Mich freut an der oeffentlichen Rede ueber Globalisierung ihre Ambivalenz. Wir verhandeln einerseits etwas vollkommen Unuebersichtliches und Ungreifbares. Die Ausmasse und Wirkungen koennen wir meist nur spekulativ und subjektiv beschreiben. Andererseits zeigt sich Globalisierung im Einzelfall – wenn es ein konkretes Leben betrifft – sehr uebersichtlich und greifbar. Globalisierung heisst, an vielen Orten der Welt Varianten des Bekannten durchzuspielen. Gleichzeitig ist es lokal, singulaer und oft erschreckend unbekannt. Ich schaue mir irgendwo in der Welt Mode oder Architektur an, und ich kenne sie. Wie Globalisierung jedoch das Leben einer Hamburger Hafenarbeiterin seit Einsatz der Container veraendert hat, ist absolut ortsspezifisch und einmalig.
Reden ueber Globalierung wird entsprechend dann unproduktiv, wenn die Ambivalenzen eingeebnet werden. Diese Einebnung hat auch damit zu tun, dass wir oft nicht die richtigen Tools zur Verfuegung haben, um diesen komplexen Prozess zu beschreiben. Die Wissenschaft erfindet keine neuen Methoden, sie reproduziert, anstatt Anderes zu produzieren. Die Kunst, die viele Vorschlaege zur Thematisierung dieser Ambivalenzen liefert, agiert institutionell weiterhin meist nicht in Verflechtung mit der Wissenschaft. Hier herrscht noch wenig Globalisierung. Wuerden diese Bereiche sich staerker miteinander verknuepfen – ohne ihre Identitaeten dabei preiszugeben – wuerde meine Freude am oeffentlichen Diskurs ueber Globalisierung, der sich nicht nur in Sprache vollzieht, anhalten. Denn eigentlich mag ich Globalisierung.
Gute Theorie und gute Kunst ist immer global. Vielleicht geht es nicht nur darum, ob Globalisierungsthemen die Kulturtheorie erreicht haben, sondern auch darum, ob Theorie und Kunst in sich strukturell global angelegt ist. Ihr eigenstaendiger und kritischer Einsatz liegt darin, singulaer bezogen Differenzen zu markieren, etwas voellig anders zu formulieren und gleichzeitig einen Anspruch auf Uebertragbarkeit aufrechtzuerhalten. Beide entwerfen voellig subjektiv ein Szenario und verlieren nicht den Spass an allgemeingueltigen Denkspielen. Beide entziehen sich einer vorgegebenen Logik – seien es soziale, oekonomische oder akademische Normen – und erfinden darin eine andere Logik, die es dann wiederum irgendwann erneut zu brechen zu gilt.
Kunst heisst Langeweile vermeiden. Dieses Zitat des Regisseurs Juergen Gosch lese ich nicht konsumistisch, sondern als Aufruf, Widersprueche und Differenzen zu markieren. Langeweile vermeiden hiesse bezogen auf Globalisierung, dass man diese als ein spannungsgeladenes Phaenomen darstellt mit allen wuenschbaren und wunderbaren, aber auch beleidigenden und bedrohlichen Seiten.
Die Vermeidung von Langeweile fordert ein spezifisches Verstaendnis von Kritik. Kritische Ansaetze neigen dazu langweilig zu sein, weil die Identifizierung von Freund und Feind zu einfach ist. Zudem ist Theorie meist in extrem konservativen Institutionen gefangen [wir nennen es dann Wissenschaft], in denen die >Kunst des Urteilens< zu einer >Technik des Urteilens< umfunktioniert wird. Kritik findet jedoch an der Schwelle von unbewussten und bewussten Denk- und Empfindungsprozessen statt. Die alte Definition von Kritik als >Kunst des Urteilens< formuliert per excellene eine Verflechtung von kuenstlerischem und theoretischem Anspruch. Wir brauchen keine neue Definition von Kritik, sondern koennten die alte einfach wieder ernst nehmen und sie befreien von pseudoobjektiven und moralisch vereinfachten Diskursen. Gute Kritik besitzt in sich eine Aesthetik, weil sie auf verschiedenen Sinnesebenen funktioniert und hat demnach auch immer eine eigene Aesthetik. Sie urteilt nicht nur ueber Aesthetik, sie ist Aesthetik. Mit der Ausstellung >Fish-Story< hat der amerikanische Fotograf Allan Sekula 1995 einen unumgehbaren Referenzpunkt in der Kunst bezueglich der Globalisierung gesetzt. Seine Hafen- Schiff und Menschenfotos sind visuelle Ereignisse, die gleichzeitig die soziooekonomischen Veraenderungen in einer hochkapitalisierten und international vernetzten Welt zeigen. Diese Arbeit ist auf sehr gelungene Weise auch globalisierungskritisch, weil sie die tiefen Dimensionen, die erfuellten und unerfuellten Wuensche und die Fort- und Rueckschritte in unserer Welt der Transporte zeigt. Sie nimmt nicht einfach eine negative oder positive Haltung zum Thema ein, sondern sie verstaerkt dessen Ambivalenz.
Ich denke, dass im >Mit-Kunst-Denken< eine andere Art der Reflexion steckt als im >Ueber-Kunst-Denken<. Die Kunst wird auf Augenhoehe zur Theorie und vice versa positioniert, anstatt dass Theorie distanzierend und erklaerend ueber Kunst urteilt. Globalisierung gibt ein passendes Beispiel dafuer ab, dass komplexe Phaenomene mehr als eine akademische Sprache brauchen. Ein >Mit-Kunst-Denken< zeigt sich im Miteinander verschiedener Reflexionsformate, das die Eigensinnigkeiten der Medien nicht aufhebt, sondern sie als produktive Differenzen miteinander verzahnt. Gesellschaftliche Transformationen werden auch mit Bildern, Toenen, Koerpern und in Raeumen installiert und muessen deshalb ebenso plurimedial kritisch reflektiert werden. Die Videoessays der Kuenstlerin Ursula Biemann zeigen beispielsweise solche diskurskritischen Verknuepfungen von Bild, Text, Ton und Koerper. Inspiriert von theoretischen Texten, erforscht sie in ihren Bildexperimenten typische Themen der Globalisierung wie Sexarbeit, Migration oder Ueberwachungstechniken. Die Zirkulationen von Guetern, Daten und Menschen untersucht sie stets an der Schnittstelle von Kunst und Sozialforschung. Ihre Arbeiten sind Kunst und geben Theorie dabei nicht auf. Und sie sind auch Theorie, ohne auf Kunst zu verzichten.
[Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes ist ist Professorin an der Zuercher Hochschule der Kuenste und Autorin des Buches >Verletzbare Orte<.]