Nur in den seltensten Fällen vermag ein Leben die Geschichte seiner Zeit zu erzählen. Im Fall des Norwegers Fridtjof Nansen, der fast auf den Tag genau heute vor 80 Jahren starb, ist es anders. Geboren 1861, gestorben 1930, fiel seine Lebenszeit in eine Zeit des Um- und Aufbruchs der europäischen Geschichte, die in ihrer Ausprägung ganz neu war.
Nansens Biographie erzählt deswegen die Geschichte seiner Zeit, weil er laut der posthumen Würdigungen eigentlich alles erreichte, was ein guter, im humanistischen Geiste lebender und vorbildlicher Mensch erreichen kann.
Als erster Mensch Grönland durchquert
Nach seinem Studium der Zoologie machte er sich in der Forschungswelt des auslaufenden 19. Jahrhunderts schnell einen Namen, indem er in seiner Doktorarbeit einige revolutionäre Erkenntnisse über das Nervensystem der Tiere formulierte. Danach vernarrte er sich in die Idee, als erster Mensch Grönland zu durchqueren.
Die Expedition nahm zwar mit einer zweiwöchigen Drift auf Eisschollen vor der Ostküste Grönlands einen äußerst abenteuerlichen Beginn, verlief aber mit der gelungenen Querung überaus erfolgreich. Neben einigen Forschungsergebnissen konnte Nansen so auch die hartnäckige Legende widerlegen, im Innern der Insel befände sich ein Paradies aus Grünen Tälern, Wäldern und sprudelnden Bächen. Der Name Gr(ü)önland wurde trotzdem beibehalten.
Im Eis über den Nordpol
Auf seiner zweiten Forschungsfahrt ließ Nansen sich mit einem Trupp ausgewählter Männer nördlich von Skandinavien im Packeis festfrieren, um so treibend den Nordpol zu überqueren. Zwar wurde aus diesem Ziel nichts, dafür scheiterte er auf derart kuriose Weise mit seinem zusätzlichen Versuch, den Nordpol per Schlitten über das Packeis zu erreichen, dass auch dieser fesselnde Reisebericht in die Annalen der Entdeckerliteratur einging.
Darüber hinaus begründete er mit seinen Beobachtungen zur Gletscherbewegung, zum Strömungsverhalten des arktischen Beckens, den Wassertiefen und den umfassenden meteorologischen Aufzeichnungen die moderne Gletscherforschung und wies der Erkundung der Strömung der Weltmeere und des globalen Klimakreislaufs den Weg.
Der Nansen-Pass
Nach seinen wissenschaftlichen Paradeleistungen verschlug es Nansen eher ungewollt auf diplomatisches und politisches Parkett. Er verhinderte eine Hungersnot seines Landes, wirkte bei der norwegischen Unabhängigkeit mit und wurde nach dem ersten Weltkrieg zum UN-Kommissar für Völkerrecht. In dieser Funktion schuf er für das armenische Volk eine neue Heimat, rettete zehntausende Flüchtlinge, Vertriebene und Staatenlose vor dem Hungertod und führte den “Nansen-Pass” ein, der von fast allen Staaten Europas anerkannt wurde und Staatenlosen das Recht auf Unterkunft gab.
Zu Recht konnte und wollte er in einer Zeit, in der der Krieg als legitimes Mittel, das Recht der einzelnen Menschen wenig galt und schließlich das Recht auf Leben prophetisch-autokratischen Heilslehren wie dem Kommunismus oder dem Nationalsozialismus untergeordnet wurde, nicht einsehen, warum ein Volk wichtiger als das andere sein sollte. Zu Recht verlieh die schwedische Nobelkommission ihm und seiner Organisation insgesamt zwei Mal den Friedensnobelpreis.
Der Norweger wird von einer Reihe seiner Biographen auch das “Gewissen der Menschheit” genannt.
Danke für den Beitrag! Diesen Mann kannte ich noch gar nicht! Und Grönland hat mich schon immer interessiert :)
Ich weiß nicht, das ist mir irgendwie suspekt, dass ein Individuum so gehypt wird, so zum Übermenschen stilisiert wird. Oder auch: Das Gewissen der Menschheit sollte bzw. kann nicht nur von einem Menschen auf den Schultern getragen werden.
Bei dem Titel “Gewissen der Menschheit” muss ich automatisch an mein schlechtes Gewissen denken — ist das beabsichtigt? Geht es hier um versteckte moralische Indoktrination?
Wo wird denn Nansen gehypt? Schon mal was von ihm gehört? “Hypen” sieht ja wohl gerade in unseren multimedialen Zeiten etwas anders aus. Was über ihn im Text steht, ist die nüchterne Wahrheit. Ich glaube, es geht eher um Vorbilder. Versteckte moralische Indoktrination.. ist vielleicht nur eine andere Bezeichnung dafür ;-). Und darum, dass sich manchmal in historischen Charakteren viele Stränge einer Zeit bündeln.
P.S.: Er wird gerade nicht zum Übermenschen stilisiert.
@Silvia: bitteschön :)