilant*innen untersucht. Byravan machte einige grundlegende Punkte deutlich. Menschen sind bereits jetzt in Bewegung und weitere werden folgen: zehn bis hunderte Millionen. Diese Bewegungen sind tendenziell unsichtbar, denn manchmal glaubt eine Person, dass sie für einen Job von einem Ort zum anderen wechselt, obwohl der wahre Grund der Klimawandel ist.

Die meiste Migration wird innerhalb nationaler Grenzen stattfinden, wie beim Hurrikan Katrina, als etwa 270 000 Menschen in verschiedene Teile der USA umsiedelten – nur die Ärmsten blieben zurück. Dass der Klimawandel bereits passiert, zeigt die Dürre in Syrien, die Hitzewellen in Russland und Afrika, die Situation in Tapachula, Mexiko, wo zahlreiche Migrant*innen aus afrikanischen Staaten festhängen.

Der Klimawandel verursacht Wasserknappheit oder steigende Meeresspiegel, bereits jetzt. So oder so, rechtsgerichtete Regierungen, die Grenzen stärken wollten und wollen, verschärfen das Problem nur. Jüngst hat Australien Menschen die Einreise verweigert, die auf Pazifikinseln als Flüchtlinge interniert sind. Überall sind die Menschen, die am wenigsten für Treibhausgase verantwortlich sind, am stärksten betroffen.

Die Zukunft wartet nicht

Eine Kohlendioxidkonzentration von 350 ppm (parts per million) galt früher als Schwell für das Leben auf der Erde. Schaffen wir es darunter zu bleiben, dann könnte der Planet es schaffen. Aber wir sind jetzt schon bei 450 ppm. Und die im Juni schmelzenden grönländischen Gletscher warteten doch nicht bis 2070, um wie geplant zusammenzubrechen.

Byravan sprach davon, wie wir die radikale Realität akzeptieren müssen, dass wir uns jetzt inmitten einer Umwelt- und Klimakrise befinden. Sie ist hier. Ich weiß, dass es schwer zu glauben ist. Noch während ich diese Zeilen schreibe, will ich es nicht glauben.

Ihrer Ansicht nach sind die Probleme des Anthropozäns die Probleme des Kapitalozäns. In Anbetracht dessen sieht sie einige Lösungen: die Rechte von Migrant*innen sollten in den Mittelpunkt gestellt werden, unabhängig davon, aus welchem Grund sie sich bewegen, nachhaltige Entwicklung und Gerechtigkeit auf lokaler, regionaler und transnationaler Ebene; gemeinsame/regionale Arbeitsmarktpolitiken für eine Freizügigkeit der Bewegung, Unterstützung von Fähigkeiten und Kenntnisse für jene Menschen, die ihr Zuhause eventuell verlassen müssen; die Entwicklung gemeinsamer Werte, ein neues Identitätsgefühl, eine Abkehr vom Konsumverhalten.

Der aufkeimende Öko-Faschismus

Die kanadische Forscherin Harsha Walia, eine Veteranin der Berliner-Gazette-Konferenzen, brachte ihre Klarheit und ihr Wissen ein, um weitere wichtige Aspekte zum Thema Klimawandel und Migration anzusprechen. Ein wichtiger Punkt ist, dass Klimamigrant*innen und Klimaflüchtlinge nicht durch die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 geschützt sind. Nach dem Holocaust gegründet und ohne Rücksicht auf die im Verfall begriffenen alten Imperien, umfasste die Konvention keine Klima- oder Wirtschaftsflüchtlinge.

In der weit gefassten Definition von Flüchtlingen auf der ganzen Welt, wird jede Stunde eine Person vertrieben. Seit 2016 hat sich die Zahl derer, deren Fluchtursache der Klimawandel ist, im Vergleich zur politischen Verfolgung, verdreifacht. Die größte Klimawandel-getriebene Vertreibung der Welt lässt sich demnach in Bangladesch beobachten, einem Land, das seit den 1990er Jahren unter der Leitung des IWF und der Weltbank massive Entwaldung vorantreibt, sowie Reis- und Garnelenanbau betreibt.

Nach Ansicht von Walia kann die durch Klimawandel verursachte Vertreibung nicht von anderen Arten der Vertreibung getrennt werden, da die Wurzeln hierfür eben im Imperialismus und Kapitalismus zu finden sind. Ebenso meint sie, dass niemand wirklich ein Klimawandelleugner ist. “Climate Change Denial” seid demnach einfach eine politische Ideologie, um weiterhin Extraktion und Green Grabbing zu betreiben. Die Leugnung des Klimawandels kann in diesem Sinne gar nicht „richtig“ gestellt werden, denn alle kennen die Wahrheit. Doch diese Ideologie ist ein Versuch, Minderheiten und Menschen aus dem globalen Süden eine gerechte Behandlung vorzuenthalten.

