Warum Fußball zu Wasserball wird

Fußball funktioniert im Trockenen am besten. Doch offenbar kann der Sport nicht anders als sich immer mehr in Wasserball zu ver- wandeln. Die absurd anmutende Affinität von Wasser und Fußball tritt auch diesen Sommer im Umfeld der WM in Südafrika zu Tage.

Fußball-Stars wie Bastian Schweinsteiger werben für Wasser, derweil das Schwärmen über das Spiel der deutschen Nationalmannschaft nach dem Vorrundensieg gegen Australien in aquatischen Metaphern geradezu ertrunken ist.

Vorzeige-Agent des Wassers in diesem Zusammenhang: Mesut Özil. Wenn er am Ball ist, dann “fließt das Spiel”, dann ist der “Spiel-Fluß” da, etc. Alexander Osang schrieb im Spiegel, die Elf um Özil würde “Deutschland in einen neuen Aggregatzustand führen. Von fest zu flüssig.”

An den Grenzen des Fassbaren

Osang stößt an Grenzen: “Vielleicht kann man so etwas Flüssiges schlecht in Worte fassen.” Liquid Writing? Offenbar nicht selbstverständlich. Warum also nicht Bilder sprechen lassen?

Als die Nationalmannschaft Deutschlands im Spiel gegen Serbien ins Straucheln kam, wurde die wasserlastige Sprache um geistesverwandte Fotos ergänzt. Fotos, auf denen Bundestrainer Jogi Löw Wasserflaschen auf den Boden schleudert, ein ihn umgebendes Feuerwerk aus Wassertropfen entfachend.

Die Bilder erinnerten an eine künstlerische Arbeit Roman Signers, aber auch an Paul Gilroy, der mal sagte: “Das Medium Wasser ist einerseits ständig in neuen Mischungsverhältnissen anzutreffen, andererseits eine äußerst nachhaltige Substanz, die den Großteil unseres Körpers bildet.” Das Wasser des Trainer-Körpers war hier ein ausgelagertes Wasser, das für einen Moment lang in einem Parallelkörper Gestalt annahm: Löw stand neben sich. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Parallel zu dieser Ereigniskette, die im Spiel gegen Ghana mit einem “Stahlbad” (Löw) veredelt wurde, arbeitet man in den Niederlanden am Polder Cup.

Ordnung und Transformation

Es handelt sich hier um einen Fußball-Wettkampf der besonderen Art: im von Kanälen zerfurchten Weideland werden mehrere Spielfelder aufgezogen, wie Wohnblöcke, unterschiedlich groß, dicht an dicht, Wasserläufe gehen wie Schnitte durch den grünen Fußballfeldkuchen. Sehr geometrisch, sehr geordnet.

Für Maider López, die beim Polder Cup künstlerische Regie führt, geht es um die Neuerfindung des Spiels und der Landschaft zugleich. Für mich ist das Projekt hingegen ein aussagekräftiges Chiffre für die im Rahmen der WM vielfach beschworene Affinität von Fußball und Wasser.

Auch wenn es so aussieht, nackter Spaß und Gutmenschentum kommen nicht zum Tragen, wenn Schweinsteiger, Löw und Co. zu Wassergöttern werden. Vielmehr manifestieren sich hier Angst und Faszination im Angesicht gesellschaftlicher Transformationen, in deren Zentrum die Mathematisierung des Menschen und seiner Kultur stehen.

Die Flüssigkeit des Cyberspace

Die geometrischen Felderfragmente des Polder Cup verweisen auf eben jene Zerlegung des Ganzen in berechenbare Einheiten – hier ironischerweise mit den Mitteln der Natur. Im Fußball geschieht dies mithilfe der zweiten Natur, dem Computer: Die Digitalisierung dieses Sports schreitet unaufhörlich voran, wie Christoph Biermann in seinem Buch Die Fußball-Matrix (KiWi, 2009) gezeigt hat.

Das Wasser, das aus dem symbolischen Fußball-Vokabular nicht mehr wegzudenken ist, ist das Wasser der Wasserwelt. Hier werden mediales, reales und imaginäres Wasser ununterscheidbar. Aus diesem Stoff ist auch die Flüssigkeit des Cyberspace: berechnete und berechenbare Tropfen, aus denen sich alles zusammensetzen und in Steuerungs- und Optimierungsprozesse überführen lässt.

Der Umbau der Gesellschaft hat längst begonnen. Umfassend. Stotternd. Bisweilen fließend. Der Nachwuchs ist bereits im Trainingslager. Dort bekommen die Kids eingeimpft, was viele bislang nur ahnen: Wasser macht Fußballer zu gleitenden Delphinen.

21 Kommentare zu “Warum Fußball zu Wasserball wird

  1. Klug, wie deutlich wird, dass diese Hinwendung zur Natur, zum Wasser, nur auf den ersten Blick eine rückwärtsgewandte Geste ist.

    Ich meine gerade bei der WM in Südafrika, dem Land der Wasserknappheit und besonderen Naturverbundenheit kann man das nicht deutlich genug sagen, ja auch, um es wohl in seiner Perfidie offenzulegen.

