Amman fungiert seit der kriegerischen Eskalation im Irak als Schaltzentrale, Bahnhof und Konferenzplattform fuer internationale Organisationen, die zum oder mit dem Irak arbeiten. Amman ist gleichzeitig auch jene Stadt, die von taeglich wachsenden Wellen irakischer Emigranten ueberfordert wird, die jetzt massenweise das Land verlassen und je nach finanzieller Ausstattung in den grenznahen Fluechtlingscamps, bei Verwandten oder in eigenen Wohnungen Quartier finden. In dieser Stadt betreibe ich gemeinsam mit meinem Partner Klaas Glenewinkel und einem Team von je nach Projektstand wechselnder Groesse seit Anfang 2004 verschiedene Medien- und Kulturprojekte mit irakischen Journalisten, irakischen Kulturschaffenden und irakischen Rundfunkstationen.
Unsere Muttersprache ist hier nicht besonders verbreitet. Deutsch zu koennen ist unter den Arabern in der Region eher unueblich. Ich habe eine Handvoll Iraker und Jordanier kennen gelernt, die in Deutschland gelebt haben und von daher die Sprache sehr gut beherrschen. In Bagdad treffen sich diese ehemals in Deutschland Lebenden seit 2003 im so genannten Deutsch-Irakischen Club, dessen Vorsitzender Abdulhalim al Hijjaj erfolgreich die Befreiung der Susanne Osthoff befoerdert haben soll. Aber ansonsten wird die Wahl der ersten und zweiten Fremdsprache ganz klar durch den Bezug zu den ehemaligen Kolonialmaechten bestimmt, das heisst Frankreich und Grossbritannien. Ein Privileg uebrigens, das dieser Tage machtvoll vom Sport gestoert wird: In Beirut sind ganze Haeuserreihen und viele Autos wegen der WM und in Ermangelung eines eigenen Teams mit deutschen Fahnen geschmueckt.
Die Verbreitung von Fremdsprachen formiert sich entgegen der Logik nationaler Grenzen und vor allem entlang sozialer Unterschiede: Waehrend in Irak und Syrien selbst Schriftsteller und Journalisten, mit denen wir arbeiten, nur in Ausnahmefaellen Englisch sprechen, ist es unter Jugendlichen einer amerikanisierten und privilegierten Mittelschicht durchaus ueblich, sich auch untereinander auf Englisch zu unterhalten. Mit grosser Sorgfalt wird hier amerikanischer Slang perfektioniert und an der Vernichtung von Akzenten gefeilt. Die Jugendlichen selbst thematisieren dieses Phaenomen gern und offen als Merkmal einer arabischen Identitaetskrise, der sie sich angehoerig fuehlen.
Derzeit spricht in unserem Buero in Amman etwa die Haelfte aller Mitarbeiter Deutsch, neun von aktuell zwoelf Mitarbeitern sprechen Arabisch und alle sprechen Englisch. Spontan wuerde ich sagen, dass die Nutzung von Arabisch, Englisch und Deutsch sich ungefaehr die Waage haelt, wobei Englisch unsere gemeinsame Sprache ist und damit einen besonderen Stellenwert hat.
Arabisch und Deutsch sind in diesem Arbeitsumfeld Sprachinseln, die Gespraechspartner spontan ein- und ausschliessen. Interessanterweise hat das ueberhaupt keine Wirkung auf die Art und Weise, wie sich soziale Bindungen und Gruppen bilden. Sprache hat nicht die Kraft so etwas wie >die deutsche Gruppe< hervorzubringen oder >die Araber< zu einer Gruppe zu verschweissen. Sozial wirksam dahingegen ist Sprache dort, wo alle teilnehmen: im Englischen. Wer schlecht Englisch spricht, wird an den Rand gedraengt. Das war im letzten Jahr anders, weil wir eine Gruppe von Irakern im Team hatten, die kein Englisch sprachen, was sofort zur Durchsetzung des Arabischen als Hauptsprache, zur Absetzung des Englischen als Lingua Franca und zur Aufwertung des Deutschen als Nebensprache fuehrte. Personalbewegungen veraendern hier dauernd Sprachverhaeltnisse. Im Arbeitsumfeld herrscht radikaler Sprachmatsch, vor allem fuer diejenigen, die alle drei Sprachen fliessend sprechen [zu denen ich nicht gehoere] und die permanent hin- und herschalten. Gewechselt wird die Sprache, wenn neue Gespraechsteilnehmer dies erforderlich machen oder Geheimnisse ausgetauscht werden. Haeufig ist allerdings kein Grund ersichtlich und ich denke, dass es aus den Umstaenden heraus auch zur Gewohnheit geworden ist. Wenn wir abends ausgehen, ist es dasselbe: Englisch, Arabisch, Deutsch laermen durcheinander. Ich persoenlich finde das ganz schoen, weil es einem mehr als ueblich erlaubt, auch mal daneben zu sitzen und einfach nur dem Rauschen zu lauschen. Wenn aus irgendeinem Grund nur Deutsche dabei sind, empfindet man die ploetzliche Intimitaet einer gemeinsamen Muttersprache fast als indiskret. Da fehlen die ganzen Uebersetzungspausen, Verstaendnisluecken und Befremdungseffekte. Kontraste zwischen eigenen und umliegenden Zeichenwelten sind sicher ein Grund, warum man gern im Ausland ist. Ich denke schon, dass meine deutsche Sprachkompetenz an der aktuellen Zwangsehe mit dem Englischen Schaden nimmt. Je nach Intensitaet der Nutzung entstehen da offensichtlich Dominanzverhaeltnisse, die dazu fuehren, dass eine Sprachqualitaet sich der anderen aufdraengt und ihre Entfaltung stoert. Gegenwaertig arbeiten wir an verschiedenen zweisprachigen Publikationen und betreiben darueber hinaus eine dreisprachige Webseite zu Politik und Oekonomie im Irak [Kurdisch, Arabisch, Englisch]. Alle arbeitsrelevanten Texte inklusive Aktualisierungen und Aenderungen werden deswegen immerzu in alle moeglichen Richtungen uebersetzt. Wir haben nicht nur fuer verschiedene Sprachen sondern auch fuer verschiedene Textsorten und Anforderungen unterschiedliche Uebersetzer aus unterschiedlichen Herkunftslaendern. Hinzu kommen Lektoren und Korrekturleser. Gemeinsam bildet dieses ueber den Globus verstreute Netzwerk von Leuten einen rumpelnden Verarbeitungsapparat, der den Text nicht als Bedeutungstraeger, sondern als Rohstoff behandelt. In der redaktionellen Arbeit tritt dagegen die Bedeutungsdimension in den Vordergrund und das >Stoffliche< verliert sich.