Sie sieht einen wachsenden Ökofaschismus, der darauf abzielt, die Grenzen zu militarisieren, um Lebensmittel im globalen Norden zu horten, obwohl die Menschen meist lokal migrieren werden. Gleichzeitig zitiert sie den neuen „Global Compact for Migration“, ein Dokument, dessen zentrale Säule hinsichtlich der Frage der Klimamigration darin besteht, die Mobilität von Zeitarbeiter*innen und Saisonarbeiter*innen zu erhöhen.

Für Walia sind das Bleiberecht und das Recht auf Bewegungsfreiheit gleichermaßen wichtig, und für beide sollte gekämpft werden. Würdige Migration ist nicht nur eine offene Grenze, sondern ein Umdenken innerhalb der imperialen Weltordnung. Eben eine Form der Umverteilung.

Wie das Ende der Welt klingt

Die 18-jährige Clara Meyer aus Berlin, Mitorganisatorin von Friday for Future, hatte den Mut, sich verletzlich zu zeigen und davon zu berichten, wie sie die Rede, die sie vor Volkswagen-Aktionären halten sollte, geschrieben und neu geschrieben hat. Dank der Gruppe der „kritischen Aktionäre“ hatte die junge Aktivistin die Gelegenheit bei diesem Wirtschafts-Event zu sprechen. Damals war sie nervös und schaffte es fast nicht auf die Bühne, weil sie in letzter Minute noch einmal alles umgeschrieben hatte. Doch ihre Rede schaffte es in die nationalen Zeitungen.

Anja Kanngieser war die Person, durch die ich zum ersten Mal etwas über die Republik Kiribati erfahren habe. Sie besteht aus 32 Atollen, auf denen etwa 100000 Menschen leben und wird jeden Tag von starken Flutwellen im Pazifik heimgesucht. Schon jetzt mussten die Menschen ihre Häuser verlassen. Die Republik Kiribati ist das erste Land der Welt, das aufgrund des Klimawandels unter der Meeresoberfläche verschwinden wird.

In Kanngiesers künstlerischer Audioarbeit konnte man Kinder hören, die am Stand der Hauptinsel Kiribatis spielen. Was sie uns mitteilen? Der Tag, an dem die Welt endet, wird wie jeder andere Tag klingen.

Wir können nicht verweilen

Am stärksten inspirierte mich die Performance der „University of the Phoenix“, die den Titel „Order of the Immortal Stranger“ trug. Darin entkamen die Kinder der Zukunft den Erwachsenen, die eine Klimakatastrophe verursacht haben. Sie werden von einer afrikanischen Pflanze namens „The Immortal Stranger“ geschützt und unterstützt. Sie hilft den Kindern aus anderen Gemeinschaften miteinander zu kommunizieren und sich zu befreien.

Die freien Kinder wachsen nur, um eigene Kinder zu bekommen, und leben nach den folgenden Lehren: Wir gedeihen, uneingeladen, wo wir nie wachsen sollten. / Ihre Verschwendung ist unsere Lehrerin. / Wir nutzen unser Leben, um ihre Ruinen in unser Zuhause zu verwandeln. / Wir werden lange genug leben, um mehr Kinder zu bekommen und dann zu sterben. / Stirb und werde Vorfahre./ Lasst uns lernen zu sterben. / Um auf dem Boden eines anderen zu werden.

Lasst uns also die Tatsache betrauern, dass wir sterben werden, aber lasst uns uns nicht selbst belügen und uns einreden, wir wären unsterblich.

Anm. d. Red.: Die Berliner Gazette-Konferenz MORE WORLD fand vom 10. bis 12. Oktober im ZK/U Berlin statt. Sie ging mit Workshops, Performances und Diskussionen der folgenden Frage nach: Wie können wir grenzüberschreitend zusammenarbeiten, um dem Klimawandel entgegenzutreten? Eine umfassende Dokumentation der Konferenz mit Projekten, Audios und Videos finden Sie hier. Übersetzt aus dem Englischen von Magdalena Taube. Das Foto oben stammt von Norman Posselt. Es wurde auf der MORE WORLD Konferenz aufgenommen und steht unter einer CC-Lizenz (by nc sa). Weitere Fotos, die Norman Posselt auf der MORE WORLD Konferenz aufgenommen hat, finden sich hier.

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