Die Frage danach, welcher Generation ich selbst mich zugehoerig fuehle, ist natuerlich nicht beantwortbar. Nicht nur, weil jede Selbst- oder Fremdzuweisung zu einer Kohorte oder einem Label zugleich eine Kraenkung von eigenen Identifizierungs-, Originalitaets- und Lebensgestaltungsanspruechen ist.
Sondern auch und vor allem, weil die Vielheit von Generationsbegriffen – auch jenseits der bekannten Masse an moeglichen Labels – dem im Wege steht. Betrachtet man naemlich die Frage nach der Generation in historischer Perspektive, so stoesst man als erstes auf die Tatsache der irreduziblen Vielfalt der Verwendung des Begriffs >Generation<: als zyklisches Zeitmodell und Berechnungsgroesse des Menschenalters, als familiale Kategorie, als [Selbst-]Beschreibung synchron organisierter Altersgemeinschaften und gesellschaftlicher Gruppierungen, als symbolische Form der Kulturgeschichte, als psychoanalytische Instanz, als Kategorie von Vererbungslehren usw. Diese Vielfalt ist es, die jede Generationenforschung in meinen Augen ueberhaupt erst interessant macht.
Weder fuer eine Beschreibung noch fuer die eigene Erfahrung meiner Biographie kann ich jedenfalls von Generationenzugehoerigkeit sprechen, sondern von praegenden – bis in die westfaelische Provinz der 1970er Jahre und ihre Jugendgrueppchen reichenden – historisch-gesellschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen: Auf die Nachrichten ueber die oekonomischen Versorgungs- und Hungerkrisen der sogenannten Dritten Welt antworteten die kirchlichen, studentischen, antikapitalistischen Initiativen zur Armutsbekaempfung und zum fair trade, mit denen ich zu Schulzeiten Kontakt aufnahm. Dann zu Studienzeiten spielte der akademische Feminismus eine fuer mein Leben praegende Rolle, da ich hieran gerade meine Position als Profiteurin der Errungenschaften der Frauenbewegung reflektieren konnte.
Wie immer also, wenn man nach einem Begriff fragt, ist er schon nicht mehr selbstverstaendlich. Das gilt umso mehr fuer den Generationenbegriff gerade in seiner vermeintlichen Selbstverstaendlichkeit als Erlebnis- oder Erfahrungsgemeinschaft. >Generation< ist ja keine Entitaet als solche, keine sozial-oekonomisch definierte Gruppe, sondern ein kulturelles Deutungsmuster, eine – wenn man so will – sehr effektive Evidenzproduktionsmaschine. Auch wenn also – gerade gegenwaertig – jede und jeder angeben kann und will, welcher Generation [oder gern auch im Plural: welchen Generationen] er oder sie angehoert, um auf diese Weise die eigene Stellung als Individuum in sozialen Zusammenhaengen zu bestimmen, gilt es doch zu fragen, welche Motive und Interessen hinter solchen Zuschreibungen stehen, auch: welche >historischen Noetigungen<, gar Zumutungen.
Zu solchen Interessen und Noetigungen zaehlt sicherlich – als Element des identifikatorischen Generationsdiskurses, zu dem auch die gegenwaertig besonders populaeren, wenn auch oft ironisch gefaerbten retrospektiven Selbstvergewisserungen gehoeren – die Vorstellung einer generationellen Fortschrittsdynamik. Das heisst das Sich-Berufen auf das Vermoegen der Generation als treibende Kraft des historischen Prozesses. Das gilt fuer >die 68er< ebenso wie fuer die >junge Generation< in den kulturellen und politischen Debatten unmittelbar nach 1945 wie ueberhaupt fuer die sich jeweils als jung [und deshalb fortschrittlich, gar revolutionaer] begreifenden Generationen seit der Franzoesischen Revolution – saemtlich im Bruch mit der jeweiligen Vorgaengergeneration, die ihrerseits damit erst konstituiert wird. Sowohl mit der retrospektiven Selbstvergewisserung als auch mit der Selbststilisierung als junge Generation geht eine selektive Wahrnehmung von Herkuenften einher, die bis zur Verleugnung ungeliebter Teile der eigenen Vergangenheit reicht.
Zu den Interessen und Noetigungen zaehlt aber auch der Einsatz von Generationen als Rechengroesse und als Argument in den aktuellen Debatten, die unter dem Motto >demographischer Wandel< den Umbau des Sozialstaats, die Neuverteilung der Vor- und Fuersorge zwischen Familie und Staat, Veraenderungen der Lebensarbeitszeit usw. – also letztlich die Frage, wer das Privileg der Zukunft geniesst – verhandeln. Wenn naemlich in grossem Stil von >Generationengerechtigkeit< und >Generationenvertrag< die Rede ist oder von den >kuenftigen Generationen< als Parameter fuer Nachhaltigkeitsforderungen, dann hat der Begriff der >Generation< ganz bestimmte Scharnierfunktionen zu uebernehmen: Nur mit ihm koennen soziokulturelle Phaenomene als demographische Daten, kann die Gesellschaft als zeitlich-generative Abfolge von Generationen gefasst werden. Im Muster einander abloesender Generationen lassen sich historisch kontingente Veraenderungsprozesse als gleichsam natuerlicher Wandel, als Rhythmus eines natuerlichen Reproduktions- und Abfolgegeschehens verstehen.
Fuer meine Perspektive als Kulturwissenschaftlerin ist zur Frage von Gemeinschaft und Differenz dabei folgender Gedanke besonders frappierend: Der gegenwaertig inflationaere Gebrauch des Generationenbegriffs [Golf, X, Praktikum, usw.] verweist ja weniger auf die Notwendigkeit zur Gemeinschaftsstiftung als vielmehr auf den Verlust hierarchisch strukturierter Deutungsmacht und Diskurshoheit. Unter dem Stichwort der >Aufmerksamkeitsoekonomie< faellt auf, dass quasi jede/r zu einer immer wieder neu auszurufenden Generation gehoert, die einen Anspruch auf Redehoheit erhebt, waehrend sie den Anspruch aller anderen bestreitet. Segmente einer Gesellschaft stilisieren sich also zu einer Generation, bilden Solidaritaeten und Gegnerschaften, um im gesellschaftlich-politischen Kampf um Anerkennung Relevanz zu gewinnen. Die Beobachterin der heutigen Situation stellt mit einer gewissen Ueberraschung fest, dass es ausgerechnet mit Hilfe eines solchen vereinheitlichenden Gebrauchs der >Generation< zu einer enormen Diversifizierung von >Generationen< kommt. Dies ist ein Prozess, der wiederum die Verhaeltnisse der pluralisierten Gesellschaft mit ihren zunehmenden Heterogenitaeten abzubilden scheint.
Wenn jede Generation ihre Gegengeneration in der Gleichzeitigkeit erzeugt – nicht mehr in Abgrenzung zur vorhergehenden, wie es 200 Jahre lang die gesamte Moderne hindurch der Fall war –, dann wird der Fokus dessen, was das Gemeinsame ist, immer kleiner. Ginge es also nicht eigentlich darum, weniger Gemeinschaftsstiftung zu betreiben als vielmehr Differenzen auszuhalten? Das waere doch heute – auch nach der Moderne – die Frage.