Gentrifizierung Teil zwei: Im Falle des viel diskutierten Carlofts in Berlin-Kreuzberg scheint die Front der Befürworter und Gegner des Projekts besonders verhärtet.
Das Carloft wirbt mit Verlockungen wie: “Imagine having all the benefits of life in the big city – without all the usual drawbacks”, also einem luxuriösen und sicheren Leben mitten im Szeneviertel. Man ist mitten drin in dieser quirligen Authentizität, ohne sie selbst leben zu müssen, ja geschützt vor ihr zu sein. Quasi live-3D-Kino in bequemen Sesseln. Oder wie beim klimatisierten Reisebustourismus durch Indien.
Fremdkörper im Szene-Kiez
Pluralität ist ein Merkmal, das Kreuzberg auszeichnet und die Akzeptanz gegenüber Anderem ist hoch. Warum also wird das Carloft als Fremdkörper empfunden? Die recht einfache Antwort: weil es das anti-materielle Lebensgefühl von Kreuzberg als Projektionsfläche nutzt und es im selben Zuge zerstört.
Die Investoren werben eine Klientel, die autonome Lebensformen zwar bewundert, aber das Gegenteil lebt; sich nicht für eine Tendenz ihres Geschmacks entscheiden kann, sondern beide vereinen möchte. Frei nach dem Lied “Jein” von Fettes Brot: “Ja klar, äh nein, ich mein: Jein.”
Zu diesen Gedanken komme ich bei Überlegungen zum Begriff Dekadenz<. Denn zwei so gegensätzliche Geschmäcker (Hedonismus/Sicherheit vs. Kreativität/Unstetigkeit) zugleich neutralisieren sich gegenseitig und werden zu einem Nicht-Geschmack; zu Geschmacklosigkeit.
Dieser Zustand ist der vollendete Prozess des Zerfalls von Geschmack, was auf ein wesentliches Moment in der Auflösung von Kultur verweist. Einer Definition nach ist die Geschmacklosigkeit der Inbegriff von Dekadenz. Und genau diese Eigenschaft verkörpert das Carloft für viele Kreuzberger.
Guter Gedanke.