Offene Prozesse

Ich komme aus Santiago de Chile, seit 2004 lebe ich in Berlin. Eigentlich wollte ich Schriftstellerin werden. Als 1989 die in Chile die Diktatur endete, wurde die Kulturpolitik neu strukturiert. Mit einem Mal flossen viele oeffentliche Gelder in den Kunstbetrieb. Das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass Kunst etwas Visuelles ist. Das Schriftstellerische verschwand dahinter. Zahlreiche Institutionen, Kunstschulen wurden gegruendet, Ausstellungen, Kataloge produziert.

Fortan setzte ich mein Schreiben ein fuer die Herstellung von Texten ueber die Kunst. Doch dann begann ich mich fuer das Kuratieren zu interessieren. Anders als Texte machen Ausstellungen etwas sichtbar, sinnlich, Menschen kommen an einen Ort zusammen und teilen etwas. Die kuratorische Arbeit hat einen hohen imaginativen Aspekt. Es geht nicht darum, einfach nur einen White Cube mit Kunst zu fuellen, sondern den Raum als Ort moeglicher und realer Handlungen zu begreifen. Anders als in Texten entstehen in Ausstellungen Situationen der Aktion und Reaktion, der Improvisation und Transformation, die in einem kollektiven Rahmen stattfinden.

Zeit spielt hierbei eine wichtige Rolle. Ausstellungen sind nicht unbedingt abgeschlossen, sie finden in der Gegenwart statt oder greifen in Vergangenheit und Zukunft imaginativ ein, indem sie beide Zeitfenster oeffnen. Diese Erfahrung mache ich auch mit den kuenstlerischen Arbeiten, die fuer mich interessant sind. Seit einiger Zeit arbeite ich mit der deutschen Kuenstlerin Meggie Schneider zusammen. Im letzten Jahr hatte ich Meggie eingeladen, eine Arbeit anzufertigen fuer das audiovisuelle Archiv im >Zentrum fuer die Dokumentation der Bildenden Kunst< im Praesidentenpalast in Santiago. Meggie recherchierte waehrend zweier Monate zu Videokunst in Chile. Das Ergebnis, ihre Arbeit >Chilean TV Room< - sie befindet sich noch immer im Praesidentenpalast - ist eine Videoinstallation und zugleich ein lebendiges Archiv. Unsere gemeinsame Idee war es, im Archiv einen Raum einzurichten, der aussieht wie ein typisches Fernsehzimmer in Chile: mit Sofas, Teppichen, Pflanzen. Meggies Fernsehzimmer nun besteht aus 16 Fernsehbildschirmen, wodurch sich Fernsehzimmer und Videokunstausstellung ueberschneiden. Auf den 16 Bildschirmen wird die Dokumentation der Recherche in den privaten und oeffentlichen Raeumen in Santiago gezeigt. Waehrend der Ausstellung fanden Treffen mit Videokuenstlern, Kuratoren, Journalisten statt, sogenannte >micro-meetings<. Diese wurden spaeter in die Arbeit von Meggie integriert, als die Ausstellung im belgischen Turnhout re-installiert wurde. Ich war von dem dortigen Filmfestival Open Doek eingeladen worden, eine Ausstellung zu zeitgenoessischer chilenischer Kunst zu kuratieren, lud aber auch nichtchilenische Kuenstler ein. Die Gefahr einseitiger weil auf dem Gedanken des Nationalen beruhender Repraesentation wollte ich vermeiden. Unter dem Titel >Homemade< zeigte ich auch Meggies Arbeit. Homemade spielt auf haeusliche, intime, private Techniken und Praxen an. In Chile haben sie eine grosse Bedeutung fuer das wirtschaftliche Existieren. Oeffentliche Infrastrukturen wie etwa Stromkabel fuer Laternen werden angezapft fuer Hotdogstaende oder andere Verkaufsplattformen. Der chilenische Kuenstler Ivan Navarro macht dies anschaulich mit seiner Arbeit >Homeless Lamp, the Juice Sucker< von 2005, einem Einkaufwagen aus Neonroehren, der seine Energie aus dem oeffentlichen Stromnetz zieht. In Turnhout waren die >micro-meetings< nun in das Archiv von Meggie eingegangen, zudem fanden in der Ausstellung eine Reihe weiterer Treffen statt, die wiederum Teil des Archivs werden und bei der naechsten Ausstellungsstation gezeigt werden. Die Idee ist es, das traditionelle Verstaendnis eines Archivs aufzubrechen, seine Prozessualitaet und somit Veraenderbarkeit aufzuzeigen. Das geschieht durch die ganz konkrete Verkoerperung, aber auch durch die Art der Produktion. Auch die kuenstlerische Arbeit veraendert sich; in Meggies Installation wird nicht nur ein Sprechen ueber Videokunst gezeigt, sondern damit die Videoarbeit ueberhaupt erst hergestellt. Darueber hinaus geht es um eine Verlagerung einer derzeit ja ueberwiegend schriftlich bestehenden Diskurskultur ins Muendliche, als einer ganz basalen Form der Kritik. Anders als bei Texten sprechen hier mehrere Stimmen gleichzeitig, es findet eine unmittelbare Konfrontation statt. Das wiederum aktiviert eine sehr schnelle Art der Transformation, es geht darum, mit dem Anderen zu interagieren. Dahin gegen hat das Schreiben oft etwas sehr Langatmiges. Die Arbeit >Chilean TV Room< ist also nicht abgeschlossen - nach Santiago und Turnhout ist Berlin als weitere Station eingeplant.

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