Nichts ist mehr, wie es war, in dieser Stadt. Und dabei ist es gar nicht so lange her, dass ich für nur einen Monat hier war, und damals war alles anders. Es war ein heißer Sommer: Raus aus dem öden Dortmund, auf ins fesselnde, hippe, vitale Berlin, das voller Menschen und Ecken schien, die zu entdecken ungemein spannend war.
An Schlaf war nicht zu denken, die Erfüllung der Pflicht – also das Praktikum, weswegen ich gekommen war – geschah leichterhand nahezu nebenbei. Erst wenn ich des Nachmittags mit meinem Kollegen aus dem Bundesarchiv in Lichterfelde in unsere zwischengemietete Wohnung im Wedding zurückfuhr, begann der Tag so richtig.
Fototouren durch die Bezirke, Besuche der Museen, Treffen mit neuen und alten Freunden, Partynächte, Programmkinobesuche, Einladungen und Flohmärkte nahmen uns voll und ganz ein. Das Praktikum damals förderte einige Archiventdeckungen zu Tage und gab den entscheidenden Anstoß für die spätere Bachelorarbeit.
Ich bin wieder in der Stadt
Etwas mehr als zwei Jahre später hat mich die Stadt wieder. Diesmal für etwas länger, zwei Jahre mindestens – soll doch das Studium der Geschichte entscheidende berufliche Perspektiven öffnen. Noch immer locken Veranstaltungen aller Art allerorten, noch immer ist die Zahl der Museen überwältigend, sind die Independentkinoprogramme besser als die der Großmonopolisten.
Und doch ist alles ganz anders: Plötzlich nerven die täglichen Strassenfeger– und Motz-Verkäufer sowie fidelnde und quetschkommodende Zigeuner in den Bahnen. Mit einem Mal registriere ich, wie geräuschverseucht Berlin ist und wie schwer es ist, mal eine Minute zur Ruhe zu kommen. Unternehmungen müssen warten und zurücktreten hinter den Verpflichtungen des Studiums, das ernsthaft und mit hohem Anspruch betrieben werden soll.
Und hier auch noch arbeiten?
Auch die Jobsuche gestaltet sich zunehmend wie eine Odyssee durch Inseln des Kapitalismus und der Ausnutzung. Vier Euro pro Stunde plus 72 Cent Fahrtkostenerstattung pro Tour mit eigenem Auto präsentierte mir neulich der Chef eines Pizza- und Sushi-Lieferservices strahlend als sein großartiges Angebot.
Keine Woche später bot man mir mit meinem abgeschlossenem Bachelor in Germanistik eine Praktikantenstelle in Vollzeit als Suchmaschinenoptimierer bei dem Internetschuhhändler Zalando für 500 Euro an. Kürzlich hörte ich gar von einer französischen Austauschstudentin, dass sie bei einem Lieferservice drei Euro pro Stunde bekommen habe. Da frage ich mich, wie weit Bangladesh oder Shenzhen noch von Berlin entfernt sind?
Wir nähern uns an
Trotz allem komme ich so langsam aus mit der Stadt. Ich richte mich ein und knüpfe Kontakte. Ich lerne, aus der Flut an Angeboten zu selektieren und das Gefühl los zu werden, andauernd etwas zu verpassen. Zwar ist alles nicht mehr so aufregend wie damals, aber dafür ist mein Alltag handhabbar geworden. Berlin ist irgendwie anders geworden – oder habe nur ich mich verändert?
Willkommen im Städtchen! Am Ende deiner zwei Jahre hier, wirst du nach Potsdam ans Wasser ziehen wollen und mit deinem Dackel im stillen Garten Stöckchen werfen…normales Prozedere!
Praktikum, Party – bist du vielleicht Airen? ;) Kleiner Scherz, willkommen in Berlin. Schreibst ja schon für die richtige Lokalzeitung hier!
Ich glaube ein Monat ist einfach nicht genug um die Stadt richtig kennen zu lernen. Die Wahrnehmung hängt natürlich von der Einstellung ab und von dem, was man hier vor hat aber wenn man hier länger lebt, gibt es Phasen, denke ich: so ne endlose Haß-Lieb-Geschichte.
@alle: Dankeschön! :-)
@Jörg: Jahaa.. ich hab mir schon Kladow ausgesucht.. ;-)).
@Karolina: Klar, das hab ich mir neulich auch gedacht. Es ist einfach ein anderer Zweck dieses Mal. Was das letzte Mal so verlockend und neu war, wurde beim Herziehen oftmals von mir als ablenkend und störend empfunden.