Niemandslandbilder

Hunderttausende Tonnen Stahl und Eisen, Millionen Tonnen Beton. Rund 1.300 Kilometer Metallgitterzaun, rund 1.200 Kilometer Grenzsignalzaun, etwa 200 Kilometer Hundelaufanlagen, 830 Kilometer Kfz-Sperrgraben, 232 Kilometer Lichtsperren, 491 Kilometer Minenfelder mit zirka 1,3 Millionen Bodenminen und 60.000 Splitterminen vom Typ SM-70. Dies war die deutsch-deutsche Grenze in nackten Zahlen ausgedrueckt.

Seit dem Fall des >Eisernen Vorhangs< sind fast 17 Jahre ins Land gezogen und die Frage lautet: Was ist eigentlich noch zu sehen von der einst kaum ueberwindbaren Grenze, die nicht nur unser Land in zwei Teile schnitt, sondern zwei voellig unterschiedliche Systeme voneinander trennte und Hunderten Menschen das Leben kostete? Karsten Hoeft aus Recklinghausen und ich begaben uns im Sommer 2003 zu Fuss auf Spurensuche. Angefangen am einstigen Dreilaendereck von DDR, BRD und CSSR bei Prex ging es ueber 1.300 Kilometer entlang des immer mehr zuwachsenden Grenzstreifens bis hoch nach Priwall an der Ostsee bei Travemuende. Bepackt mit jeweils 20 Kilogramm auf dem Ruecken starteten wir eine Wanderung, auf der nach Moeglichkeit saemtliche Grenzmuseen und Ueberbleibsel der Grenze dokumentiert werden sollten. Entstanden sind waehrend der sechswoechigen Tour rund 4.000 Dias. Diese Bilder schufen die Grundlage fuer spaetere Diavortraege und eine Wanderausstellung, die im April 2005 auf die Reise quer durch Deutschland geschickt wurde. Doch haben Karsten und ich beim Start der Wanderung im Juli 2003 wirklich gewusst, was uns erwartete? Nicht wirklich. Vom jetzigen Aussehen des ehemaligen Grenzstreifens hatten wir nur vage Vorstellungen. Im Internet waren nur spaerliche und widerspruechliche Angaben zu finden. Infos ueber die existierenden Grenzmuseen gab es reichlich, doch ueber den Zustand des Kolonnenweges - ein Plattenweg, auf dem frueher die Fahrzeuge der DDR-Grenztruppen patrouillierten - und des Terrains war wenig herauszufinden. Einige meinten, es sei ohne weiteres moeglich, dem Kolonnenweg zu folgen, andere sprachen davon, dass der Grenzstreifen inzwischen voellig ueberwuchert und unbegehbar sei. Die 1.378 Kilometer hingen wie ein Damoklesschwert ueber uns, als wir uns auf den Weg ins Ungewisse machten. Auf dem Kolonnenweg marschierten wir bei praller Sonne vom Dreilaendereck die erste Etappe zum einst geteilten Dorf Moedlareuth. Dieses Dorf - von den US-Alliierten einst auch >little Berlin< genannt - war das erste Highlight der Tour. Von den Grenzanlagen, die bis Mitte 1990 das Dorf teilten, hatte man einige hundert Meter erhalten, um der Nachwelt zu zeigen, wie es war, als Stacheldraht, Streckmetall und Betonsperrmauer Ost und West voneinander trennten. Weiter ging es vorbei an Hirschberg, der Saale und Blankenstein, wo der Rennsteig beginnt. Karsten und ich wanderten nicht nur auf dem Kolonnenweg entlang. Dies hatte zwei Gruende. Zum einen war dieser in der Tat nicht immer begehbar, zum anderen wollten wir den anliegenden Ortschaften zu beiden Seiten einen Besuch abstatten. Wir wollten uns von der heutigen Situation der einst grenznahen Doerfer ueberzeugen, wollten mit den Einheimischen ins Gespraech kommen. Unsere Tagesetappen waren zwischen 30 und 50 Kilometer lang, und der Jahrhundertsommer 2003 bescherte uns fast durchgaengig pralle Sonne und tropische Temperaturen. Schnell stellten wir fest, dass vielerorts die Versorgungslage auf dem Land stark zu wuenschen uebrig laesst. Ganz egal, ob in Thueringen, Bayern, Hessen oder Sachsen-Anhalt. Einkaufsmoeglichkeiten gab es meist nur ausserhalb der Ortschaften in groesseren Supermaerkten und Gasthaeuser und Kneipen schienen in vielen Doerfern zunehmend verschwunden. Haeufig mussten wir bei Anwohnern klingeln, um unsere Wasserflaschen auffuellen zu lassen. Die Versorgung war auf der Wanderung das Hauptproblem. Das wilde Zelten stellte dagegen kein Problem dar. Wir naechtigten einfach dort, wo es einsam und ruhig war. Positiv wurden wir von der engagierten Arbeit der vielen Grenzmuseen ueberrascht. Angefangen bei Moedlareuth ueber Billmuthausen, dem Point Alpha, Teistungen, Marienborn bis hin nach Stresow und dem Grenzhaus in Schlagsdorf. Auf unterschiedliche Weise werden dort der Nachwelt Relikte aus der Zeit der deutschen Teilung erhalten. Zwischen diesen Grenzmuseen waechst jedoch sprichwoertlich Gras ueber die Grenze, das so genannte >Gruene Band<. Gluecklicherweise haben sich nun EU, Bund und Laender dazu verpflichtet, diesen einmaligen gruenen Streifen als Biotop zu schuetzen. Am 3. September 2003 konnten Karsten und ich unsere Wanderung und Dokumentation an der Ostsee auf dem Priwall abschliessen. Im Herbst 2005 folgte eine Radtour von Priwall nach Prex. Mit dabei der angehende Historiker Silvio Henke aus Berlin. Im Auftrag des Europaeischen Parlaments arbeiteten wir den deutschen Abschnitt fuer den geplanten Iron Curtain Trail aus, der vom Nordmeer bis zum Schwarzen Meer fuehren soll und den Verlauf des einstigen Eisernen Vorhangs veranschaulichen soll. Mit dem Rad soll es in Zukunft moeglich sein, von der finnisch-russischen Grenze bis zur tuerkisch-bulgarischen Grenze zu fahren. Vorbilder fuer den Iron Curtain Trail sind der Berliner Mauerstreifenweg und der Boston Freedom Trail. Allein dieses ehrgeizige EU-Projekt zeigt, dass das Thema Aufarbeitung der deutsch-deutschen Grenze und der europaeischen Geschichte insgesamt noch laengst nicht abgeschlossen ist.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.