Theoretisch und politisch interessant fuer meine Beschaeftigung mit der Globalisierung ist vermutlich das Phaenomen, das Richard Falk und andere als >Globalisierung von unten< beschreiben - also jene lokalen und qua informeller Vernetzungen auch globalen Formen des direkten politischen Handelns sowie der gewaltfreien [>zivilen<] und gegen soziale, oekonomische und politische Machtasymmetrien gerichteten Kooperation, die haeufig vergessen werden, wenn man ueber Globalisierung aus dem Blickwinkel des Staates spricht.
Hierzu gehoeren auch Aktionen des zivilen Ungehorsams, die sich heute keineswegs mehr ausschliesslich gegen uebergriffige nationalstaatliche Regierungen richten, sondern auch – und vielleicht vor allem – gegen die immer groessere Luecke zwischen den von einer Entscheidung Betroffenen und den an ihr wie indirekt auch immer – Beteiligten. Unter solchen Bedingungen muss politisches Handeln vermutlich primaer auf die Erschwerung undemokratischer Formen des Regierens abzielen.
Klar ist, dass die neuen Formen des >Regierens jenseits des Nationalstaats< nicht oder nur partiell rechtsstaatlich verfasst und demokratisch verantwortlich sind und dass transnationale Unternehmen, aber auch Einzelstaaten, die immer noch bestehenden Regulierungsluecken ausnutzen. Gegen die dadurch entstehenden massiven Defizite sowohl im Bereich des Schutzes der Interessen und Rechte der Betroffenen als auch ihrer Einbeziehung in die Entscheidungsfindung sollen die globale Zivilgesellschaft und Oeffentlichkeit Abhilfe schaffen. Zum anderen muss man aber auch die Kritik ernst nehmen, dass die globale Zivilgesellschaft vor allem aus selbsternannten transnationalen Elitenetzwerken von Missionaren, Moralunternehmern und Lobbyisten bestehe, die weder besonders demokratisch noch repraesentativ, niemandem rechenschaftspflichtig, meist westeuropaeisch dominiert und haeufig nicht besonders progressiv seien. Dieser skeptischen Sichtweise zufolge maskiert die Rede von der globalen Zivilgesellschaft und der Weltoeffentlichkeit gerade den undemokratischen Charakter eines vom Westen und von oben durchgesetzten Systems der Global Governance. Sie ist damit zur Ideologie geworden. Vermutlich kann man aber die Gefahr eines Verfalls der >aktivistischen< Vision einer selbstorganisierten Zivilgesellschaft zu einer >neoliberalen< Schrumpfform, in der NGOs die sozialen und politischen Folgeschaeden der Globalisierung lindern, ohne ihre grundlegend verfehlte Struktur zu problematisieren, durchaus zugestehen, ohne das emanzipatorische Potential neuer Formen der Vernetzung von Gegenoeffentlichkeiten und zivilgesellschaftlichen Akteuren als blosse Ideologie zu verwerfen. Die Idee der gesellschaftlichen Selbstorganisation bleibt als normativer Bezugspunkt fuer die sozialen und politischen Kaempfe um Selbstbestimmung auch im Zeitalter der Globalisierung unverzichtbar. Wie insbesondere James Tully in seinen Arbeiten betont, sind alle globalen Bewegungen in lokalen Formen des Widerstands und der alternativen Organisation sozialer Beziehungen verwurzelt. Von daher kann es eine Alternative zur Verknuepfung der globalen mit der lokalen Perspektive gar nicht geben. Allerdings ist es ebenso offensichtlich, dass beide Perspektiven auch in einem Spannungsverhaeltnis stehen und komplexe Uebersetzungsleistungen erfordern, die nicht immer gelingen. Das zeigt sich etwa darin, dass auch gut gemeinte praktische und theoretische Kritiken am Imperialismus - etwa im Diskurs der Entwicklungspolitik - haeufig genug nicht nur die Stereotypen imperialen Denkens reproduzieren, sondern ganz praktisch zur Aufrechterhaltung dessen beitragen, was Tully als >informellen Imperialismus< beschreibt. Insofern steht die Entwicklung eines radikalen Kosmopolitismus, der die beiden Perspektiven zu integrieren vermag, noch aus. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes lehrt Politische Theorie an der Goethe-Universitaet Frankfurt am Main, kuerzlich erschien von ihm das Buch >Kritik als soziale Praxis<.]