Mehr Bollywood als Babylon

Deutsche, die sich mal entschieden haben, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen, machen das auf eine sehr konsequente Art und Weise. Ich lebe seit einigen Jahren als freischaffende Designerin in London und suche jedenfalls nicht nach Deutschen. Aber ich meide sie auch nicht. Genauso wenig, wie ich Spanier suche, nur um wieder Spanisch zu sprechen. Schlimmer noch: um der Sprache willen Freunde zu haben. An meinem Gegenueber mache ich individuell aus, ob ich die Person sympathisch finde oder eben nicht.

Meinem Eindruck nach hoert man haeufig deutsche Sprachfetzen in London, allerdings nicht mehr als andere Sprachen. Wenn es im oeffentlichen Raum gesprochen wird, sind es meistens Touristen. Aber man trifft durchaus auf deutsche Expatriates, allerdings in gleichem Masse wie auch auf franzoesische oder australische Auswanderer. Ich habe hier bislang eher wenig Deutsche getroffen, kenne keine deutsche Community in London. Meine WG ist ausschliesslich englischsprachig und mit meinen an einer Hand abzaehlbaren deutschen Freunden in London spreche ich nur selten Deutsch. Beruflich spielt meine Muttersprache eigentlich keine Rolle, dennoch sind Fremdsprachen in London immer ein Bonus.

Die Haltung der Londoner gegenueber der deutschen Sprache ist die gleiche wie die gegenueber jeder anderen >Fremdsprache<: Sie beherrschen sie nicht, wuerden aber gerne eine Fremdsprache lernen, zumindest wenn sie sich fuer eine entscheiden koennten. Da in Europa Englisch als DIE internationale Sprache gilt, die bei den Englaendern eben zufaelligerweise mit der Muttersprache identisch ist, ergeben sich bei ihrer Orientierung einige Schwierigkeiten. Zeitgeist, guten Tag, wunderbar, Blitzkrieg, Uebermensch, kaputt, Scheissburger anstelle von Cheeseburger, oder einfach nur jaaa..ja, ja,... Das sagen Londoner gerne, wenn sie Deutsche imitieren wollen. Infobahn als Ausdruck fuer das Internet, Meister in Verbindung mit dem dazugehoerigen englischen Wort wie Pingpong-Meister oder Cake-Meister, etc. Viele Englaender verwenden deutsche Woerter aus der Werbung jedoch auch unbewusst, also zum Beispiel den Begriff >Kinder chocolate<, ohne zu wissen, dass >Kinder< das deutsche Wort fuer >children< oder >kids< ist. Fuer meine Herkunft werde ich weder bewundert, noch verachtet. Die Leute sehen allerdings weniger die Deutsche, als die Spanierin in mir - mein Erbgut muetterlicherseits. Ich werde auf >suedlaendische Abstammung< getippt, weil sich die Englaender unter einer deutschen Frau eher Helga, 1,80 gross und blond vorstellen. Es gibt aber durchaus deutsche Klischees, die ich zu bestaetigen scheine >..oooooh that´s so German!<. Von allgemeinem Interesse ist mein Ex-Wohnsitz Berlin - jeder Londoner moechte einmal dorthin, wenn er/sie noch nicht dort war. Alle wollen nur Gutes darueber gehoert haben. Englisch habe ich in der Schule sieben Jahre lang gelernt, aber so richtig studiert habe ich die Sprache erst spaeter. Im Grunde, so, wie man Sprachen eben am besten lernt: im Ausland. Durch 24 Stunden audio-visuelle Vollbeschallung. Sehr anstrengend, aber auch toll und eben sehr effektiv. Frustrierend fuer mich war die Phase >consciously incompetent< zu sein, sich nicht frei ausdruecken zu koennen, wie man das eben mit der Muttersprache kann. Nach dieser Phase ist bei mir Sprachkonfusion eingetreten. In wirklich intensiven Phasen des Lernprozesses, wie nach den ersten drei Monaten in London, war es extrem schwierig fuer mich Spanisch zu sprechen. Im Deutschen sind mir dagegen Woerter nicht mehr eingefallen und immer wieder Versprecher passiert wie >rente<, anstatt Miete oder das deutsche Aussprechen von englischen Woertern und umgekehrt. Am Flughafen habe ich eine Polin kennen gelernt, die fliessend Deutsch spricht. Sie kam gerade aus einem dreimonatigen Sprachurlaub aus Irland und fing aus heiterem Himmel an, auf Polnisch zu erzaehlen. Ich musste sie erst darauf hinweisen, dass ich sie nicht mehr verstand. Sprachkonfusion und -mischungen hin oder her: Meine Wohngegend, East London, ist mehr Bollywood als Babylon, vorwiegend gepraegt durch Inder und Bangladeshis, die zwar haeufig ihre Muttersprache benutzen, aber dennoch ueberwiegend Englisch - die lokale Lingua Franca ist hier das verbindende Element dieses multikulturellen Wohnorts. Deshalb wuerde ich mein Umfeld nicht als Babylon bezeichnen, zumal sich alle Menschen durchaus miteinander verstaendigen koennen - eben auf Englisch mit unterschiedlichen Akzenten.

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