    Insofern hätte man sich aber dann doch noch einen Absatz gewünscht, in dem diese Problematik auf Afrika bezogen, noch stärker herausgearbeitet wird.

  2. Inwiefern kommt hier nun eine Haltung gegenüber dem Wasser zum Ausdruck, die Lösungsansätze für die ökologischen Probleme andeutet? Wenn diese Frage unter den Tisch fällt, dann ist das ganze für mich doch eine sehr selbstgefällige Betrachtungsweise des Phänomens. Sorry.

  3. Ich weiß nicht, ich sehe da keinen wirklichen zusammenhang, nur weil ein paar Metaphern und Werbebildchen das so aussehen lassen. Spanennd fand ich wiederum, den Zusammenhang von Fußball mit der Kunst. Doch generell denke ich: Freue mich, wenn die WM vorbei ist!

  4. @Silvia: schönes Bild :) mir war der Hinweis auf diesen Wettkampf bereits in der Kommentarebene des Beitrags über Serres aufgefallen, danke.

    @zk: wichtiger Punkt und sicherlich nicht in einem Absatz zu verhandeln, man muss sich bei solchen Artikeln immer für etwas entscheiden und andere Dinge wiederum weglassen, ich glaube, die Frage, was das ganze Thema gerade im Hinblick auf Südafrika als Austragungsort der WM zu bedeuten, ist wieder ein eigener Artikel.

    @Rafik: ich denke, die Mathematisierung des Lebens, die auch das Wasser einschließt, hat für die ökologische Problematik auch eine Relevanz: aus dem naiven Verhältnis zur Natur (Wasser), wird ein modernes, aufgeklärtes Verhältnis, das nach Optimierung strebt, was auch Optimierung der Ressourcen bedeutet.

  5. @Yossi: die Metaphorik ist doch etwas penetranter und umfassender präsent, als Du es andeutest, und sie ist in allen gesellschaftlichen Bereichen anzutreffen. Fußball ist der Bereich, in dem das Ganze vielleicht am absurdesten anmutet und zugleich am weitesten fortgeschritten ist.

  6. der Titel ist raffiniert! erst denkt man: der autor spinnt. dann: aha, er meint es im übertragenen sinn. schließlich: ah, das gibts nicht, es doch noch eine andere, konkrete ebene, mit den kids zu delphinen werden. chapeau

  7. Das US-Unternehmen Hydronalix hat einen Roboter entwickelt, der in Seenot geratene Schwimmer retten soll. Emily (Emergency Integrated Lifesaving Lanyard) heißt der Roboter:

    ( http://thecoolgadgets.com/tag/emergency-integrated-lifesaving-lanyard )

    Interessant ist das auch, weil seit langem Fußball-Roboter auf (technisch) recht hohem Niveau Wettkämpfe austragen.

    Jetzt kann man sich fragen: Macht es für den Roboter wirklich so einen Unterschied ob er im Wasser oder im Trockenen spielt? Alles eine Frage der Technik.

  8. Freilich, die Fans sehen das alles anders, super Bild!:

    ( http://www.wdr.de/themen/panorama/wetter02/sommer_2010/_100703.jhtml?pbild=2 )

    Hieß es im Vorfeld, man könne sich nicht sicher sein, dass Public Viewing nicht ins Wasser falle:

    ( http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/Public-Viewing-kann-im-Westen-ins-Wasser-fallen_aid_876890.html )

    Konnte man danach melden:
    Public Duschen in NRW
    http://www.wdr.de/themen/panorama/wetter02/sommer_2010/_100703.jhtml?rubrikenstyle=freizeit

  9. @Parceval: eine freie Assoziation zu Deinen Wasser-Robotern: Drogen unter Wasser, in einem U-Boot:

    Das U-Boot hat einen Dieselmotor, ist 30 Meter lang und verfügt über eine Klimaanlage. Tief im ecuadorianischen Dschungel bauten Rauschgift-Schmuggler das Unterwassergefährt eigenhändig zusammen.

    Mit ihm wollten kolumbianische Drogenkartelle Tausende Tonnen Koks unter der Meeresoberfläche Richtung Nordamerika transportieren.

    Doch kurz vor Beginn der Schmuggel-Mission entdeckten US-Drogenfahnder und ecuadorianische Polizisten das U-Boot, stellten es sicher. Auch einer der Schmuggler ging ihnen ins Netz.

    Die US-Drogenbehörde DEA ist gar nicht glücklich: Dass die Drogenkartelle auf diese Weise aufrüsten, sei Teil einer «besorgniserregenden Entwicklung».

    http://www.blick.ch/news/ausland/u-boot-im-urwald-entdeckt-150444

  10. 2D-Codes werden oft eingesetzt, um Kunden Informationen über Produkte nahezubringen. Zwei kanadische Forscher kommunizieren über diese Codes mit einem Roboter unter Wasser: Sie generieren die Codes auf einem Tablet und halten es einem Tauchroboter vor die Kamera.

    Bald auch einem Fußballspieler/ Roboter?

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