Die Geschichte von Adam und Eva ist bekannt und polarisiert bis heute: Der Teufel schleicht sich in ihr Paradies ein, in Gestalt einer Schlange, und verführt Eva dazu, einen verbotenen Apfel zu essen. Dann gibt sie auch Adam davon. Wegen dieser Sünde vertreibt Gott die beiden aus dem Garten Eden und legt ihnen und ihren Nachkommen die so genannte Erbsünde auf. So weit die Bibel. Die Grafikerin Susanne Laser rückt die Geschichte in den Kontext der Pornographie.
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Zunächst einmal erzählt das alte Testament nichts von einem Apfel, sondern von der Frucht des Baumes der Erkenntnis. Adam und Eva waren im Paradies und unsterblich – dafür aber strunzdumm. Die verbotene Frucht brachte also Erkenntnis. Die Erkenntnis über das Ich, die Welt, den eigenen und vor allem den anderen Körper.
Da sie nun einmal unsterblich waren und erleuchtet, waren sie wie Gott. Und das geht ja nun überhaupt nicht. Die Erkenntnis hatten sie frei gewählt, und so musste Gott ihnen die Unsterblichkeit aberkennen.
Verbannung? Fehlanzeige
Aus dem Paradies musste er sie gar nicht verbannen, denn das gab es wahrscheinlich nie – sie wussten es nur nicht. Mit der Bewusstwerdung über das eigene Ich kommt alles, was das Paradies schlichtweg versaut: Besitz, Neid, Macht, Liebe, Hass, Not, Wolllust und Sex.
Es ist doch merkwürdig, dass der Baum der Erkenntnis eine solche Bandbreite an Wissen und Gefühlen eröffnet haben muss, aber das erste was Adam und Eva empfanden, war die Scham über ihren eigenen Körper. Gott wanderte durch den Garten und fand sie nicht. Er rief: »Adam, Adam! Wo bist du?« Adam antwortete zaghaft hinter einen Busch versteckt: »Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum verstecke ich mich. « 1
Scham verändert Fortpflanzung zu Sex
Die zweite Geschichte der Bibel handelt also von Scham. Es scheint sogar so wichtig zu sein, dass der letzte Satz der Schöpfungsgeschichte dieses Thema schon verheißungsvoll einleitet mit: »Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und schämten sich nicht.« 2
Mit der Scham verändert sich der reine Fortpflanzungsakt und wird zu Sex. Es wird zu etwas Verbotenem, denn nicht jeder darf den entblößten Körper einfach zu Gesicht bekommen. Die Blöße verzieht sich ins Geheime.
Das Schamgefühl scheint ein viel mächtigeres zu sein als die Lust, der Hass oder der Neid. Ist es nicht so, dass eben diese Scham all den anderen Begriffen mehr oder weniger zu Grunde liegt? Was im Verborgenen ist, das wächst, und kann nicht zerstört werden, es weckt das Misstrauen.
Verhüllung generiert Geschlechterrollen
Mit der Verhüllung des Geschlechts wird der Beginn der Geschlechterrollen eingeläutet. Mit der Entdeckung des Sex, beginnt das niemals endende Machtspiel – nicht nur zwischen Mann und Frau – sondern zwischen Freunden, Völkern, Geschwistern.
Im Alten Testament folgt immerhin direkt als nächstes die Geschichte vom Vatersohn (Kain), der den Muttersohn (Abel) tötet. Das kann kein Zufall sein!
So ist es vielleicht auch kein Zufall, dass wir heute von dem Begriff »Sündenfall« irritiert sind. Wenn von Sünde sie Rede ist, liegt doch die Assoziation mit Sex nahe. Tatsächlich besteht die Sünde nach christlichem Verständnis in einer willentlichen Abkehr von Gottes gutem Willen. Niemand hat was von Sex gesagt. Aber heute ist der Begriff trotzdem erotisch besetzt.
Scham – ein vieldeutiger Ausdruck
Ebenso ist es merkwürdig, dass das Wort Scham eindeutig die Geschlechtsorgane meint (Schambereich, Schamhaare etc.), während das Wort Schamgefühl gar nicht mehr so eindeutig und ausschließlich dem Geschlecht zugeordnet ist. Aber von der Wortherkunft bezieht sich das Gefühl auf das Geschlechtsteil, das wir ständig verhüllen.
