Krieg spielen

Ein Kinderzimmer, DDR 1988. Meine Freundin Antje und ich streiten uns leidenschaftlich: wollen wir “Familie”, “Krieg” oder “Kaufmannsladen” spielen? Antje setzt sich durch und wir spielen “Familie”. Langweilig, kaum Spielraum, da wir nur zu zweit sind. Es endet, wie immer, mit Scheidung. Wenig später kommen meine beiden Brüder dazu. Endlich ist wieder Krieg!

Die wichtigen Situationen des Lebens werden schon im Kinderzimmer durchgespielt: Wir dreschen Phrasen, die wir von Erwachsenen oder aus Filmen aufgeschnappt haben (“Die feindliche Linie durchbrechen!”), vermischen die Sätze mit Versatzstückhandlungen, die wir aus den Nachrichten kennen (“Friedensabkommen unterzeichnen”) und fertig ist der Krieg.

Pappflugzeuge und Kartonpanzer

Wieder ein Kinderzimmer, BRD 2010. Bunte Kartons fliegen durch die Gegend, alle rennen und kreischen. Pappflugzeuge kreisen, ein Kartonpanzer planiert den Fußboden, Panzersperren klemmen sich zwischen die Menschen. Dieser Krieg ist wesentlich professioneller als mein Kinderzimmerkrieg. Es sind ja auch andere Zeiten und die Kinder sind echte Profis, man könnte auch sagen: Erwachsene.

Einer von ihnen stellt sich vor. Er heißt Alex und führt mit einer Art Anmoderation in den Abend ein – könne man überhaupt noch zwischen Zivilisten und Soldaten unterscheiden? Das Kinderzimmer ist eigentlich eine Bühne. Das Prinzip aber bleibt das Gleiche: Der aufgedrehte Alex und seine Freunde spielen Krieg. Sie haben ihre Spielsachen und Instrumente dabei und drehen so richtig auf. Genau wie meine Brüder und ich damals, haben sie Sätze einstudiert, sie lesen auch hin und wieder etwas vor. Ziemlich genial sind ihre Soldaten: aufrecht stehende Regenrinnen mit einem Eimer obendrauf.

Kriegslabor

Das WARLAB, so der Name des Bühnenkinderzimmers, ist das neue Projekt von andcompany&Co. Kein fertiges Stück, sondern eine Skizze, die das internationale Performance-Kollektiv dem Publikum am Dienstag und Mittwoch im HAU 3 zur Diskussion stellte. Ausgangspunkt für dieses work in progress ist die Auseinandersetzung mit der Theorie und Praxis neuer und alter Kriege. Wichtige Reibeflächen sind Brechts Fatzer-Fragment und seine Kriegsfibel. Im Sommer gehen andcompany&Co. mit Fatzer nach Brasilien. Die Operation heißt: FATZER BRAZ!

16 Kommentare zu “Krieg spielen

  1. witzige Idee mit den “aufrecht stehenden Regenrinnen”. Bringt mein Denken über Maßstäbe ud Größenordnungen in Gang. Als Kind sieht man alles von unten nach oben, alles ist größer. Als Erwachsener dann umgekehrt. In der Kindheit spielt man mit Zinnsoldaten Krieg, die sind wiederum Minitaurversionen von den echten Soldaten.

  2. @zk: Ich glaube, die Perspektivverschiebung, von der du sprichst, zwischen Erwachsenheit und Kindheit, kennt jeder. Ich glaube auch, dass sie eine Illusion ist. Klar, als Kind hat man einen kleineren Körper, aber man ist doch in Relation zu seiner Welt. Wir haben eigentlich auch nicht mit Zinnsoldaten gespielt, sondern waren selbst die Soldaten, mit unseren eigenen Körpern, 1:1. Die Beschaffenheit des Spielzeugs ist interessant. Im Warlab waren die Regenrinnen mit dem Eimer auf dem Kopf sofort als Soldaten zu erkennen. Als Kind habe ich aber immer versucht, alles so originalgetreu wie möglich zu bauen. Diese Vereinfachung Abstraktheit der Spielzeuge: Ist das nicht eine Rückprojektion der Erwachsenen, die in der Kindheit die Zeit sehen, in der alles noch “einfach” war?

  3. schade, dass ich nicht dabei war, so kann ich nur auf der Basis Deines Berichts mitreden. Aber ja: Rückprojektion der Erwachsenen. Das würde einiges erklären. Doch: die Perspektivverschiebung als Illusion leuchtet mir nicht ein. Ich habe es häufig selbst erlebt, wenn ich an Orte meiner Kindheit zurückgekehrt bin und nichts mehr stimmte, weil alles kleiner war, als ich es in Erinnerung hatte. Die Erinnerung speichert Bilder aus der Perspektive der Kinder, die alles größer sehen als Erwachsene, weil sie kleiner sind.

