Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #90

Der Begriff Globalisierung ist für mich gleichbedeutend mit Vernetzung. Ich lebe und arbeite als Journalist, als Medienaktivist und als Medienbeobachter schon lange in globalen Netzwerken zwischen Lateinamerika, West- und Osteuropa. Genau deshalb finde ich den Begriff der Globalisierung immer hohler und schiefer.

Viele globalisierungskritische regionale Netzwerke sind nicht miteinander vernetzt. Als Aktivist habe ich das bei Europäischen Sozialforen immer wieder selbst erlebt und zuletzt auch beim Weltklimagipfel in Kopenhagen beobachtet.

Technisch bildet sich das in den Social Networks des Web 2.0 ab: Jede Sprachfamilie tummelt sich woanders – die Russen bei Vkontakte, die Latinos eher bei Hi5, die West-Europäer und die US-Amis eher bei Facebook usw. Die Mitglieder jener Netzwerke haben, meinem Erleben nach, häufig wenig Interesse an einer gegenseitigen Vernetzung oder es mangelt ihnen schlicht an sprachlichen Fähigkeiten.

Ich beobachte in Lateinamerika, aber auch in West- und Osteuropa Verantwortungslosigkeit gegenüber der von Menschenhand gemachten Ökokrise – Probleme, die ihre Ursache im globalen Wirtschaftssystem haben, also auch global vernetzte Politikalternativen der globalisierungskritischen Bewegung verlangen.

Der Begriff der Globalisierung drückt für mich deshalb vor allem die Potenziale einer möglichen Vernetzung aus, beschreibt aber nicht eine reale globale Vernetzung der globalisierungskritischen Bewegung.

Somit finde ich den Begriff Globalisierung weiterhin brandaktuell – allerdings als Aufforderung an die globalisierungskritische Bewegung zum Vernetzen der Netzwerke und nicht als politische Zustandsbeschreibung der globalisierungskritischen Bewegung.

So banal es klingen mag: Mir persönlich ist in den vergangenen Jahren – und noch viel stärker seit ich an der täglichen Produktion eines fünfsprachigen journalistischen Onlinemediums – beteiligt bin, die Bedeutung der Mehrsprachigkeit für eine erfolgreiche globalisierungskritische Bewegung bewusst worden: Die westeuropäische globalisierungskritische Bewegung braucht Aktivisten, die nicht nur Englisch oder Spanisch sprechen, sondern Menschen, die auch bereit sind, sich auf Osteuropa einzulassen.

Ich habe den Eindruck, dass die westliche globalisierungskritische Bewegung Osteuropa nach wie vor ignoriert, weil viele osteuropäische Aktivisten eine andere politische Symbolsprache sprechen, die auf Grund der sozialistischen Geschichte verständlicherweise nicht unmittelbar an gängige linke westliche Diskurse anknüpft.

Dennoch formulieren sie alternative Politikentwürfe, die eine Beachtung durch die westliche Globalisierungskritik Wert wären. Ich bin kein naiver Technikapologet, aber dennoch begeistert von den politischen Potenzialen des Internet. Für jene, die sich globalisierungskritisch engagieren, ist das Internet ein fantastisches Vernetzungsinstrument, das potenziell auch Sprachbarrieren überwinden kann.

(Anm. d. Red.: Der Verfasser dieses Beitrags ist Journalist und Medienaktivist.)

Ein Kommentar zu “Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort #90

  1. Interessanter Punkt! Der Planet ist durch und durch vernetzt, aber die Netzwerke sind von sich aus keineswegs global ausgerichtet, es gebricht eines planetarischen Bewusstseins, meines Erachtens. Aber auch dessen, was Du sagst: eines Bewusstseins für Nachbarn und ihre Kulturen.

    Mit Blick auf die globalisierungskritische Bewegung könnten hier einmal wieder die Zapatisten als Beispiel herangezogen werden: sie haben eine lokale, regionale und globale Netzwerk-Strategie.

    Was denkst Du?

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