Internet nach Snowden: Reicht es, wenn wir jetzt über unseren Daten-Schatten springen?

Edward Snowden hat nicht nur Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten enthüllt, sondern dadurch auch die Wahrnehmung des Internet grundlegend verändert. Medientheoretiker und Berliner Gazette-Autor Felix Stalder wagt eine Bestandsaufnahme.

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Nach Edward Snowdens Enthüllungen scheint klar: Normale Alltagskommunikation wird fast vollständig von den Geheimdiensten aufgezeichnet. Dabei ist keine Informationsquelle zu banal, Computerspiele, ja sogar Spiele wie Angry Birds scheinen ausgewertet zu werden. Die oftmals betonte Unterscheidung zwischen den Inhalten der Kommunikation und den Metadaten, die die Kommunikation beschreiben, ist im Hinblick auf die Überwachungseffizienz weitgehend irrelevant.

Das Arsenal von Möglichkeiten, das den Geheimdiensten zu Verfügung steht, geht aber weit darüber hinaus und ermöglicht, mit mehr oder weniger großem Aufwand, auch verschlüsselte oder anderweitig geschützte Kommunikationskanäle zu überwachen.

Das Bild, das sich daraus ergibt, übertrifft selbst die Befürchtungen der meisten PessimistInnen. Dass wir nun alle wissen und nicht nur vermuten, dass unsere Kommunikation abgehört wird, sollte eigentlich die politische Debatte darüber tief greifend verändern und zur Stärkung der gesetzlichen Grundlagen zum Schutz der Privatsphäre führen.

Kontroverse rund um Echelon

Viel ist den letzten Monaten darüber diskutiert worden, dass das Internet jetzt kaputt sei, dass es nicht mehr »uns« gehöre und so weiter – gerade von Leuten, die sich als Social-Media-SpezialistInnen darstellen. Da fehlt mir etwas das Verständnis. In welcher Welt haben die denn gelebt?

Meine erste Auseinandersetzung mit dem Internet fand zeitgleich mit der Kontroverse rund um Echelon statt, jenes Überwachungssystem, das den privaten und geschäftlichen Datentransfer über Satelliten überwacht(e). 1996 brachte der Neuseeländische Journalist Nick Hager die Debatte ins Rollen, 2000/2001 wurde die Sache vom Europäischen Parlament untersucht, heute ist das alles im Detail in Wikipedia nachzulesen. Gut, das ist auch schon eine gefühlte Ewigkeit her, und die meisten, ich auch, haben das etwas aus den Augen verloren.

Dass wir in großem Umfang überwacht werden, war aber allen schon klar. Wir dachten nur, dass das in erster Linie die kommerziellen Anbieter seien, Facebook, Google und all die anderen Social-Media-Firmen, gemeinsam mit allen Datenaggregatoren und Datenhändlern im Hintergrund, die sich für unsere Daten interessierten. Das schien irgendwie nicht so ein Problem zu sein, denn, so das Argument der Consultants: erstens wollen die uns ja nur einen Service andrehen, den wir eh gerne hätten; zweitens geht es ihnen ja nur darum, Werbung, die uns eh nicht beeinflusst, zu schalten; drittens geben wir ja die Daten freiwillig her; und viertens ist der Markt das Gegenteil des Staates, also können wir diesen Firmen vertrauen.

Verlogene Argumente der Consultants

Diese vier Argumente sind bei genauerer Betrachtung vollständig falsch. Die Social-Media-Firmen bieten uns nicht Dienste an, die wir eh wollen, sondern sie schaffen neue, durchaus attraktive Möglichkeiten, indem sie primäre Bedürfnisse wie jenes nach sozialem Austausch ansprechen, aber nie richtig befriedigen (sonst würde man ja aufhören sie zu nutzen). Dabei lenken sie unser Denken und Handeln in Formate und Richtungen, die für sie nützlich sind.

Entsprechend ist Werbung nur ein kleiner Teil dessen, was sie machen – und Werbung wirkt. Sie beeinflusst unser Verhalten, nicht zuletzt dadurch, dass wir meinen, sie zu ignorieren. Die Freiwilligkeit der Nutzung dieser Dienste ist rein formal, und in der Praxis so freiwillig, wie die Entscheidung, sich für acht Stunden pro Tag ans Fließband zu stellen. Unsere alltägliche Wirklichkeit ist heute so strukturiert, dass es mit so hohen Kosten verbunden ist, diese Dienste nicht zu nutzen, dass die Wahl für oder gegen sie alles andere als frei ist.

Die Trennung von Markt und Staat, gerade auf so strategisch wichtigen Feldern wie Medien, Kommunikation und Informationstechnologie, war immer schon sehr schwach. Die libertäre Grundhaltung, die von vielen IT-Entrepreneurs an den Tag gelegt wird, steht dem erfahrungsgemäß überhaupt nicht im Wege.

Der Nachtwächterstaat braucht auch einen Wächter

Man kann gleichzeitig mit den staatlichen Sicherheitsbehörden kooperieren und für niedrige Steuern sein. Denn auch der Nachtwächterstaat braucht noch einen Wächter. Meine Vermutung ist, dass Facebook über die absolut überwiegende Zahl von Menschen mehr weiß als die NSA. Gut, Facebook schickt im Fall der Fälle keine Drohnen, aber es hilft dafür zu sorgen, dass es gar nicht notwendig wird, Drohnen zu schicken.

Der Punkt hier ist nicht, den allgemeinen Zynismus zu fördern oder ein müdes »ich hab’s ja schon immer gesagt« (was in meinem Fall auch nicht stimmen würde) abzugeben sondern zu betonen, dass es notwendig ist, die Kontrolle über die Kommunikation wieder zurück zu erlangen, von der NSA und von Facebook etc. Das sind zwei Seiten derselben Medaille. Dass dies möglich ist, hat auch Snowden immer wieder betont, wenn er sagt, dass Kryptographie wirke. Nicht indem es im Einzelfall 100 Prozent Garantie bietet, sondern dadurch, dass es Massenüberwachung unpraktikabel macht.

Ähnlich wirkt auch Dezentralisierung. Je mehr Punkte es gibt, an denen Daten gelagert sind, desto aufwendiger ist es, sie alle anzuzapfen, besonders wenn der Transit zwischen ihnen verschlüsselt ist. Es gibt bereits viele Kommmunikationstools, und neue werden aktuell entwickelt, etwa das Project Mailpile, das Verschlüsselung in Webmail einbaut. Wichtig ist, dass jedeR weiß, dass für gewisse Formen und Inhalte der Kommunikation spezielle Tools notwendig sind. Man muss nicht jede Email verschlüsseln, aber es ist wichtig, Email verschlüsseln zu können und auch mal banale Emails zu verschlüsseln, damit nicht die Benutzung des Tools selbst auffällig wird. Aber auch die besten Tools alleine nützen nichts ohne eine Perspektive der Freiheit.

Anm. d. Red.: Am 6. April veranstaltet die Berliner Gazette unter dem Titel KOMPLIZEN fünf Workshops, darunter “Das Netz nach Snowden: Wie sollte es gebaut sein?”. Hier das vollständige Programm. Mehr zum Thema in unseren Dossiers Digital Natives und Netz-Giganten. Das Foto oben stammt von Mario Sixtus und steht unter einer Creative Commons Lizenz. Die Print-Fassung des Beitrags ist in ak – analyse & kritik verfügbar.

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