Jaja, die liebe Beschleunigung… Sie ist als Zeitgeistphaenomen zu Recht etwas in Verruf geraten. Albert Einstein hat in bemerkenswerter Ruhe und vielleicht deshalb so genial rein mathematisch nachgewiesen, dass Masse mal Beschleunigung Energie ist. Bei gleich bleibender Masse wuerde also eine Beschleunigung der Beschleunigung zwangslaeufig einen hoeheren Energie-Output liefern. Das waere natuerlich super. Wenn Beschleunigung aber nur den Zwang zu blinder Selektion bedeutet, zu blinder Anpassung und zu blindem Sturz in den Mainstream, dann verliert man selber an Masse und Klasse und senkt per Saldo die selbsterzeugte Energie. Wenn Beschleunigung also Anpassung im Sinne von Fremdbestimmung bedeutet, dann fuehrt sie zu einer Art Enthirnung und, genauso schlimm, zu einer Entherzung der ganzen Gesellschaft.
Es ist die Politik, die mich interessiert, aus journalistischer Sicht, das heisst, ich liebe es, das reale Geschehen zu beschreiben. Da Beschreibung wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe im politischen Journalismus ist, geht’s nur mit einer klar definierten Beschraenkung auf einzelne Themen, wenn man einen Qualitaetsanspruch verfolgt. Da Politik eine Funktion der Zeit ist, scanne ich das Geschehen zwar in Echtzeit, aber ich leiste mir den Luxus, ins Gedaechtnis, also in den staendig zur Verfuegung stehenden Fundus, nur die Informationen aufzunehmen, die weichenstellende Bedeutung haben. Wenn ich etwas veroeffentlichen moechte, bleibe ich zwar auf eine Recherche angewiesen, aber die kann ich mit grosser Gelassenheit und in einem sehr gerafften Zeitrahmen erledigen.
Ein gesellschaftliches Konstrukt, das ist der Zeitdruck aus meiner Sicht nicht. Ich sehe eher, dass der Zeitdruck ein reales Problem der Gesellschaftsstruktur ist, insbesondere auch der oekonomischen Struktur, aber auch der mental gesteuerten Beziehungsgeflechte der Menschen. Deswegen kann man sich, wenn man eine gesunde Entschleunigung der Gesellschaft haben moechte, wenn man also Hektik und Aktionismus durch Gelassenheit und echte Mobilitaet ersetzen moechte, nicht lange mit symbolischen Akten aufhalten. Da muss schon ganz konkret etwas passieren, sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch im individuellen Bereich. Die einzige Chance, die ich fuer eine Beruhigung der Gesellschaft sehe: Es muss Mode werden, souveraener, autonomer, individueller zu handeln und, um es in einem inneren Widerspruch zu sagen: anecken muss erlaubt ein, womit ich nicht das primitive mainstreamige Querulantentum der etablierten sogenannten Querdenker meine.
Fuer mich persoenlich sehe ich im Augenblick grossen Handlungsbedarf, beim Essen einen Zeitgang rauf zu schalten. Oder, anders ausgedrueckt, das Geniessen abzukuerzen. Das musste jetzt schnell gesagt worden sein. Hart genug, wenn einem nur noch Ironie ueber den Fastenbeginn hinweg hilft. Ich finde, dass man in der Liebe, fuer die man alle Zeit der Welt braucht, keine Zeit verlieren sollte. So bloed das Spruechlein damals in seinem Kontext auch war, so sehr steht fest, dass es einen pazifistischen Begleiteffekt der Liebe gibt. Zumindest waehrend Du Liebe machst, kannst Du Dich nicht mit anderen streiten und nach der Liebe ist auch der letzte Rest von Streitlust moderiert, oder?
Ich stehe, was aeussere Termine anbelangt unter enormen Zeitdruck. Wenn ich ihn so stark empfinden wuerde, wie er objektiv ist, wenn ich ihn also 1:1 an mich heran liesse, wuerde ich scheitern. Dem Zeit-Diktat oder gar der taeglichen Torschlusspanik [ein neues Projekt, ein neues Buch, ein neuer Film, ein neues Thema oder sonst was] widersteht man wahrscheinlich am wenigstens, indem man sich um ein immer ausgekluegelteres Zeitmanagment in eigener Sache bemueht. Das beobachte ich auch bei Menschen, die einen gedraengten Terminplan haben und einem hohen Leistunganspruch gerecht werden muessen. Mit denen kriegt man am ehesten und am verlaesslichsten ein Treffen zustande, vor allem weil sie ueber ihre Professionalitaet hinaus noch ueber eine gewisse Freude an Spontanitaet und Kreativitaet verfuegen. Und moeglichst gesund leben.
Und was gesund ist, muss jeder auch ein bisschen fuer sich selbst herausfinden. Das sind fuer mich die wichtigsten Handlungsraeume gegen sinnlose Beschleunigung. Effizient sein, heisst eben immer auch effizient traeumen. Es gibt kein perpetuum mobile, lernt man in der Schule. Ich sage, es gibt doch eins: Zeit steigert die Effizienz. Und Effizienz schafft Zeit. Man muss es allerdings so wollen.