Liegt hierin nicht auch die Quintessenz dessen, was den Sex so mächtig macht? Sex gehört seit jeher in die Schlafzimmer und ist kein Öffentliches Gut. Pornographie macht sich die Aufladung zu nutze, die dem Sex inne wohnt. Ausgerechnet die Bibel, schafft mit der Geschichte vom Sündenfall auch einen Zugang die Macht von Pornografie zu verstehen.
Wir schämen uns, darüber zu reden. Wir wollen unsere Kinder davor schützen, wir verziehen uns ins stille Kämmerlein. Mit dem Bedecken unserer Blöße, verstecken wir nicht nur unsere Unsicherheit oder unsere Makel, sondern vor allem unsere Erregung.
Die pornografische Vermessung des Selbst
So ist es schwer sich vorzustellen, was in anderen Betten vor sich geht. Auch deshalb schürt Pornografie auf besondere Weise unsere Neugier. Aber ohne Vergleichsparameter (außer der eigenen Sexualität) bleibt die immer wieder propagierte Authentizität pornografischer Medien offen.
Das Entscheidende dabei ist aber, dass ohne die Scham auch Pornografie nicht denkbar wäre. Gäbe es sie nicht, gäbe es auch nicht das Geheimnis, dass sich um Pornografie rangt: Gefällt das den Frauen? Ist die Länge wichtig? Ist das normal? Stehen Männer darauf? Die Frage ist nur, ob mit mehr Wissen und Erkenntnis über Sex und Pornografie paradisischere Zustände winken würden – oder doch eher das Gegenteil.
Wenn wir für Sex und Sexyness die Verbannung aus dem Paradies in Kauf nehmen mussten, hieße das dann im Umkehrschluss: Ohne Sex könnten wir zu einem paradiesischen Zustand zurückkehren?
Ist eine Beziehung schöner ohne Sex?
Es ist doch eine schöne Vorstellung, dass ohne Sex die Beziehungen harmonischer verliefen. Ebenso könnte man auch alle Komplexe wegen Cellulite und zu kleiner Brüste über Bord werfen. Frauen bräuchten sich nicht mehr anzuzicken, wer die Schönste im Land ist. Den Penisneid können wir uns auch sparen, denn die Männer fingen ja doch nichts mehr damit an und wenn sie sie noch so lange verglichen. Auch wäre es schwerlich auszumachen, wer der »Alphadog« ist, also würden sich auch Rangkämpfe dezimieren. Keine Machos, keine Flirtrituale, keine Reeperbahn, keine Pornoindustrie… Aber eben auch kein Sex.
Ein herrlicher Garten, die Vögel zwitschern, es ist immer Sommer, alle sind fröhlich und dann kam der Apfel. Dazu kann ich nur sagen: Gott sei Dank!
Anm.d.Red.: Die Autorin nahm an einem vorbereitenden Seminar zu der internationalen Konferenz Explicit! Coming to terms with pornography teil, die am 25. und 26. Januar in der FH Potsdam stattfindet. Die Illustration oben zeigt den Ausschnitt einer ihrer Grafiken.
Das ist ein schöner Beitrag, den ich gerne gelesen haben. Schade fand, ich dass er hinten raus so schnell zum Schluss (im Sinne von Konklusion) kommt.
Pornographie als das Ende des Geschlechtsakts, wenn man seinen Anfang als an den Zweck, Kinder zu bekommen verstehen will. Das nehme ich mal mit. Und: Am Anfang steht die Scham, am Ende nichts. Das kommt mir auch richtig vor, denn das kann auch jeder auch an sich beobachten: je weiter der Sex abrückt von einer Bedeutung, etwa weil er wahllos mit irgendwem vollzogen wird, desto weniger Scham ist dabei. Scham ist da, wo es um etwas geht. Das ist cool.
Herzliche Grüße
CK
(sorry, Handytastatur)
Im neuen Lettre (Nr. 101) beschäftigt sich Elif Batuman mit dem Thema Sündenfall im Zusammenhang mit dem Übergang von der Jäger-und-Sammler-Gesellschaft zur Landwirtschaft: “Das Heiligtum – Göbekli Tepe: Ein Tempel aus der Morgenröte der Zivilisation.” Sehr lesenswert.