  4. Zu ergänzen: Das Phänomen der “Kindersoldaten”. Auch das eine ‘Innovation’ jener sog. “neuen Kriege”: billig, blutig, blindwütig. All das sind stimmige Beobachtungen des WARLABs, an die keiner der Beteiligten während des Tuns gedacht hatte. Andrerseits stellt auch Brecht immer wieder Kinder in den Mittelpunkt der Kriegsfibel. (Nun haben die (Nach-)Kriegskinder von damals schon vor zehn Jahren ihr Erwachsenwerden in der Bombardierung Serbiens nachvollzogen. Man fragt sich, was die Kinder des Kalten Krieges machen werden, wenn sie an der Macht sind – die Generation der thirtysomethings, die in den apokalyptisch gestimmten 80ern aufgewachsen sind: “wir”. Dann realisiert man: Dazu gehört ja auch der jetzige Kriegsminister…)

  5. Kriegsspiele sind Sandkastenspiele gewesen, für mich zumindest, also mit Figuren und Modellen; selber als einer, der angreift, schießt, in Deckung geht und verteidigt — das war eher Cowboys und Indianer; Räuber und Gendarm. Im Park, im Garten, in der Nachbarschaft. Krieg spielen kannten wir nicht. Vielleicht fehlten uns die Filme.

  6. Pazifistische Anekdote von einem alten Russen, der Kinder beim Spielen beobachtet: “Was macht ihr denn da?” Antwort: “Krieg spielen.” Er: “Warum spielt ihr nicht Frieden?” Sie: “Wie geht das?” (Könnte vom alten Brecht gewesen sein.)

  7. Das Thema ist klug und “rechtzeitig” gewählt. Es kommt zu einer Stunde, in der die neuen Kriege in Vergessenheit geraten sind, weil sie einfach schon zu lange andauern. Afghanistan, nur um einen Schauplatz zu nennen, war nur ein Jahr lang interessant für die Massenmedien. Erst in den letzten Monaten, nur aufgrund von Skandalen, erinnert man sich (und die Beteiligung Deutschlands) daran. Aber das ist nicht genug.

  8. In Holland, wo ein erster “try-out” stattfand, ist gerade die Regierung auseinandergebrochen über die Frage nach der Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes – und nun geht die Angst um, der neue Rechtspopulist Geert Wilders würde neuer Premierminister (bzw. mindestens zweitstärkste Partei). Das ist einerseits einfach schlechtes timing der politischen Klasse, aber andrerseits mag es da auch einen Zusammenhang geben. Wie dem auch sei, die Frage bleibt: Wie desertiert man als Zivilist?

  9. @ Alex: Um das seriös anzugehen (als Zivilist zu desertieren), müsste man sich ziemlich genau anschauen, wie die “Kriegsmaschine” funktioniert. man würde feststellen, dass sie größer und umfassender verflochten ist als angenommen, dass da wenig Spielraum bleibt, der nicht von ihr durchdrungen ist (Computerspiele als Rekrutierungswerkzeug sind nur ein Beispiel für die weitreichende Verschränkung von Military und Entertainment im so genannten Military-Entertainment-Complex; längst sind nicht alle “Military-YXZ-Complexes” erfasst). Selbst jene zum Beispiel, die sich radikal dagegen positionieren und verweigern, hin und wieder als Globalisierungsgegner registriert, wurden früh im Krieg gegen den Terror als Terroristen stigmatisiert. Somit wurden jene Deserteure flugs wieder in die Logik des Krieges eingegliedert. Kurz, ja, ich stimme Dir zu, die Frage bleibt: Wie desertiert man als Zivilist?

  10. @Krystian: Und Zivildienst ist auch keine Lösung, man wird für den “zivilen Katastrophenschutz” eingesetzt etc. Uns hat die Frage nach “warpop” interessiert – Holert & Terkessides haben in ihrem Buch “Entsichert” den Begriff Pop bewußt vermieden und sprechen von “massenkulturellen Kriegen” im Westen (bzw. Norden) und von Krieg “als Kultur der Massen” in jenen sog. ‘neuen Kriegen’ an der Peripherie. Ihre These ist, dass die Parole der Weathermen “Bring the war back home” sich eingelöst hat – aber anders, als sie es sich gedacht haben nämlich als Subversion der Massenkultur durch den Krieg: Teil II von HAIR spielt im vietnamesischen Dschungel, die GI’s sind die wahren ‘Aussteiger’: “tune in, turn on, drop out”. Und an der home front? Wie John Rambo sagte: “Es gibt keine harmlosen Zivilisten.”

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