Juden verabreden sich dort Pessach für Pessach aufs Neue, die Christen haben sie im Mittelalter zum Nabel der Welt gekürt und im Islam ist sie so wichtig wie Mekka und Medina: Jerusalem eint und trennt die drei monotheistischen Weltreligionen. Ein Spaziergang durchs Glaubenslabyrinth.
Es sind gefühlte 50 Grad Celsius im Schatten. Ich laufe durch die engen Gassen, die pralle Mittagssonne scheint mir auf den Kopf und ich kann förmlich spüren, wie mein Nacken immer brauner wird. Irgendwo singt ein Muezzin und von weiter weg hallen Kirchenglocken herüber. Ich laufe an einer nur angelehnten vergitterten Tür vorbei, daraus erklingt ein hebräischer Männerchor. Egal in welche Richtung ich meine Augen lenke, überall sind religiöse Symbole verstreut.
Heilige Symbole jetzt zum halben Preis!
An einem Stand hängen Kruzifixe neben Tasbihs. Darüber hängen Rosenkränze in allen Material- und Farbvariationen. Aus Perlen so groß wie Golfbälle. Oder winzig klein, als Schlüsselanhänger. Auf einem Regalbrett stehen Chanukka-Leuchter in allen erdenklichen Größen. Aus Gold, Silber, Bronze. Kopftücher hängen an allen Seiten, darunter liegen Kippas in geschätzten tausend Variationen. An einem Ständer hängen Armbänder aus Ikonenbildern, daneben kleine Kettchen mit dem Davidstern als Anhänger.
Ein Araber hält mich am Arm und möchte mir ein Kaballaharmband verkaufen. Er versucht es auf Englisch, dann auf Französisch, ein paar Brocken Spanisch, schließlich Deutsch. “Lo, toda!”, sage ich zum wahrscheinlich vierzigsten Mal an diesem Tag. Neben mir machen sich zwei arabische Jungen den Weg mit lautem Geschrei frei. Sie schieben Wagen mit neuer Ware durch die Gassen und nehmen dabei keine Rücksicht auf Füße von Touristen, die den Weg der Räder noch kreuzen. Ich drehe mich um und stehe vor einem Stand, an dem Palästinenser-Tücher neben IDF-Shirts verkauft werden.
In der Grabeskirche
Nach einem frisch gepressten Granatapfelsaft, den ich zwei Jungen abgekauft habe, die garantiert nicht älter als 12 waren und versuchten, mich um den doppelten Preis zu erleichtern, habe ich endlich die Grabeskirche in diesem unendlichen Labyrinth gefunden. Die Menschenmassen sind unglaublich und durch die Hitze fühle ich mich wie erdrückt in der viel zu überfüllten Kirche. Ich bleibe an einer Steinplatte im Boden stehen, um die mindestens zwanzig Leute herumkauern und sie abwechselnd küssen und mit ihr reden – Jesus’ Salbungsstein.
Eine Nonne drängt sich an mir vorbei, schmeißt sich auf die Knie und lässt zehn kleine Holzkreuze, noch in Plastikfolie verpackt auf den Stein fallen. Die wird sie nun als gesegnete, heilige Souvenirs zum nächsten Händler bringen, der sie dann für den fünffachen Preis an Touristen verkauft. Nach einem ausgiebigen Rundgang, bei dem ich mir nicht entgehen lasse, wie sich eine Frau in Bauchfrei-Top und Minirock vor einem Altar schluchzend auf alle Viere fallen lässt, verlasse ich die Kirche und renne dabei fast einen Mönch um, verhüllt wie in “Die purpurnen Flüsse”.
Frauen in Burkas begegnen mir auf meinem Weg zurück zum Jaffator genauso wie griechisch-orthodoxe Priester oder Chassidim in ihrer typischen Kleidung. Einer schiebt seinen Sohn im Buggy vor sich her, der mit seinen höchstens drei Jahren schon Kippa und Pejes trägt, und dazu einen Schnuller im Mund. An einer Mauer gegenüber steht ein Graffiti – “I love Jerusalem”.
Ein sehr schöner Spaziergang, danke für den Bericht! Eine Frage: Was bedeutet “Lo toda”?
“Bauchfrei-Top und Minirock vor einem Altar schluchzend auf alle Viere” — tolles Bild!
atemloser Text: gefällt mir!
@ Johanna: “lo toda” ist hebräisch und bedeutet “Nein, danke!”.