Alternativen zum Public Viewing-Overkill

Bei WM-Spielen, an denen das Team aus Deutschland beteiligt ist, merkt man es besonders deutlich: Public Viewing und alles was dazu gehört breitet sich agressiv aus. So agressiv, dass es kaum noch Freiräume zu geben scheint. Und doch, es gibt sie. An manchen Orten wird es sogar stiller.

Markt und Straßen stehen verlassen, so geh ich durch die stillen Gassen. Der leicht böige Sommerwind treibt Staubteufel über den Asphalt der verlassenen Hauptstraße. Bunt geschmückt in Schwarz, in Rot und auch in Gold liegen die großen Blocks und die verschnörkelten Altbauten in der Nachmittagssonne. So ruhig und menschenleer ist es in Berlin eigentlich nur Sonntag morgens um vier. Doch die Sonne weiß es besser. Es ist eine komische Neutronenbombe namens Fußballweltmeisterschaft, die die Straßen leergefegt hat.

In kleinen Bars und Kneipen, in Kaschemmen und Vereinsheimen, auf Hinterhöfen und auf großen Plätzen drängen sich die Massen und schauen auf die Bildschirme und Leinwände, welche grünen Rasen zeigen. Für den echten grünen Rasen, die Baumkronen und das Rauschen interessiert sich jetzt keiner. Wo sonst ganze Divisionen von Arschbombe-springenden Jugendlichen, Bio-Smoothie schlürfenden Muttis und Laptop-auch-im-Freibad-nicht-Zuklapper vagabundieren, herrscht jetzt die Leere eines BuGa-Parks im Spätherbst. Nur am Rand der Rasenfläche praktizieren einige Unverdrossene eine fernostwärtige Gymnastik. Jeder öffentliche Platz – außer Fanmeile und Simon-Dach-Straße – ein Biotop der Ruhe.

So begebe ich mich dann in die Fluten. Kaum einen Umweg muss ich schwimmen. Verloren zieht ein Rentnerehepaar seine Kreise drei Bahnen entfernt. Mit dem Ohr, das beim Kraulschwimmen immer wieder aus dem Wasser lugt, vernehme ich von Zeit zu Zeit die Jubelrufe, immer wieder begleitet vom Törööh der Vuvuzelas. “Stoppt Fußballspiele bei Vuvuzela-Konzerten!”, denke ich, während ich versuche, mir zwischen Bahn 41 und 42 den Stand des Fußballspiels zusammenzureimen. Die köstliche Ruhe des Freibades ist mein ganz persönliches Sommermärchen.

7 Kommentare zu “Alternativen zum Public Viewing-Overkill

  1. Schöne Idee! Massenveranstaltungen inspirieren die besten Ideen des Rückzugs :)

  2. Ich lag neulich während eines Spiels ganz entspannt im Tiergarten – und von der Fanmeile kam die ganze Zeit Lärm herüber. Nicht so toll.

  3. Nur unter Wasser habe ich Ruhe
    Ich ziehe aus die Schuhe.

    Hinein ins kühle Nass
    Das macht heute Spaß

    Deutschland – Argentinien.
    Ich will nach Sardinien.

    Unter Wasser wird nur eines stören:
    Ich kann keine Vuvus hören!

  4. und wenn wir uns einfach gar nicht erst vom hype tangieren lassen?wäre denn dann in ruhe schwimmen ohne gedanklichen gegenspieler nicht schon wieder völlig unspektakulär? das paradies ohne schlange wer will das schon. dankeschön für das morgenbild. ich geh schwimmen. !